Immer mutig. Paul Scheerbart

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Название Immer mutig
Автор произведения Paul Scheerbart
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742766236



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Kanten wie knorrige Eichen.

       Es sieht anfänglich alles ganz friedlich aus – leider

       darf man keinem Frieden trauen.

       Die goldenen Sonnenraketen biegen sich vor und

       zurück, als wenn der Sturmwind an ihnen rüttle. Und

       bald wird mir's ganz klar: Die Raketen stehen sich

       gegenseitig im Wege.

       Ich hatte wohl vorher gedacht, dieses Schwanken,

       Drängen, Schieben und Stucksen wäre nur eine

       Äußerung der Zärtlichkeit. Mir fiel jedoch zur richtigen

       Zeit ein, daß ordentlichen Feindschaften ein zärtliches

       Vorspiel was ganz Natürliches ist.

       Die Atmosphäre scheint mir recht heiß zu werden. Die

       Schlangenrakete dehnt oft ganz beängstigend ihren

       gierigen Sonnenleib. Und die Eichenrakete schwankt und

       zittert wie ein wilder Trotzkopf, der gern seine Wutkrone

       aufsetzt.

       Die beiden Ungeheuer stehen sich im Wege – das ist

       mir bald völlig klar.

       Und ich nehme Partei für die goldene Eiche, die mir

       der Schlange an Schlauheit unterlegen zu sein scheint.

       Der Schlauheit mag ich stets an den Hals.

       »Ich schütze die Dummheit!«

       Also ruf' ich laut. Und ich erschrecke, da mir tausend

       Echos – der Himmel mag wissen woher – antworten –

       höhnend antworten.

       Hei! Jetzt kommen die goldenen Sonnen ordentlich in

       Bewegung! Das Gold glitzert und zuckt! Die Raketen

       machen Ernst! Das ist keine Zärtlichkeit mehr! Ich recke

       mich auch! Meine sehnigen Muskeln schwellen an wie

       springende Wildbäche im Frühling!

       Es zittern die Spitzen der weichen und der knorrigen

       Äste so stark, daß ich mitzittern muß.

       Und aus den Spitzen fliegen nun blaue, grüne und rote

       Lichtblasen heraus – die brennen in dunklen Farben und

       werden immer größer. Und aus den Lichtblasen schießen

       in die Nacht gelbe und weiße Lichtkegel, die wie weite

       Scheinwerfer blitzschnell den Himmel durchfliegen – von

       einem Ende zum andern – wie rasend!

       Eine Lichtschlacht!

       Zwei goldene Milchstraßen liefern sich eine

       Lichtschlacht – eine lautlose.

       Ich muß mich sehr wundern.

       »Himmel! Wetter!« ruf ich wieder ganz laut, »ist denn

       da hinten auch alles so eng, daß nicht mal zwei

       Sonnenbäumchen Platz haben? Sind denn ›sämtliche‹

       Weltwinkel zu klein?«

       Über mir hör ich ein heftiges Brummen, und seltsam

       hüstelnd antwortet mir eine dunkle Baßstimme:

       »Was weißt Du von Weltwinkeln? Tu doch nicht so,

       als ob Du kosmische Größenverhältnisse besser

       ausrechnen könntest als unsereins. Die Naseweisheit

       steht Dir nicht gut. Verkrieche Dich in der alten

       Weltpauke! Da ist noch Platz für dich.«

       Ich ducke mich, obgleich ich Keinen sehe.

       Die Raketen kämpfen weiter.

       Es wird furchtbar lebhaft da hinten.

       Ich möchte noch mehr sehen; das Loch in der

       Himmelswand erscheint mir zu klein. Doch da kommt

       auch schon die weiß schimmernde Riesenkralle wieder

       höher und macht das Loch größer.

       Jetzt kann ich bequemer dem Kampfspiele zuschauen.

       Die weißen und gelben Lichtkegel flirren immer heftiger.

       Die roten, grünen und blauen Gasblasen werden

       mordsmäßig groß und platzen dann – wie Alles, was zu

       groß wird. Dafür spritzen die Spitzen der weichen und

       der knorrigen Äste immer wieder neue Blasen hervor, die

       auch mit weißen und gelben Lichtkegeln herumflirren.

       Die Schlangenrakete wird offenbar noch schlauer; sie

       bedrängt die Eiche wie ein unheimliches Krötenweib.

       Ich kann's kaum ansehen; die Schlange wird mit ihren

       langen Schläuchen, die ihr immer dicker aus dem Leibe

       herauswachsen und gar nicht mehr was Astartiges haben,

       so aufgedunsen – so scheußlich groß.

       Der Hintergrund, von dem sich die Raketen abheben,

       ist so bunt wie eine riesige zitternde Opalfläche; die

       roten, blauen und grünen Gaskugeln mit den gelben und

       weißen Lichtkegeln flattern umher, als wenn sie ein

       Weltföhn durchbrause.

       Da kann ich mich nicht mehr halten.

       Die Schlangenrakete wird von oben bis unten gemein.

       Das ist die ewige Niedertracht!

       Ich möchte der Schlange an den Hals.

       »Eine Kralle möcht' ich haben!«

       Das schrei' ich.

       Und im selben Augenblick fühl ich, daß die wilde

       Kralle, die unsern alten dösigen Dorfkirchenhimmel

       aufriß, ›meine‹ wilde Kralle ist.

       Und mit meiner weiß schimmernden Riesenkralle

       pack' ich durchs Loch, mitten in den Schlangenleib rinn.

       »Ich will nicht die Schlauheit siegen lassen!« brüll' ich

       auf und drück' mit meiner wilden Kralle zu – den ganzen

       Leib der Schlangenrakete entzwei.

       Doch dabei muß ich »Au!« schreien.

       Ich habe mich verbrannt.

       Horngeruch – widerlicher – steigt mir betäubend in

       die Nase.

       Ich sehe nichts mehr.

       Ich reiße die Hand mit der Kralle aus dem Loche raus,

       um mich auf meiner Tanne festzuhalten.

       Aber die Hand mit der Kralle tut mir zu weh, und ich

       kann mich mit der Linken allein nicht halten.

       Und ich falle mit der Kralle.

       Mich ergriff eine namenlose Wut.

       »Die Schlauheit siegt! Sie ist zu kaltblütig!« schrie ich

       noch.

       Dabei fiel ich immer tiefer.

       Ich hielt den Atem an, indessen – ich fiel trotzdem.

       Das Horn roch – brenzlich.

       Es war mir auch so, als ob der Docht einer alten,

       großen Wachskerze verglimmte – in einer Dorfkirche.

       Ich fiel – der Teufel – mochte wissen – wohin.