Immer mutig. Paul Scheerbart

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Название Immer mutig
Автор произведения Paul Scheerbart
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742766236



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schien, ist das alte Elend nicht anzuschauen. Es

       ist anders umrahmt! Im Palastgeschmack! Die Säle und

       Zimmer, in denen die alte Beschäftigung wieder

       aufgenommen werden soll, sind mit so viel feinem Prunk

       umgeben, daß die »guten« Menschen doch mit großer

       Freude ins alte Fahrwasser hineinspringen, wenn's auch

       so unappetitlich ist wie schmutzige Wäsche.

       Ja! Ja! Das alte Leben!

       Der eine muß wieder seine kranke Frau pflegen, die

       ohn' Unterlaß stöhnt und klagt; er beginnt den Tanz der

       Qual mit kalter Ruhe wieder von vorn, wie schon so oft –

       wirklich ein guter Mensch! Ein andrer guter Mensch

       fängt wieder an, große Gesellschaften zu besuchen, und

       klagt dabei wieder über seine nie zu stillende Sehnsucht

       nach der ewigen Einsamkeit – genau wie einst. Ein

       Dritter ist wieder mit seinem Ruhme nicht zufrieden; er

       will immer anders berühmt werden, was ihm natürlich

       nicht gelingt, da er selber nicht weiß, wie er's haben

       möchte. Ein Vierter bekämpft mit altem Mute seine

       riesige Sinnlichkeit und wird zum ächten

       Asketenhäuptling, läßt wieder seine eiserne Willenskraft

       bewundern, obgleich er sich in jeder stillen Stunde

       auslachen muß, da ja alle seine Kraft nur eine

       naturgemäße Folge von Ausschweifung und Ekel ist. Ein

       Fünfter hofft immer einen Sack mit Gold zu finden –

       und was findet er? Einen Sack mit giftigen Witzen!! Ein

       Sechster muß stets vergeblich »Geld« besorgen – d.h. es

       gelingt ihm nie!! Und ein Siebenter muß zu Allem »Ja«

       und »Amen« sagen, was ihm von je so schwer fiel. Und

       die Millionen Andern arbeiten und regieren, befehlen und

       gehorchen – auch genau so wie einst. Die Maschinen

       rasseln wieder, und die Denkerköpfe rauchen wieder, die

       Kartoffelfelder tragen wieder ihre mehligen Früchte, die

       Säufer saufen ganz im alten Stile weiter, und die

       Verbrecher brechen wieder bei den Leuten, die was

       haben, ein.

       Alles ist wie einst! – Es spielt sich bloß schön

       umrahmt in herrlichen Palästen und Domen ab, die so

       groß sind, daß man gar nicht durchsehen kann. Sonst ist

       kein Unterschied.

       Die guten Menschen sind natürlich mit Allem

       zufrieden – aber die bösen Menschen sind natürlich mit

       nichts zufrieden – ihnen genügt nicht die Alles belebende

       Sonne der Baukunst – sie wollen Abendbrot mit Austern

       und starkem Getränk – ununterbrochenes Vergnügen mit

       Tingeltangel und Schlittenfahrt.

       Die guten Engel wollen die bösen Menschen

       besänftigen und trösten, sagen freundlich: »Kinder, Ihr

       wißt gar nicht, was Euch frommt! Leid und Freud sind in

       jedem Menschenleben ganz gleichmäßig verteilt. Diese ist

       ohne jenes gar nicht denkbar. Seid vernünftig! Alle

       Wünsche sind nicht erfüllbar. Ist es nicht genug, daß wir

       Euch eine angenehme Umgebung geschaffen haben? Ihr

       wollt bloß immer vergnügt sein – und das geht doch

       nicht.«

       »Warum nicht?« schreien die Bösen.

       »Weil's Euch langweilen würde!« antworten die Engel,

       und sie gähnen, während sie an ein ›ewiges‹ Glück

       denken.

       Die Bösen aber lachen – so häßlich, daß die guten

       Engel ernstlich böse werden.

       »Man sollte Euch eigentlich,« fahren sie in schärferem

       Tone fort, »piesacken – mit feurigen Zangen. Die

       Dummheit muß mit Feuer und Schwert ausgerottet

       werden. Ihr werdet's niemals verstehen, daß anständig

       ›wohnen‹ besser ist als anständig ›leben‹. Wie die Pflanzen

       der Erde hauptsächlich nur von Licht und Luft lebten, so

       sollt Ihr jetzt auch hauptsächlich von dem leben, was

       Euch umgibt – von dem Licht und von der Luft der

       göttlichen Baukunst, die die ›wahre‹ Kunst ist. Ist es Euch

       tatsächlich nicht genug, in diesen himmlischen

       Strahlburgen leben zu können? Wißt Ihr immer noch

       nicht, was es heißt: in einer Traumwelt daheim zu sein?

       Das ist doch die prickelnde Auster der Armut! Was sind

       dagegen alle Kaninchen des Reichtums? Eine große

       Quarkerei – nicht mehr! Euer Leben soll nur ein Akkord

       in der Sphärenmusik des Alls sein – Euer Schmerzenslaut

       ist also nicht zu entbehren – sonst wird ja die

       Sphärenmusik so weichlich wie Milchreis! Ihr

       unglaublichen Nilpferde!«

       Die Bösen schütteln sich vor Lachen und halten sich

       den Bauch. Die Engel bleiben aber ganz ernst, sie sagen

       noch traurig: »Ihr kommt ja sämtlich nicht zu kurz! Die

       Qualen des Bettlers werden gleich mit Freuden belohnt,

       von denen die armen Könige nichts wissen. Und zu

       alledem kommt noch diese prunkvolle Traumwelt Eurer

       Wunderpaläste.«

       »Die macht uns grade erst recht begehrlich! Wir

       wollen keinen Selbstbetrug!«

       Also schreien wild durcheinander die dummen

       Bösewichter, die immer vergnügt und selig sein wollen.

       »Na, wenn Euch der Selbstbetrug nicht paßt,«

       donnern die Engel los, »so könnt Ihr ja wieder in Eure

       Gräber zurück. Eure kannibalische Dummheit soll uns

       das neue Leben, das wir Euch in dieser Glanzwelt

       darboten, nicht verleiden!«

       Und es treten die hellgrünen Engel mit dunkelgrünen

       Tannenzweigen hervor, und mit den dunkelgrünen

       Tannenzweigen berühren sie alle Unzufriedenen.

       Und die Berührten fallen um und sind tot.

       Rasch werden sie hinausgetragen und wieder im

       Schnee verscharrt.

       Jede Spur der Bösen ist bald verweht.

       Die guten Menschen aber, die schon dankbar sind,

       wenn sie bloß in einer glanzseligen Traumwelt leben

       können, nehmen die Qualen des alten Lebens ruhig über