Immer mutig. Paul Scheerbart

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Название Immer mutig
Автор произведения Paul Scheerbart
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742766236



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zierlich die weißen Finger.

       Ich würde wohl mit denen da drüben gut auskommen

       – doch sie sind ja so fern – sie stecken alle in den Wolken

       – und die Wolken sind hoch.

       Wenn's doch regnen möchte!

       Dann müssen sie ja runterkommen!

       Es regnet aber nicht.

       Der Weg zur Schlachtbank

       Rede eines Ochsen

       »Ich bin ein großes Tier und ein gutes Tier. Ich weiß,

       wohin man mich führt. Und ich habe auch nichts

       dagegen. Ich bin der wahre Wohltäter der Menschheit.

       Ihr gehört mein Herz – ihr gehören auch meine Nieren

       und meine Schinken – und meine Knochen mit dem

       herrlichen Mark! Daß man mich nicht so ehrt wie andere

       Wohltäter, macht mir nichts aus. Auf Dank hab' ich nie

       gerechnet. Daß man mich aber noch schlägt mit dem

       Ochsenziemer – halte ich für gemein. Muß ich auch noch

       zum Märtyrer werden? Wozu?«

       Als nun die beiden Herren mit Lesen fertig waren, ergriff ich zuerst

       das Wort, da es mich immer ärgert, wenn ich in Gegenwart Andrer

       bloß zuhören soll.

       »Wenn ich,« sagte ich mit scharfer Betonung jeder Silbe zum

       Pyramideninspektor, »die Erde bloß für eine große

       Erziehungsanstalt halten soll, so komm' ich mir dabei auch nicht

       sehr geistreich vor.«

       »Dazu,« versetzte der alte Ramses, »hast Du auch gar keine

       Veranlassung.«

       Ich wollte sofort erwidern, wurde aber durch ein merkwürdiges

       Gebimmel daran verhindert; die Luft in dem schwarzen Felsensaal

       schien plötzlich zu Musik zu werden; unsichtbare kleine und

       größere Glocken klangen bimmelnd und brummend durcheinander

       – höchst melodisch – aber höchst merkwürdig.

       »Das sind unsre unsichtbaren Diener!« sagte der

       Pyramideninspektor.

       Und dann vernahmen wir eine helle Knabenstimme, die laut

       aus den Gewölben oben zu uns hinunter rief:

       »Kommen Sie nur schnell, meine Herren! Das Abendbrot ist

       fertig – kommen Sie – kommen Sie – sonst werden die Kartoffeln

       kalt.«

       Danach verstummten die Glocken.

       Und wir erhoben uns aus unseren Schaukelstühlen.

       Ich war recht ärgerlich und meinte brummig:

       »Diese Erinnerung an das Abendbrot macht mich nicht grade

       sehr heiter, denn schön ist es wohl nicht, daß wir unser Leben durch

       Essen und Trinken erhalten müssen. Und daß Sie, meine Herren,

       das auch noch müssen, imponiert mir ganz und gar nicht.«

       Ramses fragte mich höflich:

       »Sag mal, rauchst du vielleicht gerne?«

       Ich bejahte die Frage, und der Pyramideninspektor meinte drauf

       ganz trocken:

       »Dann können wir's ja so einrichten, daß Du Deine

       Mahlzeiten rauchend einnimmst. In diesem Falle müßtest Du aber

       vorher ein elektrisches Bad nehmen. Zeit wäre noch dazu, denn

       unser Luftknabe behauptet regelmäßig, daß das Abendbrot fertig

       sei, wenn's noch zwei Stunden hin sind.«

       Ich erklärte mich selbstverständlich sehr gerne bereit, sofort ein

       elektrisches Bad zu nehmen.

       »Es ist aber recht schmerzhaft!« erklärte der alte Ramses.

       Ich aber war neugierig und versetzte kühl:

       »Das tut nichts.«

       Und danach gingen wir durch einen schnurgraden erleuchteten

       Felsengang, in dessen schwarzen glatten Wänden unsre Gestalten

       sich deutlich widerspiegelten, zum Badezimmer.

       Das Badezimmer hatte sehr viele vierkantige Säulen, die auch

       schwarz waren, aber nicht spiegelten. Jede Säule war von der

       nächsten oder der Wand nur zwei Meter entfernt. Sehr viele gelbe

       und weiße Metallgeräte standen umher, deren Bedeutung ich nicht

       verstand; dieselbe hatte auch kein Interesse für mich.

       Ich wurde hier dem Oberpriester Lapapi vorgestellt, der sich

       natürlich auch in der Gestalt eines Nilpferdes zeigte und ebenso wie

       die beiden andern einen blauen Flanellrock trug.

       Die Herren baten mich, ihnen während des Bades doch was zu

       lesen zu geben.

       Und während ich nun mit einer Kühnheit, die mich selber

       überraschte, ins Bad stieg, lasen die drei Herren:

      Kapitel 2

      Das neue Leben

       Architektonische Apokalypse

       Langsam dreht sich der alte Erdball um die alte Sonne,

       die nicht mehr glüht und strahlt wie einst.

       Dunkelviolett scheint die alte Sonne, so daß es nie

       mehr Tag wird – auf Erden niemals mehr.

       Stille Nacht ist überall.

       Es ist sehr sehr still.

       Der Himmel ist schwarz wie schwarzer Sammet.

       Die Sterne aber funkeln so hell wie sonst – wohl noch

       heller, da sie größer sind.

       Goldene Sterne sind's!

       Der Erdball ist ganz weiß – ganz mit weißem Schnee

       umhüllt – mit leuchtendem Schnee!

       Sternklare Winternacht auf den Höhen und im Tal!

       Die tote Erde dreht sich immer langsamer.

       Doch im sammetschwarzen Himmel wird's lebendig.

       Die großen Erzengel kommen.

       Mit riesig großen weißen Flügeln flattern sie eiligst

       herbei. Es rauscht durch den Himmel.

       Es wird so laut, so voll Trubel die Luft, als wenn viele

       Millionen großer Völkerscharen zu neuem Leben

       erwachen.

       Aber es kommen nur die Erzengel. Es sind ihrer

       zwölf. Sie sind so schrecklich groß. Sechs umflattern die

       eine Hälfte der Erdkugel und sechs die andre, so daß man

       von beiden kaum mehr was sieht.

       Die Engel beugen langsam, Flügel schlagend, die

       Köpfe herunter. Ihre Füße schweben hoch über den

       beiden Polen der Erde. Die zwölf Köpfe bilden bald mit

       ihren flatternden blonden Locken um des Erdballs Mitte