Название | Homo sapiens movere ~ gebrochen |
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Автор произведения | R. R. Alval |
Жанр | Языкознание |
Серия | gebrochen |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738005448 |
Mein Herz war nach wie vor nicht geheilt. Doch mit genügend Abstand – hey, ich hatte immerhin schon ein paar Monate ohne ihn ausgestanden – käme ich über diesen eingebildeten Lackaffen hinweg. Von jetzt an musste ich nicht mehr fürchten, dass ich halbjährlich mit ihm konfrontiert wäre. Wegen des Rituals. Abgesehen von der immer noch bestehenden Möglichkeit, dass das Rudel erst aufgab, wenn ich tatsächlich zwei Meter tief unter der Erde lag. Oder waren es drei Meter? Egal. Ich musste schnellstmöglich wieder auf die Beine kommen. Dann konnte ich mir immer noch Gedanken darüber machen, wie ich den Gestaltwandlern entkäme. Notfalls mussten eben sie dran glauben.
Eine zweite Chance bekamen sie nicht.
Ich war vorgewarnt.
Die nächsten Wochen kämpfte ich.
Jeden Tag gab ich mein Bestes. Versuchte, so schnell wie möglich meine alte Form zurückzuerlangen. Fehlschläge einzustecken und mir diese auch einzugestehen, gehörte ebenso dazu wie die winzig kleinen Fortschritte. Dominik holte mich immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Glücklicherweise ließ er auch ein Lob niemals aus. Verwirrend waren jedoch die Momente, in denen ich Besuch bekam. Von meiner Familie fast täglich. Doch immer öfter kam auch Steward Bingham in mein Zimmer, fragte mir Löcher in den Bauch und informierte sich über meine Fortschritte.
Nickend nahm er sie hin.
Ob das gut oder schlecht war? Keine Ahnung.
Nebenher erfuhr ich etwas Wichtiges: Ich hatte es ihm zu verdanken, dass ich überhaupt noch unter den Lebenden weilte. Ohne sein Blut wäre ich meinen Verletzungen erlegen. Allerdings schaffte es kein noch so starkes Vampirblut oder irgendwelche Magie, egal welcher Spezies, eine Heilung vollkommen zu machen. Steward hatte mir quasi die Möglichkeit gegeben. Einen Strohhalm. Aber nutzen musste ich ihn selbst. Nun, das war besser als in einem Sarg zu liegen. Die Tatsache, dass Vampirblut sich mit jedem Blut vermischen ließ, war interessant. Menschen konnten untereinander nicht wahllos Blut spenden. Vampire schon. Zugegeben, rein menschlich war ich nicht. Abgesehen von meinen movere-Genen wohnte in mir schließlich auch ein winziges Teilchen eines Ker-Lon. Mächtige Dämonen, deren Blut giftig für Vampire war. Ein Grund, weshalb ich mich nicht mehr vor einem Biss fürchtete.
Denn nur die Beimischung der Enzyme während eines Bisses waren für movere gefährlich. Das Blut eines Vampirs an sich nicht. Allerdings war das mit dem Ker-Lon-Anteil in mir eine Sache, die ich liebend gern vor meiner Familie und der normalen Welt verheimlicht hätte. Mir blieb jedoch nicht erspart, dass ich unzähligen Tests unterzogen wurde. Ich hatte jedoch so eine Ahnung, dass Steward die ein wenig… nun ja… frisierte. Nebenbei erfuhr ich auch, dass ich während meines Komas einige Technik zerstört und mich mit Hilfe meiner eigenen Energie hatte reanimieren können.
Wow.
Ich war sozusagen mein eigener Defibrillator!
Ein Glück, dass ich die medizinischen Geräte nicht zu erstatten hatte. Ich litt zwar nicht an akutem Geldmangel, aber das Krankenhaus war gegen jedwede Eventualitäten abgesichert. Der Tatsache, dass mein Konto stets gedeckt war – ähm, ich hatte eigentlich mehr als eins – war es auch zu verdanken, dass ich nach wie vor eine Wohnung besaß.
Oh, mir fiel ein, dass ich drei Aufträge in den Sand gesetzt hatte. Nicht wortwörtlich. Aber sie nicht auszuführen, kam dem ziemlich nah. Bingham war nur einer meiner Kunden, dem meine Dienstleistung nicht zur Verfügung gestanden hatte. Ich war dementsprechend ziemlich froh zu hören, dass sein Auftrag immer noch existierte. Er wollte niemand anderen. Nur mich.
Ha, ich fühlte mich gleich viel besser.
Ehrlich!
Ob ich Steward sagen sollte, dass ich auf der Abschussliste der Gestaltwandler stand? Ich entschied mich, dieses unwichtige Detail für mich zu behalten. Wenn es so weit war – und ich würde mich weiß Gott nicht auf einen Präsentierteller vor Alans Rudel legen – würde Bingham das schon bemerken.
Weitere Wochen vergingen, bis ich in der Lage war, kurze Spaziergänge zu machen. Selbst wenn die auf mich die Wirkung eines Marschs quer durch Europa hatten; ich mich mit dem atemberaubenden Tempo eines Faultiers und der Grazie eines Nilpferds bewegte. Dennoch genoss ich es, mich an der frischen Luft zu verausgaben. Solange es nicht regnete. Das tat es ziemlich oft Ende September. Wenn Dominik mich nicht begleitete, tat es meine Mutter. Oder Steward Bingham. In seiner Gegenwart kam ich mir allerdings vor wie ein schwaches Kind.
War ich in seinen Augen bestimmt auch.
Sogar Chris und zwei Freundinnen besuchten mich regelmäßig, obwohl ich die beiden in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt hatte. Meine unbeholfenen, uneleganten Bewegungen ließen mich neben ihnen – oder eigentlich neben jedem – aussehen wie eine altersschwache, gebrechliche Frau.
Ich hasste es, nicht richtig zu funktionieren.
Hinzu kam die Sorge, dass Alans Rudel nur darauf wartete, erneut zuzuschlagen. Obendrein die Befürchtung, dass ich meine Fähigkeiten als Saphi nicht unter Kontrolle haben könnte. Deswegen kam ich gar nicht erst in Versuchung diese zu testen.
Natürlich spürte ich den Energieabfall in meinem Körper. Aber da die Energie auf diesem niedrigen Level im Moment konstant blieb, hatte ich zumindest das Bedürfnis, mich zu nähren, im Griff. Sogar bei Gewitter. Bloß gut, dass ich herausgefunden hatte, dass es mir leichter fiel dessen Elektrizität zu ignorieren, sobald sich jemand in meiner unmittelbaren Nähe befand. Egal wer. Nun ja, sagen wir so: Steward war zufällig da gewesen. Während meines Komas war ebenfalls ständig jemand an meiner Seite gewesen, so dass niemandem etwas aufgefallen sein dürfte. Falls es in der Zeit ein Gewitter gegeben hatte. Ansonsten hätte man mich sicher schon längst in einen faradayschen Käfig gesperrt und mich darin – zu Untersuchungszwecken – verrotten lassen.
Wochen vergingen.
In denen lernte ich meinen Körper neu kennen. Ich war zwar noch immer nicht die Alte, aber ich konnte mich zumindest wieder wie ein Mensch bewegen.
Ein normaler Mensch – kein movere.
Meine Fähigkeiten waren nach wie vor vorhanden. Doch ich hatte Angst, mich diesen gegenüber zu öffnen. Auch nicht nach der anschließenden Reha. Solange dieses Problem bestand, würde ich allerdings arbeitslos sein.
Auch für Bingham.
Doch der schien außerordentlich geduldig zu sein – was den Gegenstand betraf, den ich für ihn zurückholen sollte. „Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst. Überstürze nichts.“ Nein, das hatte ich auch nicht vor. Ganz bestimmt nicht!
In all der Zeit hatte ich Unterstützung von meiner Familie, von Steward und von Freunden, die ich geglaubt hatte, seit langer Zeit aus den Augen verloren zu haben.
Doch zu keinem Zeitpunkt von einem aus Alans Rudel. Das erhärtete meine Theorie, dass sie hinter dem Unfall steckten und machte es zur gnadenlosen Gewissheit. Sie warteten ab, bis ich wieder hergestellt war. Das ergab in meinen Augen keinen Sinn. Ich wollte ihnen jedoch auf keinen Fall unterstellen, plötzlich fair spielen zu wollen.
Ende Januar 2118 war ich endlich wieder daheim – obwohl man mich noch eine Weile hatte beobachten wollen. Denn aus ungeklärter Ursache trat ich hin und wieder weg. Licht aus; Augen zu; aus die Maus. Fiel einfach um. Mein Blutdruck war normal. Auch alle anderen Körperfunktionen zeigten keinerlei Abweichungen. Selbst meine Gehirnaktivitäten wichen nicht von der Norm ab. Doch da ich das letzte Mal kurz vor Weihnachten umgekippt war, sah man keine Notwendigkeit, mich weiterhin beobachten zu müssen. Mein Arzt meinte, damit müsse ich wohl leben. Vielleicht sei es einfach nur der Stress. Oder die Vorfreude, endlich wieder heimzukommen.
Tja, drei Weihnachten hintereinander in den Sand gesetzt… schlimmer konnte es kaum kommen, oder?
4
Ich hatte Claudia und Trudi, die eigentlich Tamara hieß, schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Wenn ich es mir recht überlegte, waren