Die Putzfrauen meiner Mutter. Katja Pelzer

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Название Die Putzfrauen meiner Mutter
Автор произведения Katja Pelzer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742743657



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nicht. Eher angewidert. Außerdem kam ich mir unsäglich dumm vor. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, ihm Picknick vorbeizubringen? George konnte ganz offensichtlich sehr gut für sich selbst sorgen.

      Natürlich haben wir an einem der nächsten Tage über das Gesehene gesprochen. Und natürlich betonte George, dass Sabine gar keine Bedeutung außer einer sexuellen für ihn hatte. Aber was bedeutete das denn bitte? Machte sie das denn nicht gerade bedeutend? Ich hatte schließlich nicht wirklich eine sexuelle Bedeutung für ihn. Wir hatten seit sechs Jahren nicht mehr miteinander geschlafen. Das wusste ich so genau, wegen September 11th. In jenem Winter war unsere Sexualität eingeschlafen. Und das weiß ich aus anderen Gründen noch ganz genau.

      Kapitel 9

      Die sexuelle Bedeutung von Sabine trieb mich um, ob ich wollte oder nicht. Sie trieb außerdem einen Stachel in mein Herz. Denn hätte ich eine sexuelle Bedeutung für George gehabt und er für mich, dann wären wir vermutlich nicht so kinderlos geblieben, wie wir das geblieben sind.

      Glaube ich zumindest. George war tatsächlich, abgesehen von seinem sexuellen Desinteresse an mir, auch generell nicht wirklich daran interessiert, Kinder zu zeugen. Ach der Plural ist eigentlich schon wieder übertrieben. Ein Kind zu zeugen, sagt es eigentlich bereits. Er hatte nie einen Kinderwunsch. Ich dagegen schon.

      Es hat eine Zeit in Georges und meinem Eheleben gegeben, in der ich daher zu verzweifelten Mitteln griff. Diese verzweifelten Mittel nahmen in aufreizender Reizwäsche Form an – in Strapsen, Korsetten, Tangaslips und solchen, die an entscheidenden Stellen Löcher hatten. Was soll ich sagen? Anfangs hob George noch mäßig interessiert den Kopf von seinem Buch, wenn ich mich in solcher Aufmachung im Schlafzimmertürrahmen fläzte und ihn wie ich dachte verrucht anblitzte. (Vermutlich eine Täuschung, da ich mich überhaupt nicht verrucht fühlte, sondern komplett lächerlich und eine Spur verunsichert durch seinen britisch-blasierten Blick.) Später dann blickte er erst auf, wenn ich in kühner Verkleidung geschmeidig (auch so eine Selbstüberschätzung) neben ihm ins Bett glitt. Aber auch nur kurz. Sekundenlang möglicherweise. Dann tätschelte er meinen ihm zugewandten Oberschenkel, sagte etwas wie „Gute Nacht, Darling“. Und wendete sich wieder seinem Buch zu. Nicht mal ein Kuss. Also tat ich das einzig Richtige, mit meinem Stolz vereinbare – ich unterließ die nackte Verbiegung. Stattdessen versuchte ich es mit einem sachlichen Gespräch über eine mögliche Fortpflanzung unsererseits.

      „Noch nicht jetzt, Sweet“, hieß es anfangs – „Erst muss ich mit der Praxis auf einen grünen Zweig kommen.“

      Das Bild fand ich schon damals schief. Heute erst recht. Ein grüner Zweig würde unter einer Praxis wohl abbrechen. Und genau das geschah mit meiner Hoffnung auf Mutterschaft irgendwann, nach ungezählten weiteren kommunikativen Anläufen und nachdem ich deutlich meinen Wunsch, Mutter zu werden, formuliert hatte. Zu hören bekam ich daraufhin nämlich ein dezidiertes „Nein“ und „wie stellst du dir das denn vor? Wir müssen unsere Wohnung abbezahlen, die teuren Geräte in der Praxis. Wenn Dein Gehalt wegfällt, ist das schwer zu schaffen.“

      Ich habe mich 2001 kurz nach September 11th in mein Schicksal ergeben. Und von da an zog ich meinen Körper zurück. Er würde George nie mehr gehören. George meldete keinen Verlust an und versuchte nie mich umzustimmen. Und dann kam Sabine und bewies, dass es in George sehr wohl so etwas gab, wie sexuelle Energie. Nur eben nicht für mich.

      Kapitel 10

      Mir war damals niemand Anderes eingefallen, dem ich empört von diesem Tornado namens Sabine berichten konnte, als meine Mutter. Also rief ich sie an. Sie ließ mich zunächst nicht zu Wort kommen. Es war gerade wieder eine neue Putzkraft in ihr Leben getreten und meine Mutter kannte daher nur ein Thema. „Sie ist einfach wunderbar“, schwärmte sie ausnahmsweise ausgelassen. „Sie macht alles genauso wie ich es ihr sage. Und hat dann noch immer Zeit übrig, um außer der Reihe Schubladen auszuputzen und die Terrasse zu fegen.“ Meine Mutter war ganz aus dem Häuschen und kaum zu beruhigen. Als ich endlich dazwischenkam, herrschte am anderen Ende zunächst Stille.

      „Mama?“, fragte ich, um sicher zu gehen, dass die Verbindung noch stand.

      „Kind, das kommt doch in den besten Familien vor. Nimm es Dir nur nicht zu Herzen“, kam dann etwas verzögert das Statement meiner Mutter. Dabei nahm ich es mir ja gar nicht zu Herzen. Das sagte ich meiner Mutter auch. Was ich mir zu Herzen nahm, war meine Kinderlosigkeit, die hinter diesem Verrat wieder zum Vorschein kam und die ich George genau in diesem Moment übelnahm und ankreidete – mit roter Kreide bitte schön. Oder noch besser – gleich mit meinem Menstruationsblut. Das ich Monat für Monat vergoss. Und wofür? Für die totale Fruchtlosigkeit unserer Ehe, noch dazu der kompletten unfreiwilligen Asexualität unseres Zusammenlebens. Das alles war für mich plötzlich sehr schwer zu ertragen. Dabei hatte ich mich durchaus selbst immer als einen sachlichen und souveränen Charakter gesehen. Aber hier genau begann und endete meine Schwachstelle.

      Es war für mich immer klar gewesen, dass ich die Ehe mit George zwecks Vermehrung eingegangen war. Es war sogar die Antwort auf die Frage gewesen: Warum heiraten?

      Georges Verhalten und zumal seine Untreue führten unsere Ehe ad absurdum.

      An dieser Stelle stand ich nun. Darüber wollte ich mit meiner Mutter reden. Nicht über so etwas Lapidares wie einen sexuellen Seitensprung.

      Ich hörte meine Mutter am anderen Ende der Leitung atmen. Sie atmete tief. Sie atmete ein. Sie atmete aus. Und dann sagte sie etwas ganz Ungeheuerliches.

      „Ich habe immer gedacht, Du wolltest gar keine Kinder. Das wäre dir viel zu viel Arbeit.“

      Tja, das ist meine Mutter. So hörte sie mir nicht zu. Aber meine Wut hielt sich in Grenzen. Eigentlich bestätigte ihr Kommentar nur meine Befürchtung, dass ich ihr eigentlich nichts zu erzählen brauchte. Sie war weder eine gute Zuhörerin, noch eine gute Ratgeberin. Ich seufzte also sehr tief, auch um keine Wut aufkommen zu lassen und antwortete betont ruhig – „Tja, da hast du dich aber total getäuscht.“ Und dann legte ich frustriert auf.

      Kapitel 11

      Mittlerweile glaube ich ja, dass mein Vater der wichtigste Mann in meinem Leben ist. Er ist mein Kompass. Auf ihn ist immer Verlass und er ist immer richtig eingestellt. Er hat mir stets aufs Neue gezeigt, was Bescheidenheit, Nächstenliebe, Verzeihen und Großzügigkeit bedeuten. Denn für ihn sind das nicht bloß Begrifflichkeiten, sondern gelebtes Leben.

      Er ist außerdem ein sehr gläubiger Mensch. Vielleicht bedingt ja auch eins das andere. Vielleicht ist er ein so liebenswerter, großzügiger Mensch, weil er so gläubig ist. Wir wurden jedenfalls Sonntag für Sonntag wie die Schäfchen in die Kirche getrieben.

      Da saß ich dann in der harten, kalten, unbequemen Holzbank, eingeschüchtert von der donnernden Stimme des Pastors, der über zwei Meter lang war, weit über die Kanzel ragte und jedes Mal vornüber zu kippen drohte, wenn er uns mal wieder in großer Geste die Bedrohlichkeit des Jenseits für alle Sünder predigte. Eingeschüchtert war ich aber auch, von all den Heiligen, die auf den Gemälden und Fresken an den Wänden und der Decke der alten Kirche abgebildet waren und nie auch nur ein bisschen fröhlich oder lebensfreudig wirkten. Viel Blut war überall, tiefes Leid und Höllenqualen. Von Jesus Leidensweg mal ganz abgesehen. Alles schien ein einziges tiefes Jammertal zu sein.

      Manchmal erlaubte ich mir daher einen Ausflug in positivere weltliche Gefilde. Zumindest im Geiste.

      Es gab zwei Lichtgestalten, die zu unterschiedlichen anderen Kirchgängerfamilien gehörten. Die eine war ein Er und sah aus, wie ein griechischer Gott. Ich hätte mich stundenlang in sein klassisches olivfarbenes Gesicht versenken können, vor allem in sein markantes Profil, das ich manchmal erhaschte, wenn er sich zur Seite wendete, seinen Eltern oder seinem Bruder zu.

      Die andere Lichtgestalt, war die engelsgleiche blonde Tochter einer sehr adeligen Familie. Durchscheinend schön. Sie wirkte wie aus anderen Sphären und war es auch. Schließlich war ihr Großvater einer der Hitler-Attentäter gewesen.