Die Putzfrauen meiner Mutter. Katja Pelzer

Читать онлайн.
Название Die Putzfrauen meiner Mutter
Автор произведения Katja Pelzer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742743657



Скачать книгу

jedenfalls hielt ich mich fest, so gut es ging, um nicht von den Drohgebärden des Pastors und seinen Höllenversprechen ins diesseitige Fegefeuer heruntergezogen zu werden. Das Leben durfte einfach nicht nur schrecklich sein. Das wollte ich nicht glauben.

      Ich habe meinem Vater zu Liebe auch wirklich versucht, mich in der katholischen Welt zurechtzufinden. Meine Schwester Claudia und ich wollten sogar Messdienerinnen werden. Meine Schwester mehr als ich. Aber ich hoffte, wenn ich einfach die Perspektive wechseln würde, wäre der Sonntagsgottesdienst erträglicher. Ich hätte eine Aufgabe gehabt und wäre den ganzen Heiligen nicht mehr so schutzlos ausgeliefert gewesen. Außerdem müsste ich den Pastor nicht mehr von vorne über die Kanzel wettern sehen, sondern häufig nur seinen Rücken.

      Aber was war das für ein weiter Weg! Erst mal wurden wir im sozialen Miteinander auf Eignung getestet. Einmal in der Woche trafen sich alle Anwärter und auch schon die zu Messdienern gekürten Mädchen und Jungen zum Spielen in einer Jugendgruppe im Pfarrheim. Ich erinnere mich an einen künstlich beleuchteten, fensterlosen, muffig riechenden Raum, in dem wir Mensch-ärgere-Dich-nicht oder Karten, aber auch Tauziehen spielten und in dem man nie wusste, ob gerade die Sonne schien oder es wie aus Eimern schüttete.

      Aber darum ging es den Jugendgruppenleitern auch gar nicht. Sie wollten sehen, ob wir Teamplayer waren. Und ich war kein Teamplayer. Das erkannte ich ziemlich bald. Leider lange bevor ich auch nur in die Nähe des Messdiener-Trainings gekommen wäre.

      Claudia zog es dagegen durch, so wie sie alles durchzog. Manchmal auch einfach des Durchziehens wegen. Ich dagegen erwartete immer das bestmögliche Ergebnis für minimalen Einsatz. Beides vermutlich nicht die besten Wege. Aber wir waren Kinder.

      Es war ein bestimmter Nachmittag der meinen Weg zum Messdienerin-sein beendete. Der von mir angeschwärmte Junge mit dem markanten Profil war im Pfarrheim und spielte mit einer Gruppe anderer Kinder Mau Mau. Heute spielen Kinder Uno, wir haben Mau Mau gespielt. Klar, dass ich unbedingt mitmachen wollte. An einem Tisch sitzen mit diesem Jungen? Ein Traum, der in diesem Moment zum Greifen nahe war. Und Wirklichkeit wurde, als ich ihm gegenüber Platz nahm. Allerdings war ich so in den Anblick des Jungen vertieft, dass ich nicht merkte, dass auch andere Mädchen für ihn schwärmten. Natürlich.

      Das Mau Mau-Spiel wurde, nachdem ich mich dazugesellt hatte, willkürlich umgemünzt zu Folter-Mau-Mau oder Fingerkloppe. Wer als letzter die Karten ablegt, bekommt mit dem Kartenstapel Schläge auf die Hand. Leider war ich nicht wirklich bei der Sache, sondern mit meinem Blick und meinen Gedanken immer bei dem Jungen.

      Das Mädchen, das die Schläge verabreichte, war schon an sich derb. Sie hatte einen harten Ausdruck im Gesicht und benutzte Ausdrücke, die ich bis dahin noch nie gehört hatte. Unsere Mutter wollte nicht einmal, dass wir „Quatsch“ sagten oder „Was?“ fragten, statt „Wie bitte“.

      Während dieses derbe Mädchen die anderen Verträumten – außer mir waren das nur zwei andere, und nur jeweils einmal – wie angekündigt auf den Handrücken schlug, änderte sie die Strafe für mich speziell noch einmal ab.

      Im Nachhinein dachte ich, dass sie mich besonders hasste, weil der Junge häufig meinen Blick erwiderte und mir sogar zulächelte, während er sie gar nicht beachtete.

      Sie schlug nicht auf meinen Handrücken. Sie schabte mit den Kartenenden darüber. Ich schluckte den Schmerz und die Schmach herunter, obwohl meine Haut schon nach dem ersten Mal aufgekratzt war. Der Junge versuchte das Mädchen sofort zu bremsen, genauso erschrocken, wie ich über ihre Aggressivität. Doch das schien das Mädchen nur noch rabiater zu machen.

      Ich konnte aber auch nicht aufhören oder gar gehen. Ich wollte in seiner Nähe sein. Und wenn das der Preis war, dann musste ich ihn eben zahlen.

      Ich versuchte, mich besser zu konzentrieren. Doch es gelang mir einfach nicht.

      Nach dem dritten Mal war mein Handrücken eine einzige blutende Wunde. Noch heute spüre ich den Schmerz. Ich fühlte mich gedemütigt und gleichzeitig durch die Freundlichkeit des Jungen geadelt. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass in meinem Leben Liebe ein Synonym für Schmerz sein würde.

      Damals war ja auch alles noch ganz einfach. Als ich abends nach Hause kam, versorgte mein Vater meine Hand mit Jod und einem Verband und alles war wieder gut. Zumindest für mich. Während mein Vater mich verarztete, schüttelte er immer wieder entgeistert den Kopf.

      „Das hat ein Mädchen aus dem Pfarrheim getan?“

      Er konnte es nicht fassen. Obwohl er wie der Pastor und als guter Katholik davon überzeugt war, dass das Leben hart und unerbittlich war. Aber dass Kinder so bösartig andere verletzten, war nicht vereinbar mit seiner Vorstellung von tätiger Nächstenliebe.

      Ich bin danach nie wieder ins Pfarrheim gegangen. Claudia wurde alleine Messdienerin.

      Kapitel 12

      Wir waren als Kinder ständig draußen. Auf diese Weise wollte unser Vater uns unter anderem für die harte Wirklichkeit stählen und uns beibringen, nicht so zimperlich zu sein. Wir wurden keine Memmen. Keines von uns. Wohl eher im Gegenteil. Wir konnten immer schwer einschätzen, wann es genug war und wann die Grenze des Zumutbaren erreicht war. Zwar alberten wir viel herum. Überspielten damit aber häufig, wie es wirklich in uns aussah.

      Im Winter ging es in die Berge zum Skifahren. Kein Schneefall, kein Kälteeinbruch oder jedwede schlechte Sicht hielten unseren Vater davon ab, mit uns die Bretter anzuschnallen. Besonders liebte er es, wenn der Nebel in Fetzen am Hang hing – als partielle Unschärfe.

      „So ist das Leben in den Bergen“, lachte er gegen Wind und Wetter an.

      Unsere Mutter war währenddessen im warmen Hotel und ließ sich Masken auflegen und Ganzkörper massieren. Sie fühlte sich seit ihren drei Geburten aus der Form geraten und tat alles, um wieder in sie zurückzufinden. Mit den neusten Diäten und Gymnastikarten. Aber Schnee mochte sie nicht. Und so blieb sie lieber Drinnen.

      Mein Vater ließ sich dennoch nicht von unseren Skiferien abbringen. Sie waren mein ganzes Glück. Dann aber irgendwann auch mein ganzes Unglück. Doch dazu später mehr. Am besten viel später. Ich kann nicht darüber sprechen. Noch immer nicht.

      Eine Skiwoche verbrachten wir beinahe ausnahmslos ohne Skifahren. Wir waren eingeschneit. Es war aus dem Tal kein Heraus- und kein Hereinkommen. Kein Lift ging. Erst recht keine Gondel. Ich erinnere mich noch gut an einen Schneespaziergang. Wir liefen alle in Skiklamotten los. Meine Mutter war ausnahmsweise auch dabei. Sie wollte sich bewegen und trug einen wuchtigen Fuchspelz. Der passte perfekt zu ihrem schwarzen Haar, das sich unter der passenden Fellmütze wie Pech über den fuchsfarbenen Pelz ergoss. An den Füßen trug sie Fellstiefel.

      Unser Vater warf uns abwechselnd in den Schnee und wir quietschten und kreischten vor Vergnügen. Wir waren kaum wieder aufgestanden, da schubste er uns erneut. Immer wieder. Und manchmal tat er so, als stolperte er über unsere Beine und fiel gleich auch noch hinterher. Diese Slapstick-Showeinlagen waren für uns die Krönung. Wir kamen aus dem Lachen nicht heraus. Es war eine Sorglosigkeit um uns gewesen, wie selten. Unsere Mutter forderte unseren Vater dann jedoch recht bald auf, mit dem Unsinn aufzuhören, da wir ja sonst nicht vorwärts kämen. Außerdem fröre sie. Was nur schwer zu glauben war, angesichts ihres üppigen Fuchspelzes. Aber so war sie eben. Sie langweilte sich bei unseren Kindereien. Unser Vater machte dagegen oft Spaß mit uns und war sich dabei für nichts zu erwachsen.

      Im Hotel hatte sich ein fieser Erkältungsvirus ausgebreitet. Die Stimmung kippte ins Sanatoriumshafte. Die Bronchien der Menschen rasselten.

      Wie in einem Agatha Christie Krimi erwischte es einen nach dem anderen, bis schließlich alle infiziert waren. Nur an unserem Tisch waren alle gesund geblieben. Warum auch immer. Vielleicht weil unser Vater uns immer nach draußen schickte.

      Alle musterten sich misstrauisch um herauszufinden, an welchem Tisch das Virus seinen Anfang genommen hatte. Die Spannung war deutlich spürbar gewesen. Es gab kein Entkommen. Für keinen.

      Die Amerikaner konnten nicht zurück nach Amerika fliegen. Die Engländer nicht zurück nach