Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext. Группа авторов

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Название Literarische Mehrsprachigkeit im österreichischen und slowenischen Kontext
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Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783772000973



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dieser Kultur vor allem jene Autor_innen einen Namen, die in slowenischer Sprache schreiben. Die einzige Ausnahme ist Maja HaderlapHaderlap, Maja, deren deutschsprachiges Schaffen im slowenischen Zusammenhang aufgrund der vorhandenen Übersetzungen ins Slowenische in jüngster Zeit viel Beachtung findet, sich aber auch nahtlos in die Diskussion um eine Erweiterung des Begriffs ‚slowenische Literatur‘ einfügt.Hladnik, Miran3

      Da vor allem die jüngeren zweisprachigen Kärntner Autor_innen die Möglichkeit nutzten, in beiden Sprachen zu schreiben und zu publizieren, sprach Johann StrutzStrutz, Johann bereits in den 1990er Jahren von einer ‚Entregionalisierung‘ der slowenischen Literatur in Kärnten, die auch Rückwirkungen auf die literarische Produktion habe (Strutz 1998: 27–28). Heute lässt sich diese Deregionalisierung in ihrer vollen Ausprägung beobachten. Will man die Literatur der Kärntner Slowen_innen in allen ihren Formen erfassen, reicht es daher nicht mehr aus, sie als Produkt einer ethnischen, sprachlichen, regional verankerten Minderheit zu beschreiben, die an den Schnittstellen des österreichischen und des slowenischen Literatursystems verortet ist. Die veränderten Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen, die allgemeinen sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen, die neuen kommunikationstechnologischen und medialen Möglichkeiten sowie die gesteigerte Mobilität von Autor_innen führen auch dazu, dass man im Grunde nur noch bedingt von ‚der‘ oder ‚einer‘ Kärntner slowenischen Literatur sprechen kann. Auch erscheint es keineswegs klar, welche Autor_innen oder Einzeltexte ihr zugezählt werden können, zumal vorübergehend oder auf Dauer in Kärnten lebende Autor_innen aus Slowenien maßgeblich an der slowenischen Literaturproduktion beteiligt sind, während einige Kärntner slowenische Autor_innen (fast) nur auf Deutsch schreiben und ihren Lebensmittelpunkt seit geraumer Zeit nicht mehr in Kärnten haben. Hinzu kommen Autor_innen verschiedenster Provenienz, die nicht slowenischsprachig sind, die aber in ihren Texten auf den zweisprachigen Raum, die Lebenswelt, die Geschichte, die Erinnerungsnarrative und die Literatur von Kärntner Slowen_innen Bezug nehmen und in ihren Texten Verfahren literarischer Zwei- und Mehrsprachigkeit anwenden.Srienc, DominikKöstler, Erwin4

      2 Der Begriff des ‚überregionalen literarischen Interaktionsraums‘

      Es ist evident, dass eine integrierte Darstellung der zweisprachigen literarischen Praxis der Kärntner Slowen_innen diese Diversität, Heterogenität und Überregionalität berücksichtigen muss. Um den Raum, der für die Beschreibung dieser Literatur relevant ist und der prospektiv weder sprachlich noch topographisch eingegrenzt werden kann, konzeptuell zu erfassen, wurde der Begriff des ‚überregionalen literarischen Interaktionsraums‘ eingeführt. Er sollte einen grundsätzlich abstrakten, offenen, transnationalen Raum bezeichnen, als dessen Teil die Literatur der Kärntner Slowen_innen erachtet werden kann, die nicht allein auf das regionale zweisprachige, das österreichische und das slowenische literarische Feld beschränkt ist, sondern produktiv wie rezeptiv weit über den regionalen Zusammenhang hinausreicht.

      Als Ausgangspunkt dienten die Arbeiten und konzeptuellen Überlegungen von Johann StrutzStrutz, Johann zu einer literarischen Komparatistik der Alpen-Adria-Region, die auf die lebensweltliche und textuelle Interkulturalität im Regionalraum fokussieren (Strutz 2003: 351–352).Strutz, Johann1 Die von ihm beschriebene polyphone und transkulturelle „écriture der Region, die den exklusiven nationalen Nexus in Frage stellt, ohne dabei bestimmte Traditionen aufzugeben, indem sie den nationalen Rahmen zugleich unter- und überschreitet“ (Strutz 2010: 178), und die „spezifischen lnteraktionsformen der Alpen-Adria-Kulturen“ (ebd.: 191) bilden auch insofern eine wichtige Basis für das Konzept des Interaktionsraums, als sein Beschreibungsmodell die vielschichtigen lnterferenzen und Differenzen zwischen den sprachlichen, kulturellen und politischen Zusammenhängen berücksichtigt und die generelle Zwei- oder Mehrsprachigkeit der minoritären Kulturen nicht außer Acht lässt. Letztere „ermöglicht nämlich nicht nur die ‚luxurierende‘, ‚nomadische‘ Teilhabe an mehreren Kulturen, sondern bietet auch die Möglichkeit einer ‚ersatzweisen‘ literarischen Sozialisation durch partielle Übernahmen aus den jeweiligen größeren Nachbarliteraturen“ (Strutz 2010: 191).

      Im Unterschied zu StrutzStrutz, Johann, der den Begriff „Regionalität“ nicht nur als thematische, semantische oder sprachlich-stilistische Kategorie auffasst, sondern ihm neben dem „Aspekt der (alltäglichen) sozialen und kulturellen Praxis“ auch ein „geographisches, raumkulturelles Bezugsmoment von Nähe und Nachbarschaft“ (Strutz 2003: 70) zugrunde legt, verfügt der hier diskutierte Interaktionsraum jedoch über kein ‚echtes‘ geographisches Korrelat. Der überregionale literarische Interaktionsraum darf also nicht mit dem Regionalraum verwechselt werden, in dem die Literatur der Kärntner Slowen_innen einen Teil des Systems der Literaturen im Alpen-Adria-Raum darstellt. Der räumliche Kontakt zwischen Sprachen und Kulturen in synchroner wie diachroner Perspektive ist auch hier von Bedeutung, sowohl auf der Ebene der praktischen Organisation des literarischen Lebens als auch auf der Textebene, doch hat die ‚Entregionalisierung‘ dieser Literatur aus überregionaler Perspektive eine Verschiebung von den intrasystemischen Relationen, Kontakten, Interferenzen und Transfers zwischen den Literaturen der Alpen-Adria-Region zu den intersystemischen Interaktionen insbesondere im deutsch- und slowenischsprachigen Raum zur Folge. Der räumlich-geographische Aspekt muss aber auch überschritten werden, um die Migration von Personen, das Zirkulieren von Texten und deren globale Verfügbarkeit sowie Phänomene wie Intertextualität, Intermedialität und die Verlagerung von Literatur in virtuelle Räume als Elemente literarischer Interaktion aufeinander beziehen und die systemische Position der rezenten zweisprachigen Literatur der Kärntner Slowen_innen bestimmen zu können.2

      Im Übrigen sind die theoretisch-methodischen Grundlagen für die Beschreibung des überregionalen literarischen Interaktionsraums weitgehend dieselben, wie sie von StrutzStrutz, Johann für die literarische Komparatistik der Alpen-Adria-Region herangezogen wurden: das Konzept „kleiner Literaturen“ in der Nachfolge von GuattariGuattari, Félix und DeleuzeDeleuze, Gilles (1976), die Kultursemiotik LotmansLotman, Jurij (2010) unter Bezug auf BachtinsBachtin, Michail metalinguistischen Sprach- und Dialogizitätsbegriff und die Polysystemtheorie Itamar Even ZoharsEven-Zohar, Itamar (1990) (vgl. Strutz 2003: 23–67, 2010: 184–191). Als besonders anwendbar für die Konzeption und Beschreibung des Interaktionsraums erwiesen sich die Instrumentarien und Begriffe der Polysystemtheorie, die auf sozialen Relationen beruhende Feldtheorie BourdieusBourdieu, Pierre Félix (1999), die bei Strutz nur am Rande Erwähnung findet, und das LotmanLotman, Jurij’sche Modell der Semiosphäre. Letzteres erlaubt es, den Interaktionsraum auch als abstrakten, diskursiven semiotischen Raum zu begreifen, der mit gegebener kultureller Bedeutung operiert und neue kulturelle Bedeutungen hervorbringt, indem in ihn verschiedene, sich überlagernde, zwei- oder mehrsprachige Grenzen (sowohl gegenüber dem inner- als auch dem außer- und anderssemiotischen Raum) eingeschrieben sind, an denen es aufgrund ständiger Einflüsse von außen zu besonders intensiven semiotischen Prozessen kommt (Lotman 2010: 182, 184, 189). Einen weiteren Bezugspunkt bildete die österreichische regionalgeschichtliche Literaturraumforschung (vgl. Schmidt-Dengler/Sonnleitner/Zeyringer 1995), insofern sie Kulturraum als „eine Zone spezifischer, hoher Verdichtung von menschlicher Interaktion“ (Thum 1980: 81) begreift und die Institutionengeschichte sowie die Produktions- und Rezeptionsbedingungen untersucht (vgl. Amann 2007).

      Die wichtigste Grundlage für die analytische Arbeit bildeten jedoch die zu erhebenden empirischen Daten zu den im überregionalen und sprachübergreifenden Zusammenhang relevanten Autor_innen und Akteur_innen, Texten und Translaten sowie den Produktions- und Rezeptionsprozessen (vgl. Köstler/Leben 2018: 148–151). Erstellt wurde eine umfassende Datenbank mit mehr als 18.500 Einträgen, beruhend auf den nach 1990 erschienen Buchpublikationen (Primärtexte, Übersetzungen, Anthologien, Werkausgaben usw.), der Auswertung von annähernd 60 österreichischen, slowenischen und italienischen Literatur- und Kulturzeitschriften sowie der Bestandsaufnahme der für den Untersuchungsbereich relevanten Kulturpublizistik und wissenschaftlichen Literatur, aber auch von Internetportalen, Webseiten und Blogs. Es wurden Interviews mit mehr als 40 Personen geführt, die im zweisprachigen literarischen Feld tätig sind (Autor_innen, Übersetzer_innen, Herausgeber_innen, Theatermacher_innen, Filmemacher_innen, Musiker_innen, Literaturwissenschaftler_innen, Kulturmanager_innen und Journalist_innen), und umfassende Bibliographien zu einzelnen Autor_innen angelegt, ebenso wurden Daten zu den slowenischen, zwei- oder mehrsprachigen literarischen