Obwohl die Piraten zu wissen schienen, daß sie kaum eine Chance hatten, das sich anbahnende Gefecht unbeschadet zu überstehen, wollten sie doch nichts unversucht lassen. Deshalb brach augenblicklich die Hölle los. Ein wildes Brüllen und Fauchen erfüllte die stille, malerische Bucht. Die Piraten hatten je eine Culverine auf dem Achterdeck und der Back abgefeuert. Die siebzehn Pfund schwere Kugel, die das achtere Geschütz ausgespien hatte, galt der «Isabella», die andere der Karavelle. Die Kugel die der «Isabella» zugedacht war, klatschte zwar wirkungslos ins Wasser, dafür flogen auf der Karavelle aber die Fetzen…
Als der Schrei des Nachtvogels verklungen war, überkletterten siebzig Krieger der Timucuas die Palisaden rund um die spanische Siedlung. Zum Teil hangelten sie an Pflanzenseilen hoch, zum Teil überwanden sie die Umzäumung mit Bambusleitern. Aber dann wurden sie von den Posten am Haupttor entdeckt. Schüsse und Alarmschreie ertönten, um die Soldaten zu alarmieren, die in ihren Quartieren schliefen. Die Timucuas brauchten nicht mehr leise und vorsichtig zu sein. Mit gellenden Schreien stürmten sie vor. Der Kampf Mann gegen Mann begann, und er wurde von seiten der indianischen Krieger mit gnadenloser Härte geführt. Zu lange hatten sie Schimpf und Schmach und Demütigungen erduldet, zu häufig waren sie ausgepeitscht, getreten und geschunden worden. Jetzt schlugen sie zurück, um sich ihre Freiheit zu erkämpfen…
Im Handstreich hatte Capitan Juan de Faleiro das Kommando auf der «Mercure» übernommen – Kapitän Delamotte, Ferris Tucker und Ed Carberry waren seine Geiseln. Der Rest der Seewölfe hockte gefesselt in der Vorpiek. Kampflos hatten sie sich ergeben müssen, um nicht das Leben der drei Geiseln zu gefährden. Wie es aussah, würde es der schurkische de Faleiro schaffen, seine Gefangenen nach Spanien zu bringen und den Schergen der spanischen Justiz zu übergeben. Was das bedeutete, konnte sich jeder der Seewölfe ausrechnen, nämlich einen Schauprozeß und danach die öffentliche Hinrichtung. Das waren üble Aussichten, wenn es ihnen nicht gelang, das Blatt zu wenden. Und als sizilianische Piraten die «Mercure» angriffen, wurde die Lage vollends verworren…
Hasard betrachtete die Piraten. Er sah Grammont, der mit langen Sprüngen über das Deck hastete, als der Mast umkippte. Er hatte auch noch die Nerven, einen seiner Kumpane blitzschnell umzureißen und ihn so aus dem gefährlichen Bereich des niederkrachenden Mastes zu zerren. Ganz dicht hinter den beiden splitterte es, und eine gewaltige Wolke aus Dreck und Staub, der sich mit der Zeit in den Räumen eingenistet hatte, stieg zum Himmel. Es sah aus, als hätte auf der Galeone gerade eine gewaltige Explosion stattgefunden. Hasards Lippen wurden schmal, als er Grammont nach der Breitseite der «Hornet» wieder an eine Kanone stürmen sah. Der Kerl gab immer noch nicht auf, obwohl sein Schiff nur noch ein Trümmerhaufen war…
Sie holten ihn von einem Wrack, einer aufgelaufenen spanischen Galeone, auf der nicht einmal mehr die Ratten lebten. Der Jonas war zäher als sie gewesen. Er war alt, ausgemergelt, und hatte tote Fischaugen. Aber er sah in die Zukunft, und was er sah, ging in Erfüllung – auch das Seebeben, bei dem das Leben der Seewölfe auf der «Isabella VIII.» an einem seidenen Faden hing…
Die «Isabella» sollte geentert werden, soviel schien klar zu sein. Acht Boote waren es, die den Rio Grande abwärts auf die Galeone zusteuerten und das Feuer eröffnet hatten. Wieder knallten Musketen, und die Kugeln prasselten gegen die Bordwand. Smoky zündete eine Drehbasse auf der Back, der Schuß verließ donnernd das Rohr. Zwischen zwei Booten schlug die Kugel ins Wasser, eine rauschende Wassersäule stieg auf. Die Kerle in den Booten brüllten lauthals. Inzwischen waren auch fünf, sechs Arwenacks zur Stelle und schoben die Läufe ihrer Musketen und Tromblons über die Balustrade der Back. Dort war vorerst der beste Verteidigungspunkt. Noch konnten die 25pfünder und die 17pfünder nicht eingesetzt werden…
Der Sturm schlug zu. Und noch während die Steuerbordrahen der «Vencedor» nahezu im Wasser schleiften – soweit krägte sie, getroffen vom Fausthieb der tobenden Elemente über -, krachte die Steuerbordseite des Viermasters «Roter Drache» und hämmerte den Tod in den aufgebäumten Rumpf des spanischen Flaggschiffs. Dort platzten vier, fünf Löcher auf – unter der Wasserlinie, von gräßlicher Größe, aber noch in der freien Luft, weil sich das Flaggschiff soweit nach Lee verneigt hatte. Dann richtete sich die «Vencedor» wieder auf, mühsam zwar, aber sie schaffte es. Sie wollte noch nicht sterben. In die Löcher jedoch, jetzt unterhalb der Wasserlinie schossen die Wassermassen, unaufhaltsam und mit berstender Kraft…
"Zur Hölle mit den Franzmännern!", schrie Hasard, schwenkte auf dem Achterdeck der «Hornet» eine der drei Drehbassen herum und hielt die Lunte an den Zündkanal. Die Glut sprang über und fraß sich durch das Zündkraut. Dann ruckte der Hinterlader in seiner drehbaren Gabellafette und spuckte seine Ladung zum Flaggschiff des Gegners hinüber. Die Kugel saß. Sie rasierte dem Franzosen ein Stück des Schanzkleides auf dem Vordeck weg. Der Seewolf feuerte auch die beiden anderen Drehbassen ab – wieder mit Erfolg. Aber dann begannen die Culverinen des Gegners erneut Tod und Verderben auszuspucken, und die ohnehin arg lädierte «Hornet» erzitterte unter den Einschlägen…
Al Conroy und Big Old Shane feuerten ihre Geschütze als erste ab. Donnernd und fauchend entluden sich die Culverinen. Die hölzernen Lafetten rumpelten zurück über die Bordplanken und erschütterten das ganze Schiff. Die starken Brooktaue ächzten, als sie die Siebzehnpfünder auffangen mußte. Vier weitere Culverinen wurden abgeschossen. Die Kugeln jaulten hinüber zu der Piratengaleone, auf deren Achterdeck ein riesiger Mann mit roten Haaren und rotem Bart gestikulierend seine Kerle antrieb…
Der Seewolf nahm den breitschultrigen Kerl aufs Korn, in dessen Gesicht eine rote Messernarbe leuchtete. Vergeblich versuchte dieser, eine rasche Abwehr aufzubauen. Mit einem einzigen schmetternden Hieb fegte Hasard seine zur Deckung hochgerissenen Arme beiseite. Der Narbige geriet ins Wanken und taumelte zurück. Hasard setzte sofort nach. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, daß auch Ed Carberry, Ferris Tucker und Batuti mittlerweile voll beschäftigt waren. Ed schickte gleich zwei Gegner nacheinander auf die Reise, indem er sie mit der Brisanz seiner riesigen Fäuste buchstäblich von den Füßen hob…