Ein deutlich zu vernehmendes Kratzen erklang vom achteren Grätingsdeck her. «Diesmal kriege ich dich!» versprach Old Donegal und pirschte nach achtern. Er sagte es wohl mehr, um sich selbst und Paddy Rogers seinen Mut zu beweisen. Die Pistole im Anschlag schlich er weiter. Er schoß in dem Moment, als wie aus dem nichts heraus ein Schatten neben der Hecklaterne auftauchte – eine bucklige Kreatur, so schwarz wie die Nacht und folglich der Hölle entsprungen. Die Laterne stürzte um, Old Donegals Kugel zertrümmerte zu allem Überfluß das Glas. Der Docht flackerte kurz auf, als ersticke er im Öl. Ein dumpfes Platschen erklang von außenbords. «Ha!» rief Old Donegal. «Hab ich dich endlich, du Geist…!»
Hasard und seine Männer duckten sich hinter das Gebüsch am Flußufer nördlich von Arica. Eine Gruppe von sechs Soldaten bewegte sich mit Getöse auf sie zu. Die Kerle trieben Maultiere kreuz und quer durch die Maisfelder, die auf diese Weise sinnlos niedergetrampelt und zerstört wurden. Sie grölten dabei und schwengten Krüge und Trinkbecher. Hasard gab das Zeichen zum Angriff. Die Männer schnellten hoch, und es war wie ein Gewittersturm, der über die Soldaten hereinbrach. Entsetzt ließen sie Krüge und Becher fallen. Die Maultiere stoben davon. Dann griffen die Kerle zu den Waffen…
Wieder raste eine Musketenkugel heran. Sie prallte gegen den Runenstein und jauelte mit veränderter, himmelwärts gerichteter Bahn über die Köpfe Carberrys und Stenmarks weg. Sie duckten sich tief auf den felsigen Boden der kleinen Insel. Carberry fluchte sich die Seele aus dem Leib. Er und seine Bootscrew lagen wie auf dem Präsentierteller. Nicht mal Waffen hatten sie dabei, und es sah so aus, als seien die Finnen wild darauf, ihnen einen nach dem anderen das Lebenslicht auszublasen. Luke Morgean hatte es bereits erwischt, wie schwer, das konnten sie noch nicht feststellen. Aber ein Pfeil steckte in seiner linken Schulter, und Luke rührte sich nicht…
Dave Trooper nahm den dunklen Schatten, der auf ihn zuraste, erst im letzten Augenblick wahr. Er hatte von der Pier aus die Holzkohlesäcke in die Jolle gestaut. Jetzt richtete er sich blitzschnell auf – gerade noch rechzeitig genug, um die tödliche Gefahr zu erkennen. Er versuchte, nach links auszuweichen, schaffte es aber nicht mehr ganz. Die Messerspitze des Angreifers riß ihm am rechten Oberarm das Hemd auf, gleichzeitig spürte er einen brennenden Schmerz. Jetzt ging es um Leben und Tod. Bevor der Kerl ein zweites Mal zustechen konnte, schlug Dave Trooper zu. Der Kerl taumelte zwar zurück und ächzte, aber er gab noch nicht auf…
Es war nach Mitternacht. Die «Isabella» hatte das Kap der Landzunge kaum gerundet und steuerte mit Südkurs den spanischen Verband an, da blitzte es an der Bordwand der größten Galeone auf, und eine komplette Backbordbreitseite hagelte auf die Seewölfe zu. «Zu kurz» sagte Phillip Hasard Killigrew lakonisch – und da waren die eisernen Grüße schon da. Vor dem Bug der «Isabella» stiegen rauschende Wasserfontänen hoch. Keine der 17-Pfünderkugeln traf das Ziel. Die Fontänen fielen wieder in sich zusammen, und die «Isabella» pflügte durch das aufgewühlte Wasser unbeschadet weiter auf den Verband zu. Noch war gar nichts entschieden…
Pulverdampf wölkte auf, unmittelbar vor dem Bug der «Isabella» klatschte eine Kugel ins Wasser und riß eine Fontäne hoch. Das war eine unmißverständliche Aufforderung zum Beidrehen – und eine ausgesprochen unfreundliche Aufforderung dazu. Die Seewölfe hatten plötzlich steinerne Gesichter. Man sah ihnen an, wie gern sie die Kerle, die es wagten, ihnen eine Kugel vor den Bug zu setzten, zu Kleinholz verarbeitet hätten. Aber Hasard entschied, daß man den Schuß zunächst einmal als Mangel an besser geeigneten Verständigungsmöglichkeiten deuten könne…
El Supremo, der Göttliche, der sich zum Herrscher über die Südsee aufschwingen wollte, war verrückt – und leider auch ein exzellenter, hervorragender Degenfechter. Philip Hasard Killigrew hätte es fast zu spät bemerkt, als er sich zum Zweikampf stellte. Der unwahrscheinlichen Schnelligkeit dieses Mannes hatte er kaum etwas entgegenzusetzen. Da half nur eins: angreifen und den anderen in die Verteidigung drängen. Und damit begann ein Duell auf Leben und Tod…
Magellans Männer waren 1521 auf jenen unbekannten Inseln gelandet und hatten sie voller Ärger «Ladronen» – Diebesinseln genannt, weil die Eingeborenen sie bestohlen hatten, eine etwas merkwürdige Namensgebung, wenn man bedenkt, was die spanischen Eroberer und Konquistadoren in den Ländern der Neuen Welt alles mitgehen ließen. Über sechzig Jahre später landeten auch die Seewölfe und die Männer des schwarzen Seglers auf den Ladronen – und wurden bestohlen. Das war gar nicht nach Philip Hasard Killigrews Geschmack, und dennoch schaffte er es, den obersten Spitzbuben zum Freund zu gewinnen, obwohl der Häuptling geplant hatte, die Köpfe der weißen Fremden zu Schrumpfköpfen zu verarbeiten…
Seit Jahren war sie eine Legende, diese Galeone, die einmal im Jahr mit Waren aus China quer über den Stillen Ozean nach Acapulco segelte und mit dem Gegenwert der Waren in Form von Gold und Silber nach China wieder zurückkehrte. Alle Schnapphähne zur See waren scharf auf die Galeone, aber nie wußte man, wann sie Acapulco verließ und welchen Kurs sie nahm. Wahrscheinlich gehörten die Dinge, die dieses Schiff betrafen, zu den bestgehütetsten Geheimnissen der Spanier – bis die Manila-Galeone den Kurs der Seewölfe kreuzte…
Der höllische Dschungel hätte sie fast geschafft, aber sie fanden doch zur Küste zurück. Und als sie bei den Indios Boote eintauschen konnten, wußten sie, was sie zu tun hatten. Sie würden wieder zu ihrer «Isabella VIII.» zurückkehren, die auf einer Sandbank festsaß. Und der Teufel mochte die Spanier holen, die glaubten, den Seewölfen das Kreuz gebrochen zu haben. Nein, noch lebten sie, und notfalls würden sie ihre «Isabella» mit den blanken Fäusten zurückerobern…