Atemlos in Hannover. Thorsten Sueße

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Название Atemlos in Hannover
Автор произведения Thorsten Sueße
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827184146



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vergeblich, Mareike zu beschwichtigen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre Nadine nicht ermordet worden, wenn ihre Frau sie begleitet hätte. Aber woher hätte Mareike das ahnen sollen …?!

      Ihre Ehe bezeichnete Mareike als glücklich und insgesamt konfliktfrei.

      Andrea stellte die klassische Frage: „Hatte Ihre Frau Feinde?“

      „Nadine war immer ein freundlich zugewandter Mensch. Ich weiß nichts von Feinden.“

      „Verärgerte Bankkunden …?“

      „Dass wir keine Feinde haben, können Sie schon daran ablesen, dass Nadine nie einen Grund dafür gesehen hat, unsere Adresse aus dem Telefonbuch löschen zu lassen. Die Verpixelung unseres Hauses bei Street View haben noch die Vorbesitzer veranlasst.“

      Ich in Nadines Position hätte das anders gehandhabt. Aber ich beschäftige mich auch täglich mit den bösen Seiten des Lebens.

      Andrea fragte weiter in diese Richtung: „Hat Ihre Frau nie Konflikte am Arbeitsplatz erwähnt? Schließlich war sie Vorstandssprecherin einer Bank. Gab’s da keine Neider?“

      „Na ja, es hatten sich wohl noch andere Hoffnungen auf diesen Posten gemacht. Aber von einem ernsthaften Konflikt ist mir nichts bekannt.“

      „Stress mit Nachbarn, Bekannten oder Verwandten?“

      Mareike schüttelte den Kopf.

      „Und die Tatsache, dass Sie beide als …“, Andrea zögerte kurz, „… als gleichgeschlechtliches Paar zusammenleben, hatte nie zu problematischen Reaktionen Ihrer Umwelt geführt…?“

      „Zugegeben, wir haben immer wieder mit Menschen zu tun, die eine lesbische Beziehung für eine psychopathische Fehlentwicklung halten.“ Mareikes Stimme gewann an Kraft und Lautstärke. „Aber die Phase, wo wir uns verstecken mussten, haben wir lange hinter uns gelassen. Nadines Bankhaus und die Berufsschule, an der ich arbeite, haben auf jeden Fall mit unserer Lebensweise keine Probleme.“ Sie lachte bitter. „Die sehen uns eher als Aushängeschild für ihr modernes Diversity-­Konzept.“

      „Sie waren als lesbisches Paar“ – Andrea griff auf Mareikes Wortwahl zurück – „also keinen erkennbaren Anfeindungen ausgesetzt?“

      „Nein.“

      Keine Konflikte, scheinbar alles in bester Ordnung? Dennoch ist Nadine Odem Opfer eines Gewaltverbrechens geworden. Zufällig?

      Andrea kam noch einmal auf Nadines Hobby zurück: „Gibt es zwischen Geocachern so etwas wie Konkurrenzkämpfe?“

      „Bestimmt keine, wo der eine den anderen umbringt. Nadine hat immer davon gesprochen, wie freundlich und zugewandt Geocacher miteinander umgehen. Vor ein paar Tagen war zuletzt einer an unserem Gartenzaun, und Nadine hat ihm Tipps zu dem Geocache in der Nähe unseres Grundstücks gegeben.“

      „Kannten Sie den Mann?“

      „Nein. Nadine hatte die Vermutung, er wäre schon zwei Tage zuvor da gewesen. Jedes Mal hat er in unseren Garten geschaut. Beim ersten Mal war er schon weg, bevor Nadine ihn ansprechen konnte.“

      Andrea fiel sofort der Zeitungsartikel wieder ein. So etwas war in der Vergangenheit offenbar schon öfters vorgekommen und nicht unbedingt etwas Besonderes. Trotzdem ließ sie sich von Mareike genau schildern, was sie wann beobachtet hatte.

      „Eigentlich habe ich von dem Mann nur den schwarz-weißen Fahrradhelm erkannt“, bekundete Mareike. „Gesicht, Größe und Alter konnte ich durch die Büsche von meiner Position aus nicht erkennen. Nur Nadine ist an den Zaun gegangen und hat kurz mit ihm gesprochen.“

      „Können Sie etwas zu seiner Stimme sagen?“

      „Er hat nur wenig und leise gesprochen. Da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Denken Sie denn, der Mann könnte mit dem Mord etwas zu tun haben?“

      „Es geht mir zunächst nur um die Sammlung von Fakten.“

      „Mir fällt ein, dass der Mann gerade zu dem Zeitpunkt am Zaun stand, als Nadine mich auf ihre geplante Fahrradtour heute ansprach.“

      „Könnte er verstanden haben, worum es in Ihrer Unterhaltung ging?“

      „Weiß nicht … schon möglich.“

      Leider hatte Nadine gegenüber ihrer Frau keine weiteren Angaben zu dem Mann gemacht. Es war auch unklar, ob der Mann nach dem kurzen Gespräch mit Nadine den Geocache in der Nähe des Hauses gefunden und sich in das Logbuch eingetragen hatte.

      Auch wenn nachher nichts dabei herauskommt, dachte Andrea, wir werden das Logbuch des Geocaches überprüfen lassen.

      Andrea und Raffael ließen sich im Anschluss an die Befragung das häusliche Arbeitszimmer von Nadine zeigen, um dadurch einen weiteren persönlichen Eindruck von der Toten zu bekommen. Das ganze Zimmer inklusive Schreibtisch wirkte penibel aufgeräumt.

      Mareike Keppler war sofort damit einverstanden, dass Andrea Nadines Notebook im Rahmen ihrer Ermittlungstätigkeit mitnahm. Die Datenauswertung des Notebooks oder PCs eines Mordopfers konnte bei der Erforschung des Tatmotivs hilfreiche Hinweise geben.

      Nicht, dass wir noch übersehen, dass die Ermordete Erpressermails erhalten und aus Rücksicht auf ihre Ehepartnerin verschwiegen hat …

      Kapitel 8

      Montag, 14. Mai

      Kriminalhauptkommissar Thomas Stelter leitete als Ermittlungsführer die neu gebildete Mordkommission Dr. Odem. Am frühen Morgen hatte er das zusammengestellte Ermittlerteam, das aus einer größeren Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestand, in den Konferenzraum des Kommissariats 1 im vierten Stockwerk ihres Dienstgebäudes gebeten.

      Die bisher vorliegenden Ergebnisse im Mordfall Nadine Odem wurden vorgestellt.

      Der Leichnam der Frau war kurz vor fünfzehn Uhr von den beiden Geocachern gefunden worden. Die Route, die die Frau ab kurz nach zwölf Uhr zwischen Kirchrode und ihrem Tötungsort zurückgelegt hatte, war rekonstruierbar mithilfe der Auswertung der Funkverbindung ihres Smartphones, ihrer digitalen Einträge in die Logdatei der Geocaching-App und ihrer handschriftlichen Vermerke in den Logbüchern der gefundenen Geocaches. Die Daten der Smartwatch, nach denen der Tod gegen 12:45 Uhr eingetreten war, passten vom Zeitverlauf her genau zu der von Nadine Odem bis dahin zurückgelegten Strecke.

      Bei der Tötungsart zogen die Ermittler vorrangig einen männlichen Täter in Betracht, aber eine Frau konnte nicht sicher ausgeschlossen werden.

      Spuren, die eindeutig dem Täter zugeordnet werden konnten, gab es bisher nicht.

      Das Motiv der Tat war völlig unklar.

      War Nadine Odem im Wald zufällig auf einen psychopathischen Killer gestoßen? Gab es vorher keine persönliche Verbindung zwischen Täter und Opfer, und die Frau war tragischerweise zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen? Oder hatte ihr jemand gezielt aufgelauert oder war ihr gefolgt, mit der Absicht, sie zu töten? Und wer kam dafür infrage? Eine Person aus ihrem privaten oder beruflichen Kontext? Ein Auftragskiller?

      „Wir müssen auf jeden Fall in alle Richtungen ermitteln“, bekräftigte Thomas Stelter.

      *

      Andrea Renner ließ ihren Blick langsam durch den weit­räumigen und imposanten Empfangsbereich schweifen. Zwei Kunden saßen auf einem der bequem aussehenden Sessel im Wartebereich und guckten zu ihr herüber. Zusammen mit Raffael Störtebecker stand sie am zentralen Empfangstresen im Erdgeschoss des Bankhauses Berlinger.

      Bei der Nennung seines Familienamens hatte Raffael den Nachsatz hinterhergeschoben: „Nicht wie der Pirat oder das Bier, sondern ein -becker mit ck.“ Was wirklich niemanden interessierte, wie Andrea im Stillen vermutete. Zumindest der Mitarbeiter am Empfang hatte lediglich ohne Kommentar die Stirn gerunzelt.

      Die Privatbank befand sich direkt in der hannoverschen City, in unmittelbarer Nähe vom Kröpcke.

      Andrea und Raffael warteten darauf, zu einem Mitglied des Vorstandes gebracht zu werden,