Atemlos in Hannover. Thorsten Sueße

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Название Atemlos in Hannover
Автор произведения Thorsten Sueße
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827184146



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zu nähern.

      Es war 16:30 Uhr.

      Die Wohnung ihres Ex-Mannes befand sich im zweiten Stock eines dieser vierstöckigen Häuser, die sich zu beiden Seiten der Straße aneinanderreihten, immerhin mit Balkon und kleinem Vorgarten. Eine Grünanlage mit Spielplatz war nicht weit entfernt.

      Dem Hauseingang schräg gegenüber fand sie einen Parkplatz. Svens Auto, ein schwarzer Rover Mini, stand direkt vor der Tür. Sie hatte plötzlich das Gefühl, schlecht Luft zu bekommen, klammerte sich am Lenkrad ihres stehenden Fahrzeugs fest.

      Was ist los mit mir? Wenn ich es jetzt nicht wage, mache ich es nie. Timo wird nicht mit mir sprechen, aber Sven. Ich werd ihn bitten, dass wir gemeinsam einen Spaziergang machen.

      Ganz bewusst atmete sie langsam tief ein und aus.

      Mir ist flau im Magen. Ich hätte vorher was Vernünftiges essen sollen.

      Aber insgeheim hatte sie gehofft, mit Sven gemeinsam in einem der Bistros eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen.

      Sie stieg aus und überquerte die Straße. Auf dem Gehweg vorm Eingang blieb sie stehen und ließ den Blick an der Hauswand nach oben bis zum zweiten Stock schweifen. In einem der Fenster hatte sich für eine Sekunde die Gardine bewegt, die Konturen einer Person waren kurz sichtbar.

      Ist das Timo gewesen? Oder Sven?

      Bilder überfluteten sie, verbunden mit Herzklopfen und der Panik, in diesem Moment etwas Fürchterliches loszutreten. Vor ihrem geistigen Auge erschien ihr Mann, dann ihr Sohn. Beide hatten den Mund weit aufgerissen, als würden sie schreien.

      Soll ich umkehren?

      Die Bilder verschwanden von einer Sekunde zur anderen.

      War ja klar, dass ich Muffensausen bekomme. Aber ich ziehe es durch.

      Sie ging zum Hauseingang und klingelte bei „Klein“. Als nach einer halben Minute keine Reaktion erfolgte, drückte sie den Klingelknopf zweimal hintereinander erneut.

      Hat mich einer von ihnen am Fenster gesehen? Und jetzt tun sie so, als ob keiner zu Hause wäre?

      Nach einem weiteren Versuch ging sie zu ihrem Wagen und fuhr weg.

      *

      Sven Klein mochte die Drei-Zimmer-Wohnung, in der er seit Jahren mit seinem Sohn Timo zusammenlebte. Die Südstadt bot ihm alles, was er schätzte: den Maschsee, die Eilenriede, Museen, Fitnessstudios, Biergärten und jede Menge Einkaufsmöglichkeiten.

      Auf seinen Wagen, einen über zwanzig Jahre alten Rover Mini, ein britisches Exportfahrzeug mit Steuerrad links, war er als Liebhaber dieses Kult-Autos besonders stolz. Auch Timo durfte gelegentlich damit fahren, wobei diesem ein Auto mit moderner technischer Ausstattung lieber gewesen wäre.

      Sven arbeitete im Fachbereich Gebäudemanagement der Stadt Hannover, war dort Teamleiter für das Sachgebiet Finanzen, Rechnungswesen und Controlling.

      Die belastenden familiären Konflikte hatten Vater und Sohn fest zusammengeschweißt. Ihre gute Beziehung hatte selbst Timos Pubertät problemlos überstanden. Darin sah Sven die Erklärung, dass Timo bisher keine Anstalten machte auszuziehen. Aber spätestens, wenn er sein Studium abgeschlossen hatte, würde es so weit sein.

      Das letzte längere Treffen mit Lara lag Jahre zurück. Ein paar Mal waren sie sich danach in einiger Entfernung kurz über den Weg gelaufen, in einer Stadt wie Hannover unvermeidlich.

      Jetzt rief ihn Lara seit Wochen in gewissen Abständen auf dem Festnetz an. Die Telefonate wurden immer länger. Sven wollte sich auf keinen Fall mit ihr verabreden. Das hatte er Timo versprochen.

      Und plötzlich kreuzte sie vor seinem Haus auf! Durch Zufall hatte er sie vom Fenster aus gerade noch rechtzeitig auf der Straße erkannt. Timo war noch in der Uni. Sven hatte gerade seine Sporttasche gepackt und wäre ihr beinahe unten in die Arme gelaufen.

      Als es mehrfach klingelte, reagierte er nicht. Sie sollte glauben, dass er ausnahmsweise noch nicht zu Hause war. In ausreichendem Abstand von der Gardine konnte er beobachten, wie Lara in ihren Wagen stieg.

      Sie haut ab. Schwein gehabt!

      Er wartete noch eine Viertelstunde, dann verließ er die Wohnung.

      Sven, sechsundvierzig, kurze dunkelblonde Haare, leicht angegraut, war schlank und wirkte körperlich fit. Er hatte sich etwas vorgenommen und wollte nicht zu spät kommen. Im Treppenhaus hörte er, wie unten die Haustür aufgeschlossen wurde. Gleich darauf kam ihm Annika Brennecke entgegen, eine ungefähr gleichaltrige Frau mit langen braunen Haaren, die im ersten Stock wohnte.

      Sie blickte auf die Sporttasche in seiner Hand und fragte ihn mit spöttischem Unterton: „Na, noch was für den Körper tun, Sven?“

      „Deinem scharfen Blick entgeht einfach nichts“, antwortete er ironisch. Dann sah er zu, dass er ohne ein weiteres Wort schnell an ihr vorbeihuschte.

      Wenn ich ein Gespräch zulasse, verhakeln wir uns nur.

      Vor vier Wochen hatten sie sich einmal hier in der Südstadt „auf ein nachbarschaftliches Getränk“ in einer Kneipe verabredet, waren anschließend im angeheiterten Zustand in ihrer Wohnung miteinander im Bett gelandet. Wobei er noch in derselben Nacht wieder gegangen war und die restlichen Stunden bis zum Morgen in seinen eigenen vier Wänden geschlafen hatte. Am nächsten Tag hatte er sich ihr gegenüber so benommen, als wäre nichts gewesen. Seitdem herrschte eine merkwürdige unausgesprochene Beziehung zwischen den beiden. Sven versuchte, ihr möglichst wenig über den Weg zu laufen. Was innerhalb desselben Hauses nicht wirklich funktionierte.

      Er verließ das Haus und war erleichtert, die Begegnung mit Annika schnell hinter sich gebracht zu haben. Erfreulicherweise parkte sein Auto heute einmal direkt vorm Hauseingang. Das klappte nicht immer in der Südstadt. Schwungvoll verstaute er die Sporttasche im Kofferraum und setzte sich ans Steuer.

      Bevor er losfahren konnte, öffnete jemand die Beifahrertür. Völlig überrascht drehte er den Kopf nach rechts und zuckte unwillkürlich zusammen.

      Ach, du Scheiße! Heute ist wirklich nicht mein Tag.

      Da stand Lara auf dem Gehweg neben dem Auto. Bevor er protestieren konnte, nahm sie bereits auf dem Beifahrersitz Platz und schloss die Tür. Sven fühlte sich ausgetrickst, hatte sofort die Vermutung, dass Lara nur ein kleines Stück mit dem Wagen weitergefahren war und sich dann vermutlich vorm Eingang des Nebenhauses versteckt hatte, um auf ihn zu warten.

      Ich hatte nur meinen Wagen im Blick, hab sie gar nicht bemerkt.

      „Hallo Sven“, meinte Lara mit einem verlegenen Lächeln, „ich freu mich, dich zu sehen.“

      „Wo kommst du denn her?“, brummte er. „Hast du mir aufgelauert?“

      „Nein, ich bin ganz zufällig hier … und da war auf einmal der Wunsch, dich persönlich zu sehen.“ Sie hatte etwas Flehendes in den Augen. „Vorhin hatte ich schon mal geklingelt, aber da warst du noch nicht zu Hause. Ich bin kurz weggefahren, hab was erledigt und mir dann überlegt, noch mal wieder zurückzugehen und mein Glück erneut zu probieren. Toll, dass es geklappt hat.“

      Zufällig … ich glaub dir kein Wort, schoss es ihm durch den Kopf. Wenn ich dich nicht gleich rausschmeiße, sülzt du mich wieder voll. Wehret den Anfängen!

      „Unsere Telefonate haben mich in den letzten Wochen aufgebaut und mir wieder Lebensmut gegeben“, sagte sie mit anscheinend echter Begeisterung. „Danke, dass du die Gespräche nicht gleich abgebrochen und mir zugehört hast.“

      Sven wollte ihr verärgert mitteilen, dass er am Telefon klar gesagt hätte, dass weder er noch Timo sie persönlich treffen möchten. Aber ihre freundlichen Worte machten es ihm jetzt unmöglich, seine Ablehnung zu formulieren.

      Stattdessen murmelte er: „Ist ja schön, dass du das so siehst.“

      Wenn sie gefeixt hätte, ihn überlistet zu haben, wäre es ihm leichtgefallen, ihr kontra zu geben. Aber das tat sie nicht.

      „Hättest du heute Zeit