Atemlos in Hannover. Thorsten Sueße

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Название Atemlos in Hannover
Автор произведения Thorsten Sueße
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783827184146



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war vorne links eine Mini-Kamera eingebaut. Mit nur einem einzigen Knopfdruck ließ sich die Videoaufzeichnung starten. Eine besondere Funktion hatte der linke Brillenbügel. Hier befand sich vorne auf der Innenseite, mit dem Daumen gut erreichbar, der unauffällige Knopf zum Ein- und Ausschalten, im unteren Bereich die USB- und Speicherkartenschnittstelle. Auf der eingelegten Micro-SD-Speicherkarte konnten die Videoaufnahmen gespeichert werden. Über den USB-Anschluss wurde die Spionagebrille mit dem PC verbunden, um Daten überspielen und anschließend bearbeiten zu können. Laut Beschreibung erreichten die Aufnahmen HD-Qualität.

      Genau so will ich es haben. Genial. Ich hoffe, dass später im Einsatz alles so abläuft wie versprochen.

      Er hatte gelesen, dass es selbstverständlich nicht erlaubt war, Menschen ohne deren Genehmigung heimlich zu filmen.

      In meinem Fall sind die gefilmten Personen eh nicht mehr in der Lage, dagegen zu protestieren.

      Spionagebrillen wie seine konnten selbst bei Amazon oder eBay in großer Auswahl legal erworben werden. Gesetzlich verboten waren lediglich Spionagekameras, die nicht nur Bilder und Videos aufzeichnen, sondern diese gleichzeitig an andere Empfänger kabellos senden konnten.

      Das passende Etui hatte der Hersteller gleich mitgeliefert.

      Er ging ins Badezimmer, setzte die Brille auf und betrachtete sich im Spiegel.

      Sieht aus wie eine x-beliebige moderne Brille. Völlig unauffällig, wenn ich mich damit in der Öffentlichkeit bewege. So bald wie möglich probier ich das aus. Da hätt ich schon früher drauf kommen können. Schade, dass ich das Teil bei der Schächtung von Nadine Odem noch nicht hatte.

      Manche Ideen kamen ihm erst nach und nach. Auch das gelungene Wortspiel mit Atem und Odem in der Botschaft an die Polizei war ihm erst kurz vorher eingefallen.

      Das ganze Projekt war eine Versuchung, die er zunehmend als angenehm empfand. Aber es hatte auch eine Zeit lang gedauert, bis er sich endgültig dazu hatte durchringen können.

      Die Erstellung und das Absenden der Nachricht für die Mordkommission hatten ihn beträchtliche Mühe gekostet.

      Zunächst ging es darum, sich darüber zu informieren, welche Informationen die Polizei einem gedruckten Blatt Papier entnehmen konnte. Farblaserdrucker zum Beispiel versahen ihre Ausdrucke automatisch mit einem fast unsichtbaren gelben Code aus Pünktchen, der Aufschluss über die eindeutige Seriennummer des Druckers sowie Datum und Uhrzeit gab. Außerdem fanden sich beim Laserdrucker auf dem Papier alle Schäden und Abnutzungsspuren der Belichtungstrommel wieder.

      Ein Thermodrucker hinterließ charakteristische vertikale Streifen auf dem Blatt, da die Heizelemente nie perfekt gleich waren.

      Er hatte sich für die Verwendung eines bestimmten Tintenstrahldruckers entschieden, der es den Ermittlern sehr schwierig machte. Das Fehlerbild durch verstopfte Düsen veränderte sich nach Einsatz des Reinigungsprogrammes ständig. Die Positionierung des in die Tintenpatrone integrierten Druckkopfes war nach dem Patronenaustausch ebenfalls völlig anders. Was allerdings gleich blieb, selbst nach Auswechselung von Verschleißteilen, waren die typischen Spuren, die der Einzelblatteinzug hinterließ.

      Aber um ihm darüber auf die Schliche zu kommen, musste die Polizei über vergleichbare von ihm gedruckte Schriftstücke verfügen oder den Drucker in seinem Raum ausfindig machen.

      Der größte Arbeitsaufwand bestand für ihn darin, keine Fingerabdrücke, Schweißtropfen oder Speichel auf dem Blatt, der Briefmarke oder dem Umschlag zu hinterlassen. Es durften auch keine Hautpartikel oder Textilfasern im Kuvert landen. Dazu fuhr er das volle Programm, ging absolut auf Nummer sicher.

      Er arbeitete auf Einmalunterlagen durchgängig mit Mund-Nasen-Schutz, Einmalhandschuhen, -haube, -schutzkittel und -plastiktüten, ließ Umschlag und Druckerpapier bis zum Gebrauch in der Verpackung. Seinen Oberkörper hielt er beim Verschließen des Umschlags immer leicht nach hinten gebeugt. Besonders wichtig war es, diese Arbeit ohne Störung von außen durchziehen zu können. Aber das Ganze ging schneller als gedacht.

      In dieser Situation fühlte er sich wie ein Wissenschaftler in einem Forschungslabor, der sich mit sämtlichen Vorsichtsmaßnahmen vor einem unsichtbaren, aber lebensgefährlichen Virus schützen musste. Eine größere Menge Briefmarken hatte er sich irgendwann spätabends aus einem Automaten vor einem Postamt besorgt und dabei Handschuhe getragen. Zwischenzeitlich war ihm der Gedanke gekommen, mit seinen Sicherheitsmaßnahmen zu übertreiben. Auf der anderen Seite hatte er gewaltigen Respekt vor den heutigen Möglichkeiten der kriminaltechnischen Untersuchung. Außerdem fand er zunehmend Gefallen an diesem Tun.

      Als ihm die Szene, wie er den Brief abgeschickt hatte, wieder einfiel, musste er unwillkürlich lachen. Im Dunkeln hatte er den Umschlag in einen abgelegenen Briefkasten eingeworfen. Das Irrwitzige war der Weg dorthin. Den Umschlag hatte er, verpackt in einem Gefrierbeutel, in einer Konferenzmappe mit Schultergurt transportiert. Seine Hände steckten in Einmalhandschuhen, die er in seinen Jackentaschen verborgen hielt.

      Wirklich abgefahren! Dieser Brief an die Mordkommission … einfach ein geiles Retro-Feeling … wie bei J. Adam.

      Die Bestellung der Spionagebrille war gleichzeitig die Entscheidung fürs Weitermachen.

      Ich weiß jetzt, wer die nächste Frau ist.

      Kapitel 13

      Samstag, 19. Mai

      Lara Kleins Stimmung befand sich seit gestern in einem Höhenflug, wie sie ihn zuletzt am Tag der Stellenzusage bei der Region Hannover erlebt hatte. Und die Ursache dieses Glücksgefühls stand eindeutig fest. Zum ersten Mal nach der selbstzerstörerischen Trennung hatte Sven ihr versprochen, wieder etwas gemeinsam mit ihr zu unternehmen.

      Das, was sich Lara in den letzten Wochen erträumt hatte, war Wirklichkeit geworden. Ihre Hoffnung, dass sich Sven im direkten Kontakt zugänglicher als am Telefon zeigte, hatte das kurze Gespräch im Auto tatsächlich bestätigt. Jetzt würde sie am Ball bleiben und sich richtig ins Zeug legen, um Sven zurückzugewinnen … und durch ihn Timo.

      Dabei kalkulierte sie ein, dass sich der Prozess der Wiederannäherung über viele Monate hinziehen konnte. Aber die Zeit würde sie sich und ihrer Familie geben.

      Lara steckte voller Tatendrang und hatte zunächst keine Vorstellung, wie sie ihn produktiv nutzen konnte. Spontan kam ihr der Einfall, online eine Jahresmitgliedschaft bei Fitness for all in der Südstadt zu buchen. Auf der Stelle setzte sie den Gedanken um. Damit war gewährleistet, dass ihr persönliches Band nicht gleich wieder abriss.

      Wir können zusammen sein, aber jeder macht sein eigenes Training, ohne uns zu sehr auf die Pelle zu rücken.

      Immer noch ganz euphorisch besuchte sie gleich am Vormittag das Fitnessstudio, um sich mit den Abläufen vertraut zu machen.

      Ihre Entscheidung erwies sich als goldrichtig. Eine Mitarbeiterin begrüßte sie freundlich, fragte nach ihren individuellen Wünschen und führte sie durch die Räumlichkeiten auf zwei Etagen.

      Aber das Highlight des Tages kam erst noch. Lara wurde auf ihre positive Ausstrahlung angesprochen. Ein leitender Angestellter fragte, ob sie Lust hätte, sich „derart begeistert“ fotografieren zu lassen. Ihr strahlendes Gesicht würde sich „fantastisch“ für die geplante Onlinewerbung des Fitnessstudios, unter anderem in den Ihme News, machen. Lara verkörpere vom Alter her eine der Zielgruppen, die bewusst angesprochen werden sollten. Außer ihr hätte sich schon ein Mann für die Werbekampagne fotografieren lassen.

      Lara war Feuer und Flamme. Was für eine Wertschätzung! Noch nie hatte ihr jemand eine derartige Frage gestellt. Natürlich sagte sie zu. Damit wurde sie zu einem der Gesichter von Svens Fitnessstudio. Der Umstand, dass sie noch keine langjährige Kundin war, spielte offenbar keine Rolle.

      Mehrere Fotos zur Auswahl waren schnell gemacht. Neben ihrem Porträt sollten später ihr Vorname und ein Satz stehen, der ihr in den Mund gelegt wurde: „Als Frau fühle ich mich hier wohl!“

      Dafür erhielt sie für ein halbes Jahr kostenlos die VIP-Mitgliedschaft.

      Ein toller Tag!

      Kapitel