Djorgian. Jacqueline Esch

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Название Djorgian
Автор произведения Jacqueline Esch
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783937817170



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den Text gelangweilt. Immer derselbe uninteressante Quatsch. Sie faltete die Zeitung wieder zusammen und stand auf. Ihr Kälteanfall hatte mittlerweile aufgehört und so zog sie die Jacke aus, hob im Laufen ihren Rucksack vom Boden und polterte die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Dort blieb sie einen kurzen Augenblick unschlüssig stehen, dann steuerte sie ihren kleinen Schrank an und zog die zweite Schublade auf. Nachdem sie eine Weile zwischen Papier- und Fotobergen gewühlt hatte, fand sie schließlich, was sie suchte: ein kleines blaues Kästchen, das bequem in ihre Hand paßte. Sie klappte es auf und hob ein silbernes Amulett heraus. Auf der runden Scheibe waren drei halb dachen- und halb schlangenartige Wesen zu erkennen. Irgendwann nach ihrem fünfzehnten Geburtstag hatte sie es während der Klassenfahrt einmal gefunden und behalten. Aber woran erinnerte sie dieses Amulett?

      Judi zuckte mit den Schultern und hängte es sich dann um, achtete aber darauf, daß man es nicht sah. Sie schob die Schublade wieder zu und entdeckte einen Brief auf ihrem Schreibtisch. Er war von Kathrin. Nachdem ihre Freundin die Schule gewechselt hatte, schrieben sie sich regelmäßig. Aber es hatte noch Zeit, den Brief zu lesen. Ihre Mutter hatte ihr gestern Abend noch gesagt, sie solle etwas von Frau Bensen abholen, da sie selber keine Zeit mehr gehabt habe.

      Sie polterte die Treppe wieder hinunter, schlüpfte in ihre Jacke und zog ihre Schuhe wieder an, um sich sofort auf den Weg zu machen. Das Haus von Frau Bensen befand sich nur drei Häuser weiter und so lohnte es sich nicht, mit dem Fahrrad zu fahren. Es war ein Spaziergang von höchstens acht Minuten und Judi ärgerte sich jedes Mal von neuem darüber. Genausogut hätte ihre Mutter das Gewünschte auf dem Weg zur Arbeit eben abholen können, aber sie wollte, daß Judi sich mit der blöden Nachbarstochter anfreundete. Immer mußte sie sich Predigten anhören, wie schön diese Freundschaft doch wäre und was für ein reizendes Mädchen Ingrid doch sei.

      Sie verdrehte die Augen, als sie die Hofeinfahrt erreicht und geklingelt hatte und feststellen mußte, daß niemand anderes als eben diese Ingrid die Tür öffnete.

      »Hallo! Das ist aber schön. Wie geht es dir?«

      Noch ein bißchen mehr und ihre Stimme würde vor lauter Schleim anfangen zu tropfen. Judi mußte sich beherrschen, genau das ihr nicht ins Gesicht zu sagen.

      »Hallo. Ich soll etwas abholen.« Den unfreundlichen Ton mußte Ingrid einfach bemerken, aber sie ging leider nicht darauf ein.

      »Ja, meine Mutter hat da so ein tolles Pflegeshampoo entdeckt und sollte deiner Mutter gleich eines mitbringen.«

      Nur wegen dieses blöden Shampoos mußte sie sich hier herquälen? Außerdem hatte ihre Mutter doch schon Hunderte davon! Jetzt bloß nicht aufregen …

      »Ist dir nicht gut? Ach, ich hole schnell das Zeug.«

      Ingrid drehte sich um und verschwand im Innern des Hauses. Wie alt war sie eigentlich? Vierzehn? War ja auch egal.

      Das Mädchen erschien wieder hinter der Tür, öffnete sie und machte ein schuldbewußtes Gesicht. »Oh, tut mir leid! Ich habe dich ja ausgesperrt … Hier!« Sie reichte ihr eine braune Papiertüte, machte aber keine Anstalten wieder ins Haus zu gehen.

      Judi achtete nicht darauf, sondern drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort. Sie hatte einfach keinen Bock, jetzt mit dieser eingebildeten Ziege zu reden. Sie wartete, während sie die Straße wieder betrat, auf das Geräusch, mit dem sich die Tür schloß, aber es blieb aus. Sie unterdrückte den Impuls, sich herumzudrehen. Sollte Ingrid ihr doch nachstarren und sollte sie doch ruhig beleidigt sein und überhaupt! Es war ihr nur recht.

      Als sie auf dem halben Weg einen Blick in die Tüte warf, sah sie aus den Augenwinkeln zwei Fußgänger. Eigentlich sollten sie Judi gar nicht beunruhigen, schließlich waren sie ganz normale Fußgänger. Aber sie taten es doch. Verwirrt und leicht verwundert blieb sie stehen und beobachtete die Leute genauer. Sie waren in blaue Jeans gekleidet, die beide gleich aussahen, und der Größere trug einen schwarzen und der Kleinere einen braunen Pulli. Was war daran so beunruhigend?

      Sie waren mittlerweile etwas näher gekommen, so daß sie Judi vermutlich schon deutlich erkennen konnten. Judi hatte es plötzlich sehr eilig, schneller zu laufen und brauchte kaum zwei Minuten, um ihre Haustür zu erreichen, sie aufzuschließen und heftig wieder zuzuknallen. Was war bloß in sie gefahren? Anscheinend litt sie entweder immer noch unter dem Matheunterricht von Herrn Lessmann oder es lag an der Überdosis Tiefkühlpizzen mit Salami.

      Judi atmete hörbar aus, stieß sich von der Tür ab und schleuderte ihre Schuhe abermals in die Ecke. Ihre Jacke warf sie in Richtung Jackenständer, traf aber nicht. Sie machte aber auch keine Anstalten, sie aufzuheben, denn genau in diesem Moment klingelte es an ihrer Haustür.

      Judi blieb wie angewurzelt stehen. In der nächsten Sekunde schalt sie sich eine Närrin. Eine Klingel war schließlich dazu da, daß man klingelte! Und warum sollte das niemand tun? Vielleicht der Postbote, der sich verspätet hatte, oder Ingrid, um sich nochmals bei ihr wegen der Tür zu entschuldigen, oder …

      Es klingelte ein zweites Mal. Sie gab sich einen Ruck und riß die Tür regelrecht auf, um zu erkennen, daß dort niemand anderes als die beiden Männer von vorhin standen. Sie sagte nichts, sondern starrte sie einfach nur an.

      »Ähm … Frau Maria Lenz?«, fragte der Große.

      Maria Lenz? Sah sie denn jetzt auch noch aus wie ihre Mutter? Waren die denn blind oder was?

      »Ich meine … ist Frau Maria Lenz da?«

      Judi schüttelte den Kopf.

      »Können wir mit dir reden?«

      Sie sagte gar nichts. War es nur so ein Gefühl, oder wollten die Leute da gar nicht mit ihrer Mutter reden, sondern sich eher vergewissern, daß sie gar nicht da war?

      »Hattest du letztes Jahr eine Klassenfahrt mit Herrn Fischer? Im neunten Schuljahr?«

      »Warum?« Was ging die das an?

      »Hast du dort … etwas gefunden oder geschenkt bekommen?«

      »Nein, wieso?« Die kleine Pause hatte sie nicht überhört.

      »Nun ja. Wir glauben schon, daß du etwas bekommen oder zumindest gefunden hast. Es gehörte nämlich uns und ist von großem Wert, und wir hätten es gerne zurück. Es muß sich um ein Versehen handeln.«

      Wollten die ihr Amulett? Hatten die denn noch alle Tassen im Schrank? Ein Versehen. Wer sollte das denn glauben? Und sie hatten natürlich ein ganzes Jahr nach dem vermutlichen Finder gesucht. Lächerlich!

      »Ich weiß, das muß sich für Euch ziemlich dumm anhören, aber es ist so. Es hat sehr lange gedauert, bis wir eine Liste bekommen hatten mit den Personen, die an der Klassenfahrt teilgenommen haben. Und jetzt müssen wir jeden einzelnen fragen. Es wäre wirklich sehr schön, wenn Ihr uns weiterhelfen könntet«, meldete sich der Kleinere zu Wort.

      Judi fiel auf, daß er trotzdem viel älter aussah und längere Haare hatte. Und er sprach sie mit Euch oder Ihr an. Man hatte sie schon einmal so angesprochen, das wußte sie plötzlich. Aber es schürte eher ihr Mißtrauen.

      »Tut mir leid. Ich habe wirklich nichts gefunden oder bekommen. Worum handelt es sich denn? Vielleicht kann ich Ihnen ja doch ein wenig weiterhelfen?«

      »Um ein Schmuckstück«, antwortete der Größere.

      Judi runzelte die Stirn, tat so, als müsse sie einen Moment ernsthaft nachdenken, und verzog dann enttäuscht das Gesicht.

      »Nein … nein ich wüßte nicht, daß jemand ein Schmückstück gefunden hat. Tut mir ehrlich leid.«

      »Na, dann … Trotzdem vielen Dank für Eu … deine Hilfe. Auf Wiedersehen!«

      Hatte der Ältere schon wieder Euch sagen wollen? Wo kamen diese schrägen Typen überhaupt her? Bestimmt nicht aus dieser Gegend. Da redete man sich nicht so an.

      Judi schloß die Tür, ging die Treppe wieder hoch in ihr Zimmer und steuerte geradewegs ihr Bett an, um sich darauf fallenzulassen. Ein paar Minuten lag sie einfach nur nachdenklich da, dann sah sie zum Fenster hinüber (als wenn die beiden