Djorgian. Jacqueline Esch

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Название Djorgian
Автор произведения Jacqueline Esch
Жанр Учебная литература
Серия
Издательство Учебная литература
Год выпуска 0
isbn 9783937817170



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      Jacqueline Esch

      Djorgian

      Das Westland

      Roman

      Kalidor-Verlag

      Jacqueline Esch

      Djorgian – Das Westland

      ISBN ePub 978-3-937817-17-0

      ISBN Mobi 978-3-937817-19-4

      E-Book, überarbeitete Auflage, 2014

      Copyright Kalidor-Verlag, C. Fanselow

      12529 Schönefeld OT Großziethen

      © Alle Rechte vorbehalten

       www.kalidor-verlag.de

      1. Kapitel

      Tick … tack … tick … tack … tick …

      Die langsamste Schnecke hätte diesen verdammten Sekundenzeiger überholen können. Bewegte er sich denn überhaupt nicht? Es wäre kein Wunder gewesen, wenn er ganz stehen geblieben wäre.

      Am liebsten würde Judi aufstehen, zu der weiß gestrichenen Klassenzimmerwand hinübergehen und dieser blöden, babyblauen Uhr einen Schlag verpassen, der sie in ihre Einzelteile zerlegen würde. Sie hatte in der Mathestunde schneller zu laufen und damit basta!

      »Nun, Judi? Weißt du die Antwort?«

      Sie zuckte zusammen, als sie die Stimme des Lehrers hörte. Die letzte Viertelstunde hatte er ununterbrochen geredet und sie hatte immer gleich viel verstanden: nämlich gar nichts. Deswegen hatte sie auch gar nicht mehr hingehört. Ratlos rutschte sie auf ihrem Stuhl herum.

      »M ist drei Viertel«, raunte ihr ihre Platznachbarin zu.

      »Rabea! Du sollst doch nichts vorsagen! Also Judi, wußtest du nun die Antwort oder nicht?«

      »Wenn ich ehrlich bin, nicht, Herr Lessmann. Ich verstehe das einfach nicht. Können sie das nicht einfacher …«

      »Entweder paßt du auf oder du gehst raus. Ich mache das schon einfach genug. Also noch einmal …« Herr Lessmann fischte die Kreide vom Tisch und begann von neuem auf die schon vollgekritzelte Tafel zu schreiben. Judi verdrehte die Augen. Sie würde sich wohl noch einmal alles von ihrer Freundin erklären lassen müssen. Selbst die einfachste Rechnung konnte er so kompliziert machen, daß der beste Mathefreak damit seine Probleme hatte. Und dann kam auch noch sein unerträglicher Mundgeruch dazu, der selbst einen Toten zum Leben erwecken könnte, um ihn sofort wieder umzubringen. Schrecklich! Und er bemerkte nicht einmal, daß es über die Hälfte der Klasse nicht verstand. Alexander, ein paar Tische weiter, starrte mit leerem Blick auf die Tafel und dachte wahrscheinlich an alles andere, nur nicht an Mathe. Sandra radierte frustriert in ihrem Heft herum, weil ihre Rechnung schon wieder das falsche Ergebnis hatte usw. Nur der kleinste Teil ihrer sechsundzwanzigköpfigen Klasse schien zu verstehen, was Herr Lessmann da eigentlich an die Tafel kritzelte.

      Ein neuer Blick auf die Uhr ließ sie fast verzweifeln. Der Sekundenzeiger hatte sich wirklich kaum von der Stelle bewegt. Wie sollte sie das nur aushalten?

      Ein kleiner weißer Zettel landete plötzlich zielsicher auf ihrem aufgeschlagenen Heft. Verstohlen blickte sie zum Lehrer hinüber, der noch immer emsig dabei war, die Tafel zu beschreiben und ununterbrochen zu reden. Konnte er nicht einfach heiser werden? Mit roter Schrift stand groß auf dem Zettel: ›Hast du das verstanden?‹

      Judi sah sich nach dem Werfer um und ihr Blick blieb auf Alessia hängen, die auf ihrem Stift herum kaute und sie dabei angrinste. Blöde Frage! Die Antwort lautete eindeutig ›nein‹, aber wenigstens würde sie das Schreiben ablenken und sie davor bewahren, auch noch einzuschlafen.

      Das Zettelwerfen ging ein paar Minuten hin und her, dann hatte Herr Lessmann endlich seinen Redeschwall beendet und sich zu ihnen herumgedreht.

      »Irgendwelche Fragen?«

      Eigentlich müßten jetzt mindestens zwanzig Leute den Finger heben, aber natürlich tat das keiner. So gab er ihnen ein paar Aufgaben im Buch auf und widmete sich dann seinem eigenen Kram.

      Rechnend überstand sie den Rest der Stunde ein wenig besser und atmete erleichtert auf, als das laute Klingeln der Glocke erscholl. Endlich! Die Schule überlebt und das Wochenende war an der Reihe.

      Eilig stopfte sie die Hefte in die Tasche zurück, hangelte ihre Jacke vom Stuhl und verließ so schnell sie konnte das Klassenzimmer, ehe Herr Lessmann irgendwelche Hausaufgaben aufgeben konnte. Judi ging den langen Flur entlang, nach rechts und durch die Tür, wo ein paar Meter weiter schon die Busse warteten. Vor den schmalen Türen herrschte wie immer arges Gedrängel. Wenn sie sich nicht beeilte, würde sie keinen Sitzplatz mehr bekommen und so knuffte sie sich mit den Ellebogen ihren Weg in das Innere des Busses und erwischte gerade im letzten Augenblick einen Sitzplatz. Nur einige Sekunden später ließ sich Rabea mit einem erleichterten Seufzer neben sie in den Sitz fallen.

      »Hast du heute Zeit?«, fragte sie.

      Judi schüttelte den Kopf. War ja klar. Ausgerechnet heute mußte ihre Mutter weg und da war das Haus leer, weil ihr Vater erst spät abends von der Arbeit zurück kam. Und genau immer dann mußte sie zu Hause bleiben.

      Ihre Freundin schwieg enttäuscht und so schweigend verlief auch der Rest der Fahrt. Als sie ihre Haltestelle erreicht hatten, brach sie das Schweigen und verabschiedete sich. Judi sprang zwischen den erst halb geöffneten Türen hindurch, kramte in derselben Bewegung ihren Fahrradschlüssel hervor und winkte Rabea zu. Der altersschwache Bus setzte sich knatternd wieder in Bewegung und fuhr weiter, gefolgt von einer bläulichen Abgaswolke, deren bloßer Anblick einen Asthmaanfall hervorrufen konnte.

      Als sie gerade den Schlüssel in das Schloß ihres Fahrrades stecken wollte, bekam sie eine Gänsehaut. Sie runzelte die Stirn und streifte sich eilig ihre Jacke über. Die letzte Woche hatte Judi kein einziges Mal gefroren und gehofft, daß es vorbei war. Früher hatte sie oft grundlos plötzlich zu frieren begonnen, obwohl es sehr warm war. Ihre Mutter war daraufhin mit ihr zum Arzt gegangen, aber der hatte auch nicht weiter gewußt. Nur ein paar Medikamente hatte er aufgeschrieben und sonst nichts.

      Bibbernd fuhr sie los. Zuhause würde sie sich erst einmal eine heiße Tasse Tee machen. Eigentlich sollte es sie nicht wundern, daß die Medikamente nicht geholfen hatten. Sie hatte den Beipackzettel, auf dem etwas von Erkältung stand, gelesen, aber sie war nicht erkältet. Judi bekam keinen Husten, keinen Schnupfen und auch kein Fieber. Nur das Frieren. Und das ging schon ein Jahr lang so. Kurz nach ihrem fünfzehnten Geburtstag hatte es angefangen und sie konnte nicht sagen, warum. Oder doch … sie konnte sich an irgend etwas erinnern, nur wußte sie nicht genau, woran. Es war, als hätte sie etwas Wichtiges vergessen, das noch nicht allzu lange her war.

      Sie hatte ihre Hofeinfahrt erreicht und fuhr hinein, um ohne Überraschung festzustellen, daß das Auto ihrer Mutter nicht mehr da war. Hoffentlich hatte sie etwas zu Essen gemacht und nicht wieder einen Zettel geschrieben, auf dem stand, sie solle sich eine Tiefkühlpizza warm machen.

      Judi schob das Fahrrad in den Ständer, schloß die Haustür auf und schleuderte ihre Schuhe in die Ecke. Ihr war noch immer kalt und so ließ sie die Jacke vorerst an. Den Rucksack stellte sie neben die Treppe und machte sich auf den Weg in die Küche. Auf dem weißen Tisch lag ein Zettel:

       ›Bin schon weg. Habe leider keine Zeit mehr gehabt, etwas Richtiges zu Essen zu machen. Im Backofen liegt eine Tiefkühlpizza. In fünf Minuten wird sie wohl fertig sein. Bin um 6.00 Uhr erst wieder zu Hause. Bis dann! Mutti‹

      Judi zog eine Grimasse und blickte in den Ofen. Eine Pizza brutzelte darin. Toll! Sogar dieselbe Sorte seit drei Tagen. Wenn das so weiter ginge, würden ihr diese Dinger zu den Ohren herauskommen.

      Sie schaltete den Ofen aus und lud sich das unerwünschte Ding auf ihren Teller. Vielleicht sollte sie ja mal ihre Klasse einladen, damit diese die Gefriertruhe leer essen konnte, die Tiefkühlpizzen eingeschlossen.

      Judi würgte sie ohne großen Hunger hinunter und sah auf die Uhr. Gerade einmal Zwei. Gelangweilt fischte sie nach der Zeitung, die auf dem Platz ihres