Gewaltfrei, aber nicht machtlos. Maria Neuberger-Schmidt

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Название Gewaltfrei, aber nicht machtlos
Автор произведения Maria Neuberger-Schmidt
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783709500125



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aber nicht gleichberechtigt

      Erziehen ist mehr als begleiten: Für mich beinhaltet das Wort »begleiten« etwas Kameradschaftliches, Gleichberechtigtes und Unverbindliches. Deshalb ist es mir für die Beziehung zwischen Eltern und Kindern zu wenig. Ich möchte mich bewusst für das Wort »erziehen« entscheiden, weil es mit einer Beziehung zu tun hat, in der die Eltern die Verantwortung für das Wohl und die Entwicklung des Kindes tragen, welches als Person wohl gleichwertig, nicht aber gleichberechtigt ist.

      Erziehen heißt für mich ein klares Bekenntnis zu elterlicher Verantwortung und Autorität, zur elterlichen Führungskompetenz und Macht. Ich spüre, dass jetzt bei manchem Leser Widerstand oder Widerwille hochkommt. Bitte um Geduld! Was ich damit meine, darauf komme ich noch ausführlich zu sprechen.

      Die Macht des Gärtners

      Mir persönlich gefällt das Bild vom Gärtner. Er schafft günstige Rahmenbedingungen für Boden, Luft und Sonne. Er pflegt seine Sprösslinge, indem er gießt, düngt, stützt, Unkraut jätet usw. In ihrer Wesensart entfalten dürfen sich die Pflanzen und Blumen dann ganz von selbst – jede nach der ihr eigentümlichen Gesetzmäßigkeit. Der Gärtner merkt an ihrem Wohlergehen, ob seine Maßnahmen richtig waren, und kann sie an die jeweiligen Bedürfnisse und Gegebenheiten anpassen. Das ist seine Form der Kommunikation mit den ihm anvertrauten Lebewesen. Manche Gärtner reden auch noch mit ihren Pflanzen, worauf sie angeblich mit besonders freudigem Wachstum reagieren. Der Gärtner trägt die Verantwortung für die ihm anvertrauten Sprösslinge. Werden sie vernachlässigt, sind ihre Lebenschancen stark eingeschränkt, so auch bei Kindern.

      Einen wichtigen Unterschied gibt es allerdings zwischen Pflanzen und Menschen: Blumen widersprechen nicht, wie es Menschenkinder tun.

      1.6. »Ich weiß, was gut für dich ist!«

      1.6.»Ich weiß, was gut für dich ist!«

      Auch dieser Satz löst heutzutage »Allergien« aus, ist er doch äußerst ambivalent besetzt. Gerne wurde er insbesondere von früheren Generationen dazu verwendet, kindliche Wünsche zu unterdrücken und sich hinter der »Maske Autorität« zu verschanzen, um der heranwachsenden Generation nicht Rede und Antwort stehen zu müssen und Kritik mundtot zu machen. Unterdrückte Konflikte erzeugen jedoch Widerstand und feindselige Gefühle, das ist allgemein bekannt. Manche Menschen spielen gerne mit ihrer Macht unter dem Mäntelchen der Fürsorge – nicht nur im Kinderzimmer.

      Bevormundung in bester Absicht

      In bester Absicht oder warum auch immer, zu starke Bevormundung kann zu Entwicklungshemmungen führen, zur Entfremdung zu mir selbst. Manchen Menschen ist eine chronische Unsicherheit förmlich ins Gesicht geschrieben. Nicht selten hat sie ihre Wurzeln in ihrer Erziehung, geprägt von ängstlicher oder unterdrückender Bevormundung.

      Wenn ein anderer behauptet, zu wissen, was gut für mich ist, dann traue ich bald selbst nicht mehr meinen eigenen Empfindungen und Meinungen, sondern schaue auch noch als Erwachsener stets auf eine höhere Instanz, um Bestätigung oder Erlaubnis einzuholen.

      Für Kinder mit starker Persönlichkeit ist dieser Satz ein Reizwort und provoziert Protest und Widerstand, spätestens in der Pubertät.

      Unsere eigene »Landkarte« prägt unser Weltbild

      Weiß nicht jeder selbst am besten, was gut für ihn ist? Gilt das nicht auch für unsere Kinder? Selbst wenn wir zu wissen glauben, was für unsere Kinder gut ist: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir doch immer von unserer eigenen subjektiven »Landkarte« ausgehen, von unserer Persönlichkeit, geprägt von unseren persönlichen Erfahrungen, Wünschen und Ängsten.

      Respekt und Wertschätzung

      Um Kindern wirklich gerecht zu werden, müssen Eltern versuchen, sich in sie hineinzuversetzen, dem Geheimnis ihrer Persönlichkeit nachzuspüren, um ihr Wesen, ihre Neigungen und Talente zu erkennen. Das erfordert einen tiefen Respekt vor der sich entfaltenden, einmaligen Persönlichkeit des Kindes und ein behutsames, achtsames Hinhören. Darum ist das einfühlsame, aktive Zuhören eine der wichtigsten Schlüsselqualifikationen für Eltern und alle Menschen, die einen respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander pflegen wollen.

      Wenn Eltern ihren Kindern diese Haltung entgegenbringen, bekommen sie sehr wohl ein Gespür dafür, was gut für ihre Kinder ist, und strahlen es auch aus – ohne ihnen diesen Satz selbstherrlich drüberzustülpen.

      1.7. »Ich weiß, was gut für dich ist!« – die andere Seite der Medaille

      1.7.»Ich weiß, was gut für dich ist!« –

      die andere Seite der Medaille

      Eltern und Erzieher müssen wissen, was gut für ihre Kinder ist! Das Baby und Kleinkind muss sich darauf verlassen können, dass seine Eltern in den vielen alltäglichen Situationen die richtigen Entscheidungen treffen, wie auch der Gärtner wissen muss, welche Maßnahmen zu welcher Jahres- und Entwicklungszeit zu treffen sind.

      Kinder brauchen einen geschützten Rahmen

      »Ich weiß, was gut für dich ist!« ist vor allem eine Haltung, die Eltern ausstrahlen müssen. Sie gibt dem Kind Sicherheit und Geborgenheit und bildet zusammen mit Liebe und Annahme den Boden zur Festigung des Urvertrauens. Nur in einem geschützten und von Eltern verantworteten Rahmen können Kinder unbeschwert ihr Kindsein ausleben.

      Kinder nicht mit Freiheit überfordern

      Schon früh beginnen Kinder, nach Freiheit und Autonomie zu streben und Dinge für sich selbst entscheiden zu wollen. Es beginnt mit »Selber, selber!« und hört sich später vielleicht so an: »Von dir lass ich mir nichts mehr sagen! Ich weiß selbst, was gut für mich ist!« Manche Kinder fordern sehr vehement, auf eigenen Beinen zu stehen, und trauen sich in diesem an sich gesunden Impuls oft mehr zu, als sie dann tatsächlich bewältigen können. Wenn Eltern in falsch verstandener Freiheitsideologie nicht lenkend und Grenzen setzend eingreifen, führt das beim Kind nicht zur Stärkung der gesunden Willenskraft, sondern zu Labilität, Launenhaftigkeit, Willkür und Aggression. Auch die soziale Eingliederung kann durch das zu starke Ausleben des kindlichen Eigenwillens und natürlichen Egoismus erschwert werden.

      Autoritätsverlust führt zu elterlicher Verunsicherung

      Nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten restriktiver Erziehungskultur ging die Tendenz der letzten Jahrzehnte eher dahin, Kindern sehr viel eigene Entscheidungsfreiheit zuzugestehen. Daher wurde in bester Absicht zu viel elterliche Autorität abgegeben. Das hat bei der heutigen Elterngeneration große Unsicherheit und oft auch Hilflosigkeit verursacht, welche erst recht zu elterlicher Unberechenbarkeit und nicht selten zu offener oder unterschwelliger Aggression ihren Kindern gegenüber führt. Was als kindliche Freiheit und Eigenständigkeit gepriesen wird, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung oft als Trend zur Verwahrlosung. Erwachsen gewordene Kinder sagen dann rückwirkend: »Ich konnte machen, was ich wollte. Ich hatte den Eindruck, meinen Eltern war es sowieso egal!«

      Kinder in die Krise

      Bei Kindern und Jugendlichen wiederum hat der Selbstbestimmungs- und Freiheitskult dazu geführt, dass sie sich immer weniger von Erwachsenen sagen lassen. Wenn Erziehende die Steuerung abgeben, führt dies zu mangelnder Selbstdisziplin, Charakterschwäche und fehlendem Verantwortungsbewusstsein. Es verleitet dazu, dass junge Menschen immer jünger Entscheidungen treffen und Erfahrungen machen, für die sie noch nicht reif sind. Das führt zu Überforderung und Entwicklungsstörungen, zu schwerwiegenden Krisen und verpatzten Lebenschancen. Wie viele Umwege und Leid könnten unserer Jugend erspart bleiben, wenn sie auf gut gemeinte und fundierte Ratschläge von Eltern und Pädagogen/innen hörte!

      Eltern mit Führungskompetenz

      Erziehung gelingt am besten dann, wenn beide Seiten aufeinander hören und einander ernst nehmen und wenn Eltern und Erzieher fähige Berater und Mentoren sind, die auf Basis von Liebe und Annahme Kinder bei der Entscheidungsfindung unterstützen, mit Widerstand umgehen