Название | Dachschaden |
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Автор произведения | Marion Reddy |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783990011249 |
Das ist einer zukünftigen Leistungsträgerin auch egal. Bei mir wird alles anders sein, denkt sie.
„Das stört mich nicht“, sagte sie.
Sie erinnerte sie mich in dem Moment an mich selbst, als ich angefangen hatte. Ich hatte auch gedacht, durch grenzenloses Engagement würde ich die Welt niederreißen und alles schaffen können. Gott, was war ich naiv. Die Bewerberin kam auch weiterhin nicht dazu, zu erklären, warum sie eigentlich unbedingt Neurochirurgin werden wollte. Denn leicht verzweifelt wandte er sich an mich. „Frau Kollegin“, sagte er, „möchten Sie als Frau der Kollegin etwas sagen?“
Ich hatte keine Lust auf sein dummes Spiel. Die Bewerberin hatte sowieso keine Chance. Die meisten neurochirurgischen Abteilungen suchen Bewerber ohne Charakter und ohne Willen zum selbstständigen Denken, weil sie das manipulierbar macht. Sie sollen nichts hinterfragen und fleißig arbeiten. Vorkenntnisse sind nicht gerne gesehen. Es gab zwei Flaschen mit Beziehungen, die gab es immer, und eine würde das Rennen machen.
„Ich möchte etwas fragen“, sagte ich. „Es interessiert mich, warum jemand mit Potenzial eine neurochirurgische Ausbildung machen möchte, wenn er A nichts dabei lernt, B wenig verdient, C hinterher gekündigt und D mit seiner schlechten Ausbildung auf den Arbeitsmarkt entlassen wird.“
Die Bewerberin war konsterniert und mein Chef bat mich bei Bewerbungen nie wieder um einen Kommentar.
Die nächste Bewerberin empfing er mit einem Lächeln. Kein Laptop unter dem Arm, mädchenhaft, leicht geduckte Körperhaltung, schlecht sitzendes Kostüm, die Haare straßenköterblond. Nickelbrille. Eine, die in der Vorlesung immer in der ersten Reihe gesessen war. Von der Haltung her eine Dienerin. Ich wusste es nicht genau, aber ich vermutete, dass sie eine der beiden Flaschen auf seiner Shortlist war.
„Warum wollen Sie Neurochirurgin werden?“, fragte er sie.
„Wissen Sie, ich habe bis jetzt im Labor gearbeitet und ich stelle es mir so schön vor, mit Patienten zu arbeiten.“
Ich hielt sie für komplett bescheuert, aber sie bekam den Job.
Ich erinnere mich auch genau an die Situation, als mein zweiter Mann einmal an der Klinik einen der Oberärzte traf. Es war ein heißer Sommertag, und mein Mann war am Weg ins Schwimmbad. Er war braungebrannt, muskulös, groß und trug coole Shorts mit Riesen-Ananas. Als der Neurochirurg ihn sah, zuckte er zunächst richtig zusammen, als ob er ein Gespenst gesehen hätte. Den Blick, den er aber dann aufzog, werde ich nie vergessen, so viel abgrundtiefen Hass sieht man selten. Denn das war genau so einer, der ihn, den kleinen fetten Streber, früher ordentlich verarscht hatte.
Seither weiß ich, dass es nicht nur Liebe auf den ersten Blick, sondern auch Hass auf den ersten Blick gibt. Da der Neurochirurg wusste, dass mein Mann Medizin studierte, konnte er sich nicht einmal damit trösten, dass er ihm intellektuell überlegen war. Aber eines ist ganz klar, auch wenn er ein Diplom von Harvard oder Yale und zwanzig Publikationen gehabt hätte, hätte mein Mann niemals eine Stelle an einer Neurochirurgie bekommen. Denn solche Leute wären eine ständige Traumatisierung und eine wandelnde Provokation für die erwachsen gewordenen Looser der Kindheit. Wieso die Neurochirurgie der stärkste Magnet für Narzissten ist, habe ich schon beschrieben. In einem Gesundheitswesen, das Ärzte auf eine Stufe mit Gott stellt und das Typen anzieht, die diese Stellung brauchen, ist in der allgemeinen Wahrnehmung das Fach Neurochirurgie das göttlichste.
Es gibt sie auch in allen anderen Fächern, unter den Internisten, unter den Gynäkologen, unter den plastischen Chirurgen und sogar unter den Zahnärzten. Aber vor allem gibt es sie bei den Neurochirurgen. Denn der Neurochirurg übt seine Macht noch universeller aus, als die Mediziner aller anderen Fachrichtungen. Er öffnet einen Schädel und tut etwas damit. Es ist für ihn der ultimative Kick. Die Wirkung von Kokain ist ein Dreck dagegen.
Zusammengefasst heißt das, will ein Neurochirurg Sie operieren, dann nehmen Sie Ihren Infusionsständer und rennen Sie, solange Sie noch können. Und da haben wir erst von den Charaktermerkmalen der Neurochirurgen gesprochen, und noch gar nicht von ihrer Ausbildung, ihrer Überlastung, ihren Drogenproblemen und all den anderen Dingen. Das kommt noch.
Und ich?
Je länger ich dabei war, desto mehr wurde ich zu einem Störfaktor in diesem System. Jemand, der nicht dazu passt.
Zwei Sätze, die gut klingen, wenn ich sie so hinschreibe, und die meinem Ego schmeicheln, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie auch stimmen. Meine Psychiaterin meint, ich habe sicher auch narzisstische Anteile, aber das muss ja nicht immer negativ sein. Im positiven Sinne sind das Leute, die es einfach angemessen finden, einen guten Job, schöne Kleidung, eine tolle Wohnung und ein ausgeglichenes Privatleben zu haben. Die finden, dass ihnen das auf jeden Fall zusteht, vielleicht noch mehr als anderen. Der Übergang zum pathologischen Narzissmus ist dann allerdings fließend und nicht immer erkennbar.
Ich gebe zu, dass auch mein erster Gedanke an ein Medizinstudium nicht nur von Selbstlosigkeit und Hingabe geprägt war. Mir war ja als Kind immer schon aufgefallen, dass alle meine Freundinnen mit Arzt-Eltern Pferde hatten, da gab es Ferienhäuser in Spanien und Swimmingpools und Tennisplätze im Garten. Seit ich fünfzehn bin, habe ich mir dann jeden Monat die „Vogue” gekauft. „Warum kaufst du dir diese blöde Zeitschrift, da sind nur Designersachen drinnen, die wirst du dir sowieso nie leisten können!”, sagte meine Mutter immer. „Komm endlich von deinem hohen Ross herunter.” Gott, was habe ich diesen Spruch gehasst. Ich wusste aber, dass ich mir diese Sachen irgendwann leisten wollte, also wollte ich einen lukrativen Job, das war ganz klar.
Wir waren als Kinder im Sommer immer im Strandbad am Wörthersee. Da gab es so einen speziellen Milchreis, mit frischen Früchten, mit Erdbeeren, Himbeeren und Waldbeeren. Ich habe den nie bekommen, „viel zu teuer” haben meine Eltern immer gesagt. Ich habe ihn vielleicht zweimal im Leben gegessen, wenn meine Oma mit war und ihn mir gezahlt hat. Und wenn wir nach Grinzing zum Heurigen gefahren sind, hat meine Mutter gesagt, da sind die Villen von diesen reichen Arschlöchern. Ich dachte mir, ich möchte einmal so ein reiches Arschloch sein. Und mir so viel Beeren-Milchreis kaufen, wie ich will. Wahrscheinlich habe ich also einfach deswegen Medizin studiert … – Nein, die ursprüngliche Intention war schon, diesen Beruf erlernen zu wollen, Menschen helfen zu können, die Operationen bestens ausführen zu können. Aber eben auch, ein sorgenfreies Leben zu haben, insbesondere durch den finanziellen Hintergrund.
Aber weit gefehlt, vollkommen falsche Entscheidung, das sind einfach andere Zeiten gewesen, vor zwanzig oder dreißig Jahren. Unsere heutige Generation von Ärzten, mit der heutigen Bezahlung, ist komplett anders. Da gibt es jetzt nur mehr Bankrott, Mahnungen und gesperrte Konten.
Inzwischen kommt es sogar vor, dass ein Chefarzt den Ärzten monatliche Sonderklassengelder nicht ausbezahlt, wenn sie gerade in Urlaub sind, und hofft, dass das nicht bemerkt wird. Und da geht es um Summen wie hundert Euro, wie lächerlich ist das denn?
Am Gymnasium war ich dann auch immer ein Störfaktor, genauso wie später an der Neurochirurgie. Mit siebzehn war ich schwer verliebt in meinen Freund, der bereits studierte. Ich hing immer mit ihm vormittags in den Cafés ab und hatte infolgedessen sehr schnell das freiwillige Vorlesungssystem der Universität auf die Schule übertragen. Was bedeutete, dass ich nur mehr für die Hauptgegenstände in die Schule kam, und dabei vorzugsweise für Mathematik. Meine Fehlstunden explodierten, die Schulnoten fielen in den Keller. Als meine Eltern mir Hausarrest verpassten, stieg ich nachts aus dem Fenster, um meinen Freund zu sehen. Mein Vater nahm mich aus dem Gymnasium. Zur Strafe steckte er mich in die Krankenschwesternschule. Bereits nach drei Monaten begann ich, für die Externistenmatura zu lernen, weil mir klar war, dass ich das nicht mein Leben lang machen würde. Respekt vor den Krankenschwestern, aber für mich war das nichts. Zu wenig Geld und dafür zu viel rumgeschubst werden. Also machte ich die Matura und studierte Medizin. Das schien mir eine realistische Aussicht auf einen gehobenen Lebensstil zu bieten.
Während des Studiums bemerkte ich, dass mir Sezieren Spaß machte. Ich hatte die Geduld, ewig an den