Gendersensible Berufsorientierung und Berufswahl (E-Book). Elena Makarova

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Название Gendersensible Berufsorientierung und Berufswahl (E-Book)
Автор произведения Elena Makarova
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783035515305



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viele junge Erwachsene vor einem doppelten Übergang stehen. Einerseits übernehmen sie die Rolle einer Berufsperson und andererseits integrieren sie sich in einem neuen Betrieb. Obwohl diese Situation junge Erwachsene belastet, gehen die Autorinnen und Autoren jedoch davon aus, dass die jungen Erwachsenen insgesamt vom Wechsel profitieren und sogar ihre berufliche Zufriedenheit steigern. Neuenschwander et al. (2012) fanden dagegen heraus, dass sich die Zufriedenheit mit der aktuellen beruflichen Situation während der Lehre und nach der zweiten Schwelle nicht signifikant veränderte. Weiter gab es in ihren Untersuchungen keine unterschiedlichen Entwicklungen der beruflichen Zufriedenheit nach Geschlecht, nach Migrationshintergrund oder nach Anschlusslösung.

      4 Fokus und Fragen der Studie

      Der Forschungsstand illustriert, dass sich junge Frauen und Männer nicht grundsätzlich in ihren Berufswahlmotiven unterscheiden, dennoch lassen sich Unterschiede in Zusammenhang mit der Geschlechtstypik des gewählten Berufs vermuten. Die Analyse eines solchen Zusammenhangs bildet ein Forschungsdesiderat, da in bisherigen Studien zu Berufswahlmotiven junger Frauen und Männer die berufliche Geschlechtstypik nicht herangezogen wurde. Im Weiteren zeigen Studien zur berufsbezogenen Zufriedenheit, dass die Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf einerseits bereichsspezifisch und anderseits übergangsbezogen variieren kann. Angesichts der hohen Übergangsdynamik in den berufsbiografischen Verläufen junger Frauen und Männer (Makarova & Teuscher, 2018) bedarf es einer Analyse der berufsbezogenen Zufriedenheit während der Berufslaufbahn in Zusammenhang mit der Geschlechtstypik des gewählten Berufs.

      Um die Bedeutung der Berufswahlmotive und berufsbezogenen Zufriedenheit während der Laufbahnentwicklung junger Frauen und Männer in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik zu analysieren, liegt der Fokus der Studie auf zwei Übergängen in der beruflichen Laufbahn, die aus einer bildungs- und berufsbiografischen Perspektive zu den zentralen Übergängen gehören: auf der Berufswahl beziehungsweise der Wahl der beruflichen Grundbildung und der Wahl der Berufslaufbahn beim Übergang von der beruflichen Grundbildung in die Berufstätigkeit.

      1) Inwiefern unterscheiden sich männliche und weibliche Jugendliche in ihrer Berufswahl in Hinblick auf die berufliche Geschlechtstypik?

      2) Welche Gründe für die Wahl der beruflichen Grundbildung von weiblichen und männlichen Jugendlichen sind in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik in der Berufslehre ausschlaggebend?

      3) Welche Gründe für die Wahl der Berufslaufbahn von weiblichen und männlichen Jugendlichen sind in Zusammenhang mit der beruflichen Geschlechtstypik des gewählten Berufs ausschlaggebend?

      4) Wie sehr unterscheiden sich männliche und weibliche Jugendliche in ihrer berufsbezogenen Zufriedenheit bei der Wahl der beruflichen Grundbildung und welche Rolle spielt dabei die berufliche Geschlechtstypik der Berufslehre?

      5) Wie sehr unterscheiden sich männliche und weibliche Jugendliche in ihrer berufsbezogenen Zufriedenheit bei der Wahl der Berufslaufbahn und welche Rolle spielt dabei die berufliche Geschlechtstypik des gewählten Berufs?

      5 Methode

      Um die Fragen zu beantworten, wurden die Daten des von dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) geförderten Projekts «Bildungsentscheidungen und -verläufe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen (BEN)» analysiert. Das Projekt setzte ein Multi-Kohorten-Sequenz-Design mit einer ereignisbasierten Stichprobenziehung ein (Erhebungszeitraum: 2012–2016). Kohorte 1 umfasste zum Zeitpunkt der Stichprobenziehung im Jahr 2012 «Jugendliche am Ende des 9. Schuljahres», Kohorte 2 «junge Erwachsene unmittelbar vor der Lehrabschlussprüfung» und Kohorte 3 «junge Erwachsene im Alter zwischen rund 22 und 30 Jahren» (Neuenschwander, Düggeli, Nägele & Frey, 2015). Insgesamt nahmen 5207 Personen am Forschungsprojekt teil.

      5.1 Stichprobe der vorliegenden Studie

      Um die Gründe der Ausbildungs- sowie Berufswahl und die Zufriedenheit in der Berufslehre beziehungsweise dem Beruf aufzuzeigen, wurden lediglich die Personen der Kohorte 2 in die Analysen einbezogen. Grund dafür war, dass sich diese als Einzige zum ersten Messzeitpunkt in der beruflichen Grundbildung befanden und diese danach bei den weiteren Messzeitpunkten mit höchster Wahrscheinlichkeit abgeschlossen haben und im Arbeitsmarkt tätig waren. Weiter wurden diejenigen Personen einbezogen, welche eine Berufslehre zum Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ)[1] abgeschlossen hatten und danach in den Arbeitsmarkt einmündeten. Anschließend wurden die folgenden Personen ausgeschlossen: Personen, bei denen keine Geschlechtstypik-Codierung vorhanden war, deren berufliche Tätigkeit als Nebenjob identifiziert wurde, bei denen identische Mehrfacheinträge vorhanden waren, sowie Personen, die zwar Angaben zur beruflichen Laufbahn machten, aber keinen Zeitraum nannten. Um Vergleiche zwischen zwei Zeitpunkten der beruflichen Laufbahn – die Berufswahl und die Wahl der Berufslaufbahn – ziehen zu können, wurden alle Befragten mit nur einem Eintrag zur beruflichen Laufbahn ausgeschlossen. Somit umfasst die Stichprobe der vorliegenden Studie 470 Jugendliche. Von den 470 Personen, welche sich zum Befragungszeitpunkt in der beruflichen Grundbildung befanden, sind 63.6 Prozent weiblich (N = 299) und 36.4 Prozent männlich (N = 171). Die Befragten waren durchschnittlich 20.16 Jahre alt (SD = 3.36).

      Die angegebenen Berufslehren und Berufe wurden gemäß der Berufsdatenbank des Bundesamtes für Statistik (BFS) mit einem BFS-Stammcode codiert. Die codierten Berufslehren beziehungsweise Berufe wurden aufgrund von Daten der Statistik der beruflichen Grundbildung 2015 beziehungsweise aufgrund der ISCO-08-Klassifikation (International Standard Classification of Occupations) nach ihrer Geschlechtstypik drei Kategorien zugeordnet:[2]

      – 1. Kategorie = frauentypische (männeruntypische) Berufe mit einem Frauenanteil in der Gesamtpopulation von 70.1 Prozent – 100 Prozent;

      – 2. Kategorie = neutrale Berufe mit einem Frauen- beziehungsweise Männeranteil in der Gesamtpopulation von 30.0 Prozent – 70.0 Prozent;

      – 3. Kategorie = männertypische (frauenuntypische) Berufe mit einem Frauenanteil in der Gesamtpopulation von .0 Prozent – 29.9 Prozent.

      Nach dieser Einteilung gehören für diese Stichprobe insbesondere Berufe des Betreuungs- und Gesundheitswesens wie Fachfrau/-mann Gesundheit oder Medizinische Praxisassistenz zu den frauentypischen Berufen. Berufe des Baugewerbes, des technischen und IT-Sektors sowie der Landwirtschaft zählen zu den männertypischen Berufen. Beispiele dafür sind Maurer/-in, Informatiker/-in und Gärtner/-in. Zu den neutralen Berufen zählen beispielsweise Kauffrau/-mann, Detailhandelsfachfrau/-mann und Köchin/Koch, welche dem Gastgewerbe oder administrativen Bereich zugehörig sind.

      In Kombination mit dem Geschlecht der Befragten und der Geschlechtstypik der Berufswahl wurde eine Typologie der geschlechtsbezogenen Passung in der beruflichen Orientierung für die Analysen der vorliegenden Studie konstruiert. Die Typologie unterscheidet für beide Geschlechter jeweils geschlechtstypische, geschlechtsneutrale und geschlechtsuntypische Passungen. Befindet sich beispielsweise eine Frau in einer Berufslehre/einem Beruf der 3. Kategorie (männertypisch), existiert eine geschlechtsuntypische Passung, während eine Frau in einer Berufslehre/einem Beruf der 1. Kategorie (frauentypisch) eine geschlechtstypische und eine Frau in einer Berufslehre/einem Beruf der 2. Kategorie (geschlechtsneutral) eine neutrale Passung aufweist.

      5.3 Verwendete Variablen und Analysen

      Für die vorliegenden Analysen wurden neben dem Geschlecht der Jugendlichen (weiblich/männlich) und der geschlechtsbezogenen Passung in der beruflichen Orientierung (Abschnitt 5.2) die folgenden Konstrukte miteinbezogen: Retrospektive Kriterien der Ausbildungswahl, Kriterien der Berufswahl und Zufriedenheit im Beruf (Tabelle 1).[3]

      Der exakte Mann-Whitney-U-Test wurde für Vergleiche zwischen