Tod und Nachtigallen (Steidl Pocket). Eugene McCabe

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Название Tod und Nachtigallen (Steidl Pocket)
Автор произведения Eugene McCabe
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783958299986



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Nacht und dem Bibergold hatte er sich beim Frühstück darüber ausgelassen, dass Malt Whiskey »etwas Abscheuliches« sei, er selbst in Enniskillen in »schlechte Gesellschaft« geraten sei, er sich, »verflucht noch mal, an nichts, aber auch rein gar nichts« erinnere und von Glück reden könne, »ein großes Pony wie Punch« zu haben, »das in der Dunkelheit von selbst nach Hause findet«.

      Da wusste sie, was geschehen war, und er ahnte oder wusste es auch. Als Heranwachsende hatte sie oft laut vor sich hin gesagt: »Ich wünschte, er wäre tot.« Im Halbschlaf oder im Halbwachen beruhigte es sie manchmal, seinen Tod zu planen: ihn von der Steinbruchkante zu stoßen, seinen Whiskey mit Gift zu versetzen oder – jene schreckliche Lösung, von der sie bei William Carleton gelesen hatte – das Haus in Brand zu setzen, während er im Vollrausch war, und vom Ringfort, vom Wäldchen oder vom Brunnenhügel aus sämtliche Untaten der Vergangenheit brennen zu sehen, brennen, brennen, brennen zu sehen, keine Rache, sondern ausgleichende Gerechtigkeit. Es lag eine Art beglückender Trost darin, von derart unmöglichen, derart schrecklichen Taten zu träumen.

      Während sie Scones mit Butter und Orangenmarmelade aßen, nutzte Billy eine Gesprächspause, stand auf, ging zur Anrichte und entnahm der Schublade einen Umschlag. Aus dem Umschlag zog er etwas, das wie ein Billett aussah und legte es vor sie hin. Sie las:

      DER WELTBERÜHMTE

      MR PERCY FRENCH

      WIRD AM DONNERSTAG, DEM 3. MAI 1883

      UM 19.00 UHR

      IM RATHAUS ZU ENNISKILLEN

      SEINE UNNACHAHMLICHEN LIEDER

      UND BERÜHMTEN GEDICHTE

      VORTRAGEN

      Alberne Balladen, Banjogeklimper, idiotische Rezitationen jämmerlicher Knittelverse, die sie witzlos fand, und all das gewürzt mit peinlicher Sentimentalität. Jede zweite Schänke und viele Häuser im Land hallten von betrunkenen Darbietungen wider. Es würde einer Art Folter gleichkommen, den Urheber solchen Unfugs in der Öffentlichkeit singen zu hören. Aber sie konnte ohnedies nicht mitgehen. Seit Wochen malte sie sich aus, was in der kommenden Nacht geschehen würde. Sie hörte sich sagen:

      »Ich mache mir nicht viel aus Percy French, Sir.«

      »Du magst Percy French nicht?«

      »Nein, Sir.«

      »Was gefällt dir an ihm nicht?«

      »Ich glaube, die Albernheit…«

      Billy streckte die Hand aus und zog das Billett langsam zurück, während er wiederholte: »Albernheit?«

      »Ja, Sir.«

      »Alle Welt singt seine Lieder … ist die ganze Welt albern?«

      Albern schien ihr noch ein freundliches Wort für das, was alle Welt wunderbar fand.

      »Es gefällt mir nicht besonders, was er macht.«

      »Was gefällt dir denn?«

      »John Keats.«

      »Und wovon singt der?«

      Nachdenklich hielt sie inne, dann sagte sie: »Von Tod und Nachtigallen.«

      »Vielleicht kommt er ja eines Tages und trällert uns im Rathaussaal was vor.«

      »Sie wissen doch, dass er längst tot und beerdigt ist, Sir.«

      »Wo keine Vögel singen.«

      »Wozu die Heuchelei, wenn Sie ihn zitieren können?«

      »Weil ich Percy French kenne und schätze. Du hast heute Geburtstag … es sollte ein Ausflug werden. Aber sei’s drum, ich kann jemand anderen für deine Karte finden.«

      Wieder ganz die Mutter … strafend … keine Abneigung gegen Percy French, Abneigung gegen alles, was mir gefällt.

      Beth wusste seit Jahren, dass Billy als Student Percy French gekannt hatte. Er würde in der ersten Reihe des Rathaussaals sitzen, zu laut klatschen und sie höchstwahrscheinlich anschließend hinter die Bühne bringen, um sie Percy French vorzustellen. Auf dem Heimweg im Einspänner dann voraussichtlich betrunkenes Gegrapsche, beim Abschirren des Hengstfohlens im Hof Gestolper und Gebrummel, der obligatorische Klavier- und Gesangsvortrag. Heute Nacht würde er all das allein tun müssen, während Ward und sie ihren atemberaubenden Plan in die Tat umsetzten. Danach würde sie fort sein von hier, für immer und immer und immer und ewig… Amen.

      »Du versäumst eine seltene Gelegenheit.«

      »Ich mag keine Konzerte, Sir … Ich dachte, das wüssten Sie.«

      »In Italien bist du doch beinahe jede Woche in eins gegangen.«

      »Das waren Opern.«

      »Du wirst allein hier sein.«

      »Mit Geflügel im Hof und Feldern voller Schafe und Rinder, und Krähen und Tauben, Tausende davon, und jetzt all die Schwalben und die Wiesenralle, die unablässig tönt. Und sollte die mal verstummen, setzt sofort ein Esel ein. Wenn ein Ort auf Erden nicht einsam ist, dann dieser.«

      »Es tut gut, dich lächeln zu sehen, Beth. Ich dachte, du wärst vielleicht über irgendetwas verstimmt.«

      »Ich bin ganz zufrieden, Sir.«

      »Dann werden wir deinen Geburtstag auf andere Weise begehen, an einem anderen Tag.«

      »Das wäre schön, Sir.«

      »Du willst es dir nicht anders überlegen?«

      »Ich würde lieber nicht gehen.«

      Er war zur Tür gegangen, hatte sie einen Spaltbreit geöffnet, dann gezögert und auf die Stimmen gelauscht, die von der Küche herdrangen. Beth konnte mit halbem Ohr die schleppende, kehlige Stimme von Jim Ruttledge erkennen. Alles lachte, als Mercys Bruder Gerry einen Reim zum Besten gab. Dann Mickey Dolphin, der ausführlich beschrieb, wie er einmal das Feld am See hinaufgewandert war, die Kanüle, die »wie ein Peitschenhieb« hineinfuhr, das Zischen des eingeschlossenen Gases, und noch mehr Gelächter, als Gerry irgend einen Blödsinn daherstammelte. Über ihn hinweg sagte Mickey: »Mit Miss Beth würde ich mich lieber nicht anlegen, wenn sie dieses Dings in der Tasche hat. Sie könnte Unheil anrichten, sie könnte einen Menschen damit übel durchlöchern.« Darauf die tiefe Stimme von Jim Ruttledge: »Wie hält’s denn unsere Mercy, würdest du dich durchlöchern lassen, Mercy?«

      Inmitten eines neuerlichen Ausbruchs gutmütigen Gelächters und Geplänkels ließ Mercy sich mit den Worten vernehmen: »Wie ’ne Meute dummer kleiner Jungs, die ganze Bagage hier!«

      Billy lächelte leise, blinzelte zu Beth hinüber, räusperte sich und ging in die Küche. Plötzliche Stille, dann eine allmähliche Wiederaufnahme des Gesprächs. Sie hörte Billy sagen:

      »Der Kanonikus sagt, dass der Depp McGonnell wieder im Lande herumstreunt. Kennst du ihn, Gerry?«

      »Jawohl, Sörr.«

      Mercys Bruder Gerry Boyle hatte die gleichen großen, dunkel starrenden Augen wie seine Schwester. Er lauschte allem mit offenem, zahnlückigem Mund, und wenn er sprach, dann um einen Vers oder einen Sinnspruch hervorzustottern, den er gelernt hatte. »Armer Bursche, bisschen unbedarft«, sagten gütigere Menschen über ihn. Für die meisten jedoch war er nur »’n Dämlack«.

      »Un’ ob ich ihn kenn’, Sörr. Er, er, er macht den Mädels bange, un’ er is’ mächtig stark, er, er, er zischt se an wie ’n Ganter, und das jagt ihnen ’nen heillosen Schrecken ein, dass se ihm alles geben … er’s ’n harmloser Schlawiner, Sörr.«

      »Sicher doch«, sagte Billy, »und raucht sein Pfeifchen in jeder Scheune, in die man ihn reinlässt … zieht eine Spur von Scheunenbränden hinter sich her. Ich will nicht, dass er mir auch nur in die Nähe kommt, und wenn er widerspenstig wird, dann ruft mich, ich kümmere mich schon um ihn.«

      Als Beth das Frühstücksgeschirr aufs Tablett stellte, hörte sie, wie sie über das Moor, das Torfstechen und das Wetter redeten, hörte, wie Billy ans