Tod und Nachtigallen (Steidl Pocket). Eugene McCabe

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Название Tod und Nachtigallen (Steidl Pocket)
Автор произведения Eugene McCabe
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783958299986



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Ein Kamin im Adams-Stil, einfache, niedrige Decken, Pechkiefer im ganzen Haus. Ansonsten wenig bemerkenswert.

      AUSSENBEREICH Abgesenkter Pflasterhof, ummauerter Garten und Apfelspeicher (reetgedeckt), alles aus beliebigem Bruchstein errichtet. Es gibt eine Kalkbrennerei, eine Leinmühle (in Gebrauch), eine unbedachte Getreidemühle. Originale Eckpfeiler mit Kugelornament in gutem Zustand. Bewohntes Pförtnerhaus in gutem Zustand. Der Weiler Clonoula besteht aus vier reetgedeckten Cottages, wovon eines zugleich als Poststelle und Gastwirtschaft dient. Auf dem Anwesen befinden sich zwei weitere Cottages.

      ZUGEHÖRIGE PÄCHTER-FAMILIEN

      Ruttledge, Ward, Blessing, McManus, Boyle, McCafferty.

      ZUGEHÖRIGE GEMARKUNGEN

      Ardnagashel… Irisch: befestigte Anhöhe Brackagh… Irisch: Brachland Garvarry… Irisch: raues Land Dacklin… Irisch: schwarze Wiese

      GELÄNDE Guter Bestand von ausgewachsenen Buchen und Eichen. Zwanzig Morgen Obstplantagen, angeblich die ältesten in Ulster. Länge der Auffahrt tausend Meter, zur Landstraße hin steil abfallend. Diese wild bewachsene Steilfläche von dreißig oder mehr Morgen besteht aus Laubbäumen, Nadelbäumen und Rhododendren.

      An einer Lichtung dieses bewaldeten Areals hielt der Kanonikus jetzt an. Über die Rhododendrenpracht hinweg konnte er in der Ferne die glitzernde Fläche des Lower Lough Erne und die Umrisse seiner Inseln erkennen und direkt unter ihm die Gemarkungen Brackagh, Garvarry und Dacklin, die schwere, schwarze Landschaft der Enteigneten. Hungrige Aussicht und saures Land können das beste Volk der Welt missmutig und gefährlich stimmen. Mein Volk. In Mister Knights Buch konnte nicht Erwähnung finden, dass Clonoula unter allen Besitztümern Fermanaghs eine Kuriosität darstellte. Es widmete sich einzig den kleinen protestantischen Gutsbesitzern, den Angehörigen des Schein- oder Niederadels. Das Buch konnte nicht aussprechen, dass Billy Winters von Jimmy Donnelly, dem derzeitigen katholischen Bischof von Clogher, getraut worden war, der damals als junger Hilfsgeistlicher in einer Landgemeinde nahe Enniskillen gedient hatte. Wie fast jeder andere wusste er, dass Billy Winters vor fünfundzwanzig Jahren für längere Zeit Tag und Nacht trinken gegangen war. Während seiner trübseligen Zecherei hatte er einem betrunkenen Kumpanen oder vielleicht auch nur sich selbst irgendwann anvertraut: »Fahr nie für ’ne Frau über den See. Meine war schon bedient, als ich sie abkriegte – im dritten Monat schwanger.« Und so verbreitete sich in Fermanagh und den benachbarten Grafschaften das Gerücht, dass der erste Mann, der eine geteerte Straße zu seinem Kalksteinwerk gebaut hatte, ein Mann, der mit Bischöfen und Pferdehändlern umzugehen wusste und Gaunern Gaunertricks beibringen konnte, kurz: dass einer der gerissensten Burschen Ulsters selbst übertölpelt und beschämt worden war, und zwar von einer Frau, schlimmer noch: von einer Papistin.

      Nach der Geburt hatte Cathy Winters weiter mit ihm in dem geräumigen Bauernhaus von Clonoula gelebt. Während der folgenden zwölf Jahre hieß es hin und wieder: »Billys Frau hat ein blaues Auge« oder »Die Frau ist ganz schön gealtert«, und einige sagten: »Wer will’s dem Mann verdenken?« Andere bemerkten: »Er ist ein Wüstling, dieser Billy, ein mieser Kerl, der sie mit Tritten und Hieben durchs Haus scheucht; mir tut’s um Klein-Beth leid, das arme Krümelchen.« Und als Cathy Winters im Hof von Clonoula ein so jähes und furchtbares Ende gefunden hatte, stand Billy, den Arm um Beth geschlungen, schluchzend an ihrem Grab, was jenen, die es beobachteten, so ungewöhnlich vorkam, dass sie bemerkten: »Er muss sie wirklich geliebt haben.« Seine eigenen Glaubensbrüder waren da misstrauischer: »Das war doch nicht ihretwegen, sondern weil er mit den Papisten Geschäfte macht. Der Mann hat kein Schamgefühl.« Unmöglich zu wissen, wie viel davon wahr, falsch oder reine Häme war. Aber ob wahr oder falsch, Allgemeingut war es auf jeden Fall.

      Eigenartigerweise war es bei seinen Besuchen im Lauf der Jahre immer wieder Beth, das Mädchen mit dem feierlich starren Blick, jetzt eine Frau, die in Gegenwart eines Priesters wachsam und distanziert wirkte. Billys Auftreten dagegen war leutselig, aufgeschlossen, onkelhaft, gastfreundlich und, zumindest an der Oberfläche, zivilisiert. Und da stand er auch schon wieder lächelnd im Vorbau, beide Arme einen Moment lang zum Willkommensgruß ausgestreckt. Am Vorabend hatte der Bischof über ihn gesagt: »Ich denke nicht, dass Billy Winters an etwas anderes als Geld und Malt Whiskey glaubt, aber er ist gradheraus, was man von vielen unserer Leute nicht unbedingt behaupten kann.«

      Billy führte die gefleckte graue Stute des Kanonikus neben den Vorbau und band sie an einem Wisteriageäst fest. Der Kanonikus stieg mit den Worten ab:

      »Ich habe einen Brief für dich, vom Bischof James von Clogher.«

      »Gute oder schlechte Nachrichten, Leo?«

      »Keine Ahnung, aber es muss dringend sein.«

      Sie schüttelten einander die Hand.

      »Du bleibst doch zum Frühstück?«

      »Nein, danke, aber ich setz mich kurz zu dir. Was für ein Morgen… Gott sei’s gedankt.«

      »Es ist der Zaubermonat«, sagte Billy.

      »Es hat mehr mit der Örtlichkeit zu tun«, sagte der Kanonikus, »hier oben bist du auf halbem Weg zum Himmel!«

      Aus den Rhododendren kam eine Irish-Setter-Hündin und setzte sich mit hechelnder Zunge auf das Kiesrechteck vor dem Haus. Ihr kupferrotes Fell leuchtete in der Sonne.

      »Ist die neu, Leo?«

      »Ja.«

      »Taugt sie was?«

      »Das kann man noch nicht mit Gewissheit sagen, aber sie hat eine gute Nase und ist gehorsam.«

      »So müssen sie sein.«

      Der Kanonikus ließ sich im Vorbau auf einer Bank nieder und legte die Reitgerte auf die Knie. Dann holte er aus der Innentasche seines Gehrocks einen Umschlag und überreichte ihn Billy, der ihm gegenübersaß. Billy legte den Brief hinter sich auf die Fensterbank.

      Es wäre liebenswürdiger gewesen, fand der Kanonikus, wenn Billy Winters den Brief geöffnet, kurz überflogen und mit einem beiläufigen Kommentar beiseitegelegt hätte. Andererseits, warum hätte er das tun sollen? Womöglich wäre eine unbehagliche Situation entstanden, wenn er ihn geöffnet hätte. Könnte von mir handeln oder weiß Gott wovon. Bischöfe stehen mit den seltsamsten Informanten in Verbindung.

      Billy Winters kam es vor, als blicke der Gemeindepfarrer in Gedanken an etwas Unerfreuliches finster auf den gekachelten Fußboden. Die lasierten Fliesen zeigten einen Biber auf einem Baumstamm mitten im Fluss, darunter in römischen Buchstaben drei Wörter in einem Halbkreis: I SEQUERE FLUMEN – folge dem Fluss. Billy wartete darauf, dass er sprach. Als das Schweigen anhielt, sagte er:

      »Nichts Außergewöhnliches, Leo.«

      »Ja und nein… Der Depp MacGonnell ist wieder unterwegs, gestern war er bei uns.«

      »Er ist ein harmloses Geschöpf«, sagte Billy.

      »Sie hätten ihn im Irrenhaus von Monaghan lassen sollen.« Der Kanonikus hielt inne und sagte dann mit Nachdruck: »Eins ist sicher, er war es nicht, der mein neues Gewächshaus zertrümmert hat.«

      »Um Gottes willen! Wann war das?«

      »Letzten Dienstag, gegen Mitternacht.«

      »Und wo warst du?«

      »Drüben in der Wildnis bei Brackagh Cross und Dacklin, hab versucht, den wilden Zechern und Teufelstänzern Anstand beizubringen.«

      »Ist es dir gelungen?«

      »Oh, ich hab sie auseinandergebracht.« Er hob seine Reitgerte. »Hiermit.«

      Der Löwe von Dacklin. Gut gemacht, Leo. Der Reitstock für verstockte Aufrührer. Kein Wunder, dass sie in hellen Scharen nach Amerika, Australien, sonst wohin abhauen … dreschen auf alles ein, was sie selbst nicht haben können … oder haben sollten… Besser, ich sag was.

      »Die Tänze kommen aus Amerika«, bemerkte Billy.

      »Der Schnaps kommt von hier«, sagte der Kanonikus,