Название | Die tragende Haut |
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Автор произведения | Silvia Boadella |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867812184 |
Du liegst nun auf der Seite, wie ein Embryo. Du wirkst klein und zierlich. Wir heben dich zusammen auf die Bahre und legen dich wieder auf den Rücken. Wie schmal ist dieser Platz. Das Bett erscheint wie ein großes Nest, das du für immer verlassen hast. Aufgebahrt liegst du da, im weißen Nachthemd der Klinik. „Wie schön sie aussieht“, sagt Ina. Wir decken dich mit einem weißen Laken zu und legen es sorgsam um deine Schultern, Ina von links, ich von rechts. „Ein Engel zur Rechten, ein Engel zur Linken“, sage ich heiter. „Und einer oben und einer unten“, meint Ina. Wir lachen. Eine leichte, heitere Stimmung, die schon vorher im Raum war, hat uns ergriffen.
„Eigentlich müsste ich ihr noch das Kinn hochbinden“, sagt Ina und zeigt mir das weiße Band, das dafür vorgesehen ist. „Das machen wir immer so, aber es ist mir heute zuwider.“ – „Warum denn?“, frage ich. „Damit der Mund geschlossen ist, wenn die Totenstarre eintritt. Nachher kann man ihn dann nicht mehr schließen.“ – „Aber sie sieht doch entspannt aus mit geöffnetem Mund, und so natürlich, sie hat doch ausgeatmet, ganz zuletzt!“ – „Ja, wenn Sie damit einverstanden sind, können wir es auch sein lassen, es verstößt zwar gegen die Vorschriften der Klinik im Umgang mit Toten.“ – „Lassen wir es sein“, sage ich, „es würde ihr Gesicht nur verunstalten.“ Erleichtert legt Ina das Band wieder weg. Wir folgen beide unserem natürlichen Empfinden und dem Gebot der Ehrfurcht. Daraus entsteht unser eigenes Ritual. In ihm sind wir beschützt. Sind wir uns früher je begegnet, Ina und ich? Ich glaube kaum. Wir kannten uns nur aus Monikas Erzählungen. Doch jetzt, eingebunden in dieses Geschehen, handeln wir so, als hätten wir es zusammen seit Urzeiten geübt.
Ina schaut auf die Röslein und dann auf dein Gesicht. Sie nimmt eins heraus und steckt es dir ins Haar. Sie nimmt das nächste. Eins nach dem andern, gelb weiß rosa, rosa weiß gelb, bis dein Gesicht aus den Blumen hervorschaut. Ein paar übrige verteilt sie aufs weiße Leintuch, das deinen Körper bedeckt. Ich höre in mir das Kinderlied wieder, das mir Mama zum Einschlafen oft gesungen hat:
„Guten Abend, gute Nacht,mit Rosen bedacht,mit Näglein besteckt,… wirst du wieder geweckt.“
Ich singe es dir leise zu. Danach lauschen wir beide, Ina und ich, in Andacht versunken, und schauen in dein geschmücktes Antlitz. Die Röslein duften und duften. Wir stehen lange da.
Bis die Tür sich öffnet und jemand winkt. Ina eilt hin. Geflüster. Dann kommt sie zurück. Sie wagt kaum die Stille zu durchbrechen. Fast schmerzhaft sind die ersten Worte, sie versucht sie so schonend wie möglich zu sagen: „Es wird Zeit. In einer Viertelstunde müssen die Zimmernachbarn wieder hereinkommen können.“ Was nun? Wir schweigen zusammen. Wie weiter in unserem Ritual? Wir denken beide nach. „Wohin sollen wir denn mit ihr gehen?“, durchbreche ich das Schweigen. „Es gibt einen Extraraum im Untergeschoss“, sagt Ina zögernd. „Ein gekachelter, fensterloser Kellerraum?“, frage ich. Ina nickt. Die Vorstellung, dich darin allein zurückzulassen, widerstrebt mir. „Gibt es keine andere Möglichkeit?“ Ina denkt laut nach: „Es ist schon spät, die Bestattungsfirma holt jetzt keinen mehr, erst morgen früh wieder.“ – „Gibt es keinen anderen Ort als den Keller, wo sie bis dahin bleiben kann?“, frage ich eindringlich. „Doch, da gibt es noch ein kleines Gartenhaus im Park“, meint Ina zögernd, sie ist selbst erstaunt über diesen Einfall. „Es stehen nur ein paar Geräte drin. Der Gärtner hat auch schon Feierabend. Niemand wird sie da stören.“ Dass dies den Klinikvorschriften zuwiderläuft, versteht sich von selbst. Aber kaum ausgesprochen, wissen wir schon: Es entspricht unserem eigenen Gebot. Da werden wir dich hinfahren, zu deiner letzten Nachtruhe, mitten in die Natur hinaus.
Um das praktische Vorgehen zu Ende zu denken, frage ich noch: „Und wie geht es morgen weiter? Was raten Sie mir da?“ – „Ich empfehle Ihnen ein bewährtes Bestattungsinstitut. Es wird von einem Ehepaar geleitet. Die Adresse werde ich Ihnen am Empfangsschalter hinterlegen, Sie können von dort aus anrufen. Sie werden Monika respektvoll waschen und einkleiden. Wie, können Sie bestimmen. Danach wird sie in die Friedhofskapelle gefahren und bis zur Kremation darin aufgebahrt. Vielleicht möchten ein paar Angehörige Monika noch sehen und können in der Kapelle von ihr Abschied nehmen.“ Da mir keine Alternative dazu einfällt, stimme ich diesem Vorschlag zu.
Kurz male ich mir den weiteren Verlauf aus. Bald werde ich für dich zusammen mit unseren Freunden und Verwandten eine Feier organisieren. Gemeinsam werden wir uns an dich erinnern und dein Leben würdigen. Ich spüre in diesem Moment jedoch, dass all dies für mich nicht mehr wichtig sein wird und mehr einem äußeren Rahmen angehört. Der wirkliche Abschied findet hier zwischen uns statt, in einem einzigartigen Zusammenklang, der meine Seele ein ganzes Leben lang bewegen wird. Wieder öffnet sich die Tür und jemand meint dringlich: „Es ist jetzt allerhöchste Zeit für die Patienten, ins Zimmer zurückzukommen.“ Er lässt die Türe offen. Ina zieht das Leintuch über dein Gesicht hoch. Ich werfe einen letzten Blick in den Raum. Da ist das leere Bett mit der zurückgeschlagenen Decke, da steht dein kleiner Tisch mit der leeren Vase, in der Tischschublade mit deinen Habseligkeiten steckt noch ein Schlüssel. „Ich werde Ihnen alles zusammenpacken“, sagt Ina nun in Eile und schaut zur Tür. Wie von unsichtbarer Hand geleitet ergreifen wir die Bahre, Ina von links, ich von rechts. Wir schieben dich aus dem Raum hinaus, durch den Gang der Abteilung, wo uns neugierige Augen folgen, durch die Korridore des Spitals, ins Freie.
So zugedeckt, siehst du wirklich tot aus, und ich kämpfe mit den Tränen. Ina steuert das Gefährt über die verschlungenen Wege des Parks, sie kennt den Bestimmungsort, sie hat es eilig. Wir sind atemlos. Ich habe keine Zeit, die Frühlingsblumen am Weg und die hohen Bäume zu begrüßen. Menschen kommen uns auf dem Weg entgegen. Ihre Blicke streifen erstaunt unser schmales, mit dem weißen Tuch bedecktes Gefährt, unter dem sich die Konturen eines Menschen abzeichnen. „So eine Frechheit“, meint einer von ihnen wütend. „Jetzt schiebt man die Toten noch bei Tageslicht durch den Park! Sind die denn völlig verrückt geworden?“ Wir schweigen und beschleunigen unsere Schritte. Es ist uns beiden klar, dass wir hier ein Tabu brechen: Tote gehören „weggepackt“ und werden so schnell wie möglich aus dem Gesichtsfeld der Lebenden entfernt. Und hier eilen wir mit einer Toten durch den Frühling. Ein Gefühl von Absurdität beschleicht mich, und wenn ich nicht die Befürchtung hätte, dass unsere Mission in diesem öffentlichen, von allen einsehbaren Raum misslingen könnte, würde sich sogar ein kleines Gelächter in mir breit machen.
In der Ferne erblicke ich einen hölzernen Schuppen. Ina navigiert unser Gefährt zielsicher darauf zu. Die alte Holztür klemmt, wir schauen uns schnell um, ob uns niemand gefolgt ist. Die Luft ist rein. Ich öffne die Tür mit einem Ruck, sie gibt quietschend nach, und sofort fahren wir unsere kostbare Ladung in diesen hölzernen Unterschlupf und ziehen die Tür hinter uns zu. Geschafft! Mission gelungen! Wir seufzen vor Erleichterung. Wir schauen uns um. Der Schuppen scheint nicht mehr in Gebrauch zu sein. Spinnweben hängen von den hölzernen Balken, ein paar alte Gartengeräte stehen angelehnt an der Wand, Rechen, Schaufeln, eine Sense, alle mit hölzernen Griffen.
Da, der Abendgesang einer Amsel erklingt im Raum. Rechts oben steht ein kleines Fenster zur Belüftung offen. Weit offen. Ein Seelenfensterchen für dich, geht mir durch den Sinn. Ich erinnere mich an unser altes Bauernhaus, das unter dem Giebel links und rechts zwei kleine quadratische Öffnungen aufweist. „Das sind die Seelenfensterchen“, hatte mir Alice, die Bäuerin, erzählt, „sie wurden früher in jedes Haus eingebaut. Durch sie soll die Seele der Toten, die hier noch zu Hause aufgebahrt wurden, ins Freie fliegen.“ Also genau der richtige Ort für deine letzte Nachtruhe. Während ich so nachdenke, ergreift Ina zärtlich das Ende des Lakens, das über deinem Gesicht liegt, und faltet es sorgfältig über deiner Brust. Dein Gesicht ist wieder frei, mit Röslein besteckt. Wie schön du bist! Du siehst verklärt aus. Wir stehen versunken da. Bis mich Ina leicht auf die Schulter tippt: „Entschuldigen Sie bitte,