Название | Die Schneefrau |
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Автор произведения | Thomas Bornhauser |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783038182764 |
«Herr Ugromow, so geht das aber nicht …»
«Reden Sie mit meinem Anwalt in Genf, Jean-Claude Delacroixriche.»
«Herr Ugromow, selbst wenn ich mit Herrn Delacroixriche sprechen würde, Sie müssen dabei sein. Und morgen lasse ich das Haus durchsuchen. Sagen Sie das Ihrem Herrn Delacroixriche.»
«Ich verbiete Ihnen das! Do svidaniya, Frau Oratt!»
Damit beendete Witali Ugromow das Gespräch, einseitig. Christine Horat wusste, dass «Do swidanja» auf Russisch «Auf Wiedersehen» bedeutete –, und «Swoboda», der Name von Ugromows Chalet, «Freiheit».
Inzwischen standen die Uhrzeiger auf 1.30 Uhr. Die Verantwortlichen einigten sich darauf, ihre Arbeiten um 9 Uhr fortzusetzen, um diese Zeit machte es keinen Sinn mehr. «Herr Müller», sprach Christine Horat den Gstaad-Watch-Chef an, «aktivieren Sie bitte sämtliche Alarmanlagen des Chalets und informieren Sie mich umgehend, sollte etwas passieren.»
«Ritschi» Müller nickte und tauschte mit Horat die Geschäftskarten aus.
«Neun Uhr gilt auch für Sie oder einen Ihrer Stellvertreter, bitte nehmen Sie alle Zutrittsinstrumente für das Chalet Swoboda mit, wir werden das Haus durchsuchen, ob das diesem Herrn Ugromow nun passt oder nicht. Wo sind wir hier denn?».
Zum Schluss bat Christine Horat den Gstaad-Watch-Chef, zwei Mitarbeitende aufzubieten, um das Anwesen während der Nacht vor Neugierigen zu schützen. «Wird gemacht. Sagen Sie, wem kann ich diese zusätzlichen Dienstleistungen in Rechnung stellen?»
«Herrn Ugromow, bei dem Sie ja unter Vertrag stehen. Verursacherprinzip nennen wir das.»
15 Minuten später standen zwei Herren in der Nähe der beiden Strassenabsperrungen, mit gegenseitigem Sichtkontakt.
Christine Horat hatte bemerkt, dass Joseph Ritter ihr Gespräch mit Witali Ugromow mindestens zum Teil mitverfolgt hatte.
«Wird wohl nicht kommen, Herr Ugromow», sagte Ritter mit leiser Stimme, just bevor die Staatsanwältin in ihr Auto steigen wollte.
«Mir ist doch auch klar, dass er von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen wird, um sich nicht selber zu belasten, aber das wollte ich ihm nicht auf die Nase binden.»
«Was glauben Sie, wie geht es jetzt weiter?»
Horat seufzte. «Ich bin bloss gespannt», antwortete sie, «um welche Uhrzeit ich einen Anruf von Herrn von Kreuzreich erhalten werde, denn der ist mir so sicher wie das Amen in der Kirche.»
«Von Kreuzreich?»
«Die deutsche Fassung von Delacroixriche, Ugromows Anwalt aus Genf. Ugromow wird ihm bestimmt meine Handynummer mitteilen, die er im Display gesehen hat.»
Ritter und Horat lachten beide, zum grossen Teil ihrer eigenen Müdigkeit wegen. Und selbstverständlich hatte vorher der KTD noch alle Zugänge und Türen des Chalets Swoboda mit amtlichen Klebern versiegelt, mit dem Hinweis an die Anwesenden, dass heute Nacht keine Hausdurchsuchung mehr auf dem Programm stehen würde.
* Thomas Bornhauser: Fehlschuss. Weber Verlag, Thun/Gwatt 2015.
Zehn Tage zuvor
Freitag, 7. Februar: Zufälligerweise hatten sowohl Michel Chevalier als auch Monika Grünig Tagesdienst auf dem Polizeiposten in Gstaad, derweil sich zwei Kollegen auf Routinepatrouille im Dorf befanden. Insgesamt arbeiteten während der Hochsaison und aufgrund der verschiedenen Dienstpläne mit einem Bezirkschef, einem Wachtchef, zwei Gruppenchefs und zehn Mitarbeitenden bis zu 14 Polizistinnen und Polizisten auf dem Oberländer Posten.
Gegen 10 Uhr – im Rapport hatte Monika Grünig exakt 10.03 Uhr notiert – erschien Matthias Kaufmann auf dem Posten mit einem speziellen Anliegen. «Ich muss eine Vermisstenanzeige machen.»
Nun war Matthias Kaufmann nicht irgendwer, sondern ein Immobilien-Tycoon, bekannt – und berüchtigt – im ganzen Saanenland. Zusammen mit seinem Bruder Erich hatte er bereits in den Sechzigerjahren den Riecher dafür, dass die Region mehr zu bieten vermochte als eine Postkartenidylle mit Kühen und Bergen. Im Laufe der Jahre investierten die beiden – durchaus mithilfe von einigen Banken – gezielt in Überbauungen, Chalets, Restaurants und Hotels, immer mit sicherem Instinkt für eine optimale Rendite. Selbst die paar wenigen Ausnahmen ergaben unter dem Strich noch immer knapp schwarze Zahlen. Den Kaufmann-Brüdern gehörten Lokalitäten an bester Lage, die sie zu «Marktpreisen» an internationale Konzerne vermieteten. Allein in Gstaad fanden sich drei bekannte Hotels und vier Restaurants in ihrem Portefeuille. Und dennoch, ein Umstand vermochte den Zorn in ihnen zu wecken: Ein ausländischer Investor – angeblich eine Private-Equity-Firma aus Kapstadt mit einem südafrikanischschweizerischen Doppelbürger als Vertreter in der Schweiz – hatte in letzter Zeit damit begonnen, über verschiedene Immobilienhändler Liegenschaften in Gstaad zu kaufen und gleich – selbstredend gewinnbringend – weiterzuvermieten. «Dieser ‹Cheib› pfuscht uns ins Handwerk, nimmt mich wunder, woher der Typ sein Geld hat!», hatte sich, so wussten Insider zu berichten, Matthias Kaufmann mehrfach in trauter Runde geärgert. Und dieses Treiben eines Ausländers gehöre gestoppt. Nur eben – wie?
Beide Kaufmann-Brüder, die ebenfalls eigene Chalets am Oberbort besassen, waren geschieden, Erich dreimal, Matthias einmal, nicht zuletzt deshalb, weil es ein offenes Geheimnis war, dass beide Herren auch in ihrem fortgeschrittenen Alter – «Mättu» war 74, «Eru» 72 Jahre alt – noch die Freuden des Lebens zu geniessen wussten, wahrscheinlich mit freundlicher Unterstützung von Viagra und Cialis, ganz unter dem Motto und frei nach Oscar Wilde: «Einer Versuchung solltest du unbedingt nachgeben, denn wer weiss, ob sie nochmals kommt?» Dass Matthias Kaufmann eine Vermisstenmeldung machen wollte, liess Michel Chevalier aufhorchen und aufschauen.
Das Gstaad Palace ist das wohl bekannteste Hotel im Saanenland mit einer eindrücklichen Geschichte. Im hoteleigenen Nachtclub GreenGo war Valeria Morosowa ein gern gesehener Gast. Ihre Begleiter geizten vor allem beim Servicegeld nicht, sehr zur Freude der Kellner.
«Wen möchten Sie als vermisst melden, Herr Kaufmann?», fragte derweil Monika Grünig und hielt das Formular für die Vermisstmeldung bereits in den Händen.
«Valeria Morosowa», antwortete Kaufmann, «hier ist eine Foto von ihr.»
Auch Frau Morosowa war in Gstaad alles andere als eine Unbekannte, nicht bloss ihres gepflegten Aussehens und ihrer tollen Figur wegen. Obwohl sie Dauermieterin eines Chalets war – allerdings nicht am Oberbort –, verbrachte sie genau genommen nur die Zeit zwischen Weihnachten und Ostern sowie einige Wochen im Hochsommer in Gstaad, auch während des Tennisturniers. Wie auch immer: Bei Insidern sprach man(n) von ihr als PM (Pii Ehm) – eine Abkürzung für Party-Maus. Woher Morosowa das Geld für den offensichtlich aufwändigen Lebenswandel hatte, war nicht bekannt. Die einen wollten wissen, dass sie sich von wohlhabenden Herren aushalten liess, andere wiederum sprachen davon, dass sie die Witwe eines ehemaligen Barons sei und ganz böse Zungen glaubten sogar, dass sie im Keller ihres Chalets ganz besondere Dienstleistungen offerierte, im Stil von «50 Shades of Grey». Oder so ähnlich.
«Bevor wir auf die näheren Umstände ihres Verschwindens zu reden kommen, können Sie uns ein genaues Signalement geben, Herr Kaufmann?»
«Valeria wurde kürzlich 48 Jahre alt, sie ist einsachtzig gross und angeblich 68 Kilo schwer, wie sie mir einmal verraten hat, sie hat naturblonde Haare und spricht Russisch, Ukrainisch, Deutsch, Spanisch, Englisch und Französisch, die letzteren vier mit dem typischen slawischem Akzent.»
«Was trug sie zum Zeitpunkt ihres Verschwindens?»
«Ich weiss es nicht, denn ich habe sie vorgestern Abend im Olden vergeblich zum Apéro erwartet. Wir wollten anschliessend zusammen ins Restaurant des ESC gehen, anschliessend ins GreenGo im Hotel Palace.»
Dieser letzte Satz von Matthias Kaufmann hatte es wirklich in sich,