Christ sein – was ist das?. Matthias Beck

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Название Christ sein – was ist das?
Автор произведения Matthias Beck
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783990404362



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der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs“ (Ex 3,6), und dann später: „Ich habe die Klage meines Volkes gehört, ich will sie der Hand der Ägypter entreißen“ (Ex 3,8). Auf die Frage des Mose, wie er denn heiße, sagt er: „Ich bin der Ich-bin-da“ (Ex 3,14). Hier beginnt die sogenannte Selbstoffenbarung Gottes. Gott sagt etwas über sich selbst aus, frei interpretiert: Ja, es gibt mich. Ich bin da, ich bin für euch da (Ex 3,14). Er bestätigt, dass die Suche des Menschen nach dem letzten Grund allen Seins nicht sinnlos ist. Die Selbstoffenbarung Jahwes beginnt mit einer philosophischen Antwort auf die Frage des Menschen nach seiner Existenz. Er ist da, er tritt aus seiner Verborgenheit ans Licht, er spricht und handelt befreiend am Volk. So beginnt die Befreiungsgeschichte des Volkes Israel.

      Für den Menschen bedeutet das, dass seine Suche nach dem ganz Anderen und Absoluten nicht ins Leere läuft. Anders gesagt: Das Absolute erweist sich als ein personales Gegenüber, dem der Mensch vertrauen kann. Allerdings „gibt“ es diesen Gott nicht so, wie es Menschen und Dinge gibt. Jahwe ist der „ganz Andere“ und der ferne Gott, von dem der Mensch sich kein Bild machen soll und dessen Name niemand aussprechen darf. „Einen Gott, den ‚es gibt‘, gibt es nicht“,17 hat Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945) formuliert. Gott ist anders, er erscheint indirekt in dieser Welt, niemand hat Gott je gesehen, seine Macht ist groß. Wer Gott sieht, stirbt, heißt es im Alten Testament. „Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“ (Ex 33,20).

      Möglicherweise war der Mensch erst in dieser weltgeschichtlichen Zeit in der Lage, überhaupt mit diesem mächtigen Gott in eine personale Beziehung zu treten. Er musste sich erst auf diese Begegnung hin entwickeln. Aber sehen durfte er ihn nicht. Offensichtlich ist die Macht Gottes, der diesen riesigen Kosmos geschaffen hat, zu groß, als dass der Mensch seine Nähe aushalten könnte. Hier spürt man, welche kosmischen Dimensionen im Spiel sind. Der griechische Begriff Ho Antropos für „Mensch“ deutet in eine ähnliche Richtung. Frei übersetzt bedeutet er: Der Mensch ist das Wesen, das schaut und staunt. Er steht aufrecht, schaut in den Himmel, sieht die Sterne und staunt über die Größe des Kosmos. Immanuel Kant hat es in seiner „Kritik der praktischen Vernunft“ sinngemäß so ausgedrückt: Was mich am meisten mit Ehrfurcht erfüllt, ist der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Diese gewaltige und zugleich stille Kraft des Kosmos deutet auf den Gott hin, der sich dem Menschen zuwendet. Dies geschieht zunächst aus der Ferne. Niemand hat Gott je gesehen, der Mensch soll sich kein Bild von ihm machen und nicht in seine kleine menschliche Vorstellungswelt pressen. Gott ist anders und größer. Das gilt bis heute.

      Das Alte Testament ist ein Erfahrungsbericht von Menschen, die das Wirken Gottes im konkreten Leben erlebt haben. Es ist auch ein Bericht über die Vorstellung des Menschen von der Erschaffung der Welt, von der Entstehung des Menschen und seinem Abfall von Gott. Menschen berichten, inspiriert vom göttlichen Geist, wie sie glauben, dass Gott die Welt aus dem Nichts geschaffen hat und aus dem Chaos Ordnung werden ließ. Tohuwabohu ist das hebräische Wort für Chaos. Aus dem Chaos wird Kosmos.

      Der göttliche Geist schafft die Welt so, dass Ordnung herrscht im gesamten Weltall, in der Natur, im Menschen. Der Mensch kann diese Ordnung schrittweise entziffern lernen. Er findet Naturgesetze und kann mithilfe der Kosmologie, der Naturwissenschaften und vielen anderen Zugängen immer besser verstehen, wie der Kosmos, die Natur, die Lebewesen, die Menschen „funktionieren“. Naturwissenschaftlich gesprochen meint diese Ordnung keine starre Ordnung einer mechanischen Maschine, sondern die dynamische Ordnung des Lebendigen, das auch das Chaos und den Zufall kennt. Es braucht die Ordnung der Planetenbahnen und jene des Organismus, aber auch die Flexibilität des Zufalls. Ohne Ordnung gäbe es keinen Zufall. Wenn alles Zufall wäre, gäbe es den Zufall nicht und die Welt würde kollabieren. Ordnung und Zufall gehören zusammen, sie ermöglichen „Freiheitsgrade“.

      Auf der Seite der Theologie geht es um die Reflexion der Selbstoffenbarung des Schöpfergottes, der die Welt – womöglich mit dem Urknall – ins Sein gebracht hat. Es geht um die Beschreibung seines befreienden Handelns und um die Übergabe der Zehn Gebote. Sie sind dazu da, dem Menschen zu helfen, seine erlangte Freiheit nicht wieder zu verlieren. Der Normenkatalog der Zehn Gebote dient der Freiheit. In der Präambel zu den Zehn Geboten heißt es: „Ich bin Jahwe, Dein Gott, der Dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus“ (Ex 20,2). Schon im Volk Israel wird klar, dass das Volk Gefahr läuft, aus der Freiheit wieder in die alte Knechtschaft und Unfreiheit zurückzufallen. Diese Unfreiheit des Menschen hatte in der Paradiesgeschichte mit der Abwendung des Menschen von Gott begonnen. Vertreibung aus dem Paradies, Brudermord, Gewalt, Sintflut waren die Folgen dieser Abkoppelung. Jetzt wird von Gott her ein neuer Anfang gemacht zur äußeren Befreiung des Volkes. Dieses befreiende Handeln Gottes wird fortgesetzt und vertieft im Neuen Testament mit der inneren Befreiung jedes einzelnen Menschen.

      Die Normen der Zehn Gebote dienen der Freiheit, so wie die Tugenden des Aristoteles dem Glück dienten. Beide Zugänge werden im Neuen Testament vertieft: die aristotelischen Tugenden hin zu den christlichen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe und die äußere Freiheit hin zur Befreiung des inneren Menschen, der zu sich selbst befreit werden soll. Die Normen des Gesetzes werden zur „Norm“ der Liebe, in der alles zusammengefasst ist.

      Im Fortgang des Buches wird nicht einfach erklärt, was die Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe bedeuten, sondern es werden in einem ersten Schritt die allgemeinen Glaubensinhalte in ihren wesentlichen Punkten dargestellt, um von dort aus zum persönlichen Glaubensvollzug überzugehen. Der inhaltlich bestimmbare und persönlich zu lebende Glauben führt als Hoffnung über den Tod hinaus und offenbart in allem die göttliche und menschliche Liebe. Es geht um die gegenseitige Durchdringung der drei Tugenden.

       Zentrale Inhalte

      Vom Judentum ausgehend war vom Sprechen und Handeln Jahwes die Rede. Dieses Sprechen und Handeln wird im Hebräischen mit dem Wort dabar bezeichnet. Dabar wird ins Griechische übersetzt mit logos und dann ins Deutsche mit „Wort“. Dabei findet ein mehrfacher Bedeutungswandel statt. Der erste ist jener von dabar, das „Sprechen“ und „Handeln“ bedeutet, hin zu logos, was eher ein abstrakter Begriff ist und auf „Denken“, „Geist“, „Logik“, „Sinn“, „Vernunft“ hinweist. Von dort findet ein zweiter Bedeutungswandel statt zur deutschen Übersetzung „Wort“.

      So kommt es zu der eigenartigen Formulierung: „Und das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14). Anders ausgedrückt: Der göttliche Logos wird Mensch, er ist ganz menschlich. Der göttliche Logos kommt dem Menschen ganz nahe, er wird verständlich und „begreifbar“. Man kann ihn be-greifen im Sinne von anfassen. Geistig begreifen kann man ihn nicht immer, aber man kann sich ihm annähern. Zum Aushalten dieser Annäherung und der Nähe Gottes musste der Mensch sich auch weiterentwickeln.

      Bei der Übersetzung von dabar mit logos kann der Satz „Im Anfang war der Logos“ (Joh 1,1) so interpretiert werden, dass dieser Logos Gottes nicht nur in Jesus Christus Mensch geworden ist, sondern sich auch in der Natur sowie in jedem Menschen zeigt. In der Natur zeigt er sich in der „Logik“ des Kosmos, der Organismen sowie den Naturgesetzen. Im Menschen zeigt er sich zusätzlich auf andere Weise. Auch hier ist es die Logik des Denkens und die Logik der Physiologie des Organismus, aber auch die Logik des Wortes und der Verantwortung. Hier ist die deutsche Übersetzung mit „Wort“ hilfreich. Das innere göttliche Wort ist in jedem Menschen anwesend. Auf dieses Wort soll der Mensch ant-worten, also gegen-worten. Gott spricht den Menschen von innen her durch den göttlichen Geist sowie das göttliche Wort an und von außen durch das Mensch gewordene Wort Gottes sowie die Ereignisse und Begegnungen. Diesem An-spruch soll der Mensch antworten. Die Übersetzung von dabar mit logos weist auf die geordnete Grundstruktur der Welt hin und jene von logos mit „Wort“ auf die letzte Ver-ant-wortung des Menschen.

      Es heißt ausdrücklich „Im Anfang“ und nicht „Am Anfang“. Es geht darum, dass dieser Logos