Selbstorganisierte Teams führen. Siegfried Kaltenecker

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Название Selbstorganisierte Teams führen
Автор произведения Siegfried Kaltenecker
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783969105344



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und nicht von Coaches. Eher ließe sich spekulieren, ob der Coach denn überhaupt involviert ist. Auf den ersten Blick ist der Einfluss des Coaches auf den Spielverlauf sehr limitiert. Sobald ein Match angepfiffen ist, agieren die Spielerinnen als selbstorganisiertes Team, das seiner eigenen Dynamik folgt. Egal, ob der Coach sich nun als einer der Stars inszeniert, in der Coaching-Zone herumspringt, Anweisungen aufs Spielfeld schreit oder die Schiedsrichterin beleidigt – im Grunde hat er keine Möglichkeit, maßgeblich in das Geschehen auf dem Spielfeld einzugreifen. Das Team ist auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, das Beste zu geben.

       Abb. 1–5 Das System Fußball

       Vom Sport beflügelt

      Oft ist es nur ein kleiner Sprung von der Sport- in die Geschäftswelt – insbesondere, wenn man sich als Unternehmen selbst intensiv mit Sport beschäftigt. Wie es etwa ein Anbieter für Onlinewetten tat, der bereits 2006 seine gesamte Softwareentwicklung auf Scrum umgestellt hatte.

      Als Wanderer zwischen vielen Welten und Kulturen war ich von Anfang an von der Autonomie der Scrum-Teams fasziniert. Input wie Output wurden von einem sogenannten Delivery Manager koordiniert, dazwischen genoss jedes Team völlige Freiheit darüber, wie es seinen Entwicklungsprozess gestalten wollte. Es gab unterschiedliche Sprint-Längen, verschiedene Visualisierungsformen und andere Mess- bzw. Feedbacksysteme. Zudem animierten auch die kulturellen Eckpfeiler zur Teamleistung: An den Bürowänden hingen überdimensionale Fotos von spektakulären Sportszenen, alle Meetingräume waren nach großen Athletinnen und Athleten benannt, und einige Teams benannten sich selbst nach bekannten Fußballklubs.

      Heißt das, dass der Manager-Coach überflüssig ist? Sieht man nicht nur das einzelne Spiel, sondern das ganze System, in das es eingebettet ist, kann die Antwort auf diese provokante Frage nur lauten: definitiv nicht! Aus systemischer Sicht kommt ihm vielmehr eine signifikante Rolle zu – allerdings viel weniger während als vor und nach dem Spiel. Immerhin bestimmt der Coach so wesentliche Parameter wie die jeweilige Teamaufstellung, die grundsätzliche Spielanlage, die jeweilige Taktik oder das Trainingsprogramm. Gemeinsam mit der Sportdirektorin, dem Klubpräsidenten und anderen Managerinnen legt der Coach den Kader fest, verpflichtet Spielerinnen, verleiht oder verkauft diese wieder und hat für gewöhnlich auch ein Auge auf die Nachwuchsarbeit. Als Teil der Gesamtorganisation des jeweiligen Klubs, vom Einkauf übers Marketing bis zum Reinigungspersonal, fungiert er als Aushängeschild, das nicht unwesentlich zum Klubimage beiträgt. Last, but not least beeinflusst der Coach das Zusammenspiel des Teams durch sein Grundverständnis von Fußball, gerne Spielphilosophie genannt. Abhängig von seiner Vorstellung, wie ein Spiel aussehen muss, damit das Team gewinnen kann, wird der Coach das Team trainieren, seine Spiele beobachten und versuchen, die richtigen Schlüsse aus den jeweiligen Begegnungen zu ziehen.

      Sogar während des Spiels ist der Coach nicht völlig machtlos. Er kann Spielerinnen aus- oder einwechseln, vom Spielfeldrand aus Anweisungen geben und die Halbzeitpause für einen Taktikwechsel nützen. Trotz all dieser Handlungsmöglichkeiten liegt die Hauptaufgabe des Coaches allerdings in der aufmerksamen Beobachtung. Wie der Systemtheoretiker Fritz Simon hervorhebt, sind erfolgreiche Sportcoaches vor allem mit der Wahrnehmung der einzelnen Spieler, der Teamarbeit sowie des Spiels mit dem Gegner beschäftigt. Auf der Basis dieser Beobachtungen gibt der Coach Feedback an die Mannschaft [Simon 2004].

      Simon folgend können wir sagen, dass der Coach vor allem Bewusstsein schaffen und die Aufmerksamkeit auf die richtigen Dinge fokussieren muss. Dies wird durch eine Vielzahl an Feedbackschleifen bewerkstelligt: von analogen Spielanalysen, Videostudien oder taktischen Reflexionen über körperliche Konditionsarbeit und mentales Training bis hin zu diversen Testspielen.

       1.3.1Fußballerische Lehren

      Die Feedbackschleifen bestimmen in hohem Maße, wie die Spielsysteme aussehen. Sie beeinflussen, welche sozialen Strukturen herausgebildet werden und was als sinnvoll oder unsinnig betrachtet wird. Mit anderen Worten: Während er vom Spielfeld verbannt bleibt, beeinflusst der Coach die Spieldynamik durch sein Kontextmanagement. Er kann zwar nicht direkt eingreifen, gibt aber wesentliche Rahmenbedingungen vor.

      Abbildung 1–5 macht deutlich, dass jedes Spiel vom spezifischen Umfeld des Fußballsystems beeinflusst wird. Dieses System besteht nicht nur aus den Interaktionen des Teams. Im Gegenteil, es wird in erheblichem Maße durch externe Stakeholder mitgestaltet wie etwa Fans, Medien oder Sponsorinnen, die eine Menge Geld dafür zahlen, ihr Team gewinnen zu sehen.

      Das berühmt-berüchtigte Phänomen des zwölften Manns führt vor Augen, dass die Fans ebenfalls ein selbstorganisiertes System sind. Wenn Fans ihre Spielerinnen anfeuern, kreieren sie oft einen psychologischen Vorteil. Dasselbe gilt natürlich auch in die andere Richtung, wenn aufgebrachte Zuschauerinnen ihr Team zum fünften Mal hintereinander verlieren sehen und entsprechende Pfeifkonzerte für die eigene Mannschaft veranstalten. Mitunter entstehen dann diese besonderen Momente der Begegnung am Spielfeldrand, buchstäblich an der Grenze zwischen Klub-System und Fan-Umfeld.

      Dazu kommt der Einfluss der Medien, wenn diese einzelne Spieler kritisieren, das ganze Team an den Pranger stellen und den Klub unter gehörigen Druck setzen. Oder man könnte an die Macht der Eigentümer und Hauptsponsoren denken – etwa indem sie bestimmte Coaches verpflichten oder feuern, einzelne Spieler kaufen und das gesamte Team neu zusammensetzen. Die Wechselwirkung all dieser Systeme verändert die Rahmenbedingungen immer wieder, gestaltet den Container um, schafft neue Unterschiede und sorgt damit für andere Formen des Austauschs.

      Welche Parallelen können wir nun zwischen Fußball- und agilen Teams ziehen? Bevor ich Vergleiche zwischen den jeweiligen Systemen und ihrer Führung anstelle, scheinen mir einige Abgrenzungen angebracht. Schließlich soll der Ball ja flachgehalten werden. Lassen Sie mich also mit einigen naheliegenden Einschränkungen meiner Analogie beginnen:

       Fußball stellt natürlich eine grobe Vereinfachung der Dynamik dar, die wir in Wirtschaftsunternehmen finden: Erstens laufen diese Prozesse nicht auf einem übersichtlichen Feld ab; zweitens spielen die meisten Unternehmen nicht nur gegen einen Gegner; drittens wird die Notwendigkeit, möglichst flexibel auf unerwartete Situationen zu reagieren, durch komplexere Faktoren bewirkt als durch den einen oder anderen überraschenden Spielzug; und viertens trainieren Fußballteams viel, um in wenigen Begegnungen ihr Potenzial abzurufen, während agile Teams ständig im Wettbewerb stehen.

       Außerdem gibt es im Business oft überhaupt kein Spielfeld mit eindeutigen Grenzen und stabilen Regeln. Im Gegenteil, all das ist in beständiger Veränderung begriffen. Das Tagesgeschäft ähnelt in vielen Unternehmen eher einer Vielzahl paralleler und noch dazu unterschiedlicher Spiele, als würde neben Fußball eben auch Handball, Baseball oder Kricket gespielt.

       Im Unterschied zum Fußball oder anderen Teamsportarten können sich die Rahmenbedingungen und Richtlinien in der Geschäftswelt ebenso unversehens wie drastisch ändern. Denken Sie etwa an neue Regulatorien, strategische Hindernisse, gesättigte Märkte oder aggressive Mitbewerber.

       Schlussendlich sollten wir nicht vergessen, dass Fußballspielerinnen für gewöhnlich keine Wissensarbeiterinnen sind. Es heißt zwar, dass eine gewisse Spielintelligenz ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, die Aussagen mancher Spieler lassen diesbezüglich aber einige Zweifel aufkommen.

      Doch auch mit diesen Einschränkungen bietet uns die Fußballanalogie einigen Stoff zum Nachdenken. Unternehmen und Teamsportarten ähneln einander schon in ihrer Unberechenbarkeit. Weder kann man die jeweiligen Ergebnisse vorhersagen, noch lässt sich prophezeien, wie genau bestimmte Spiele oder Geschäfte ablaufen werden. Selbst wenn ein Fußballteam bereits sechs Matches in Folge gewonnen hat, ist nicht garantiert, dass dies auch beim siebten so sein wird. Und selbst die erfolgreichste Produkt- oder Servicestrategie, die sich über Jahre bewährt hat, kann das Unternehmen schon morgen in die Defensive drängen. Wie wir aus den