Selbstorganisierte Teams führen. Siegfried Kaltenecker

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Название Selbstorganisierte Teams führen
Автор произведения Siegfried Kaltenecker
Жанр Зарубежная деловая литература
Серия
Издательство Зарубежная деловая литература
Год выпуска 0
isbn 9783969105344



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Master of Business Administration (MBA) immer noch als Schlüsselqualifikation guter Managerinnen und Manager [Mintzberg 2004].

      Kein Wunder, dass dies gerade beim Einsatz agiler Methoden zu zahlreichen Widersprüchen führt. Schließlich sind Verkünden (Wir werden agil!) und Tun (Wir sind agil) ebenso wenig das Gleiche wie Wollen und Können. Und auch die Veränderungskunst lebt bekanntlich vom Können und nicht vom Wollen – sonst hieße sie ja Veränderungswulst.

       Veränderungskünste

      Immer mehr Unternehmen beweisen, dass es auch anders geht. Ein besonders spektakuläres Beispiel dafür liefert ein Wiener Familienunternehmen, das sich binnen kürzester Zeit von einem traditionell geführten in einen selbstorganisierten Betrieb verwandelte. Wie das ging? Nun, zum einen half sicher der Generationenwechsel auf Eigentümerebene und ein neuer Co-Geschäftsführer – schließlich waren diese von Anfang an fest dazu entschlossen, das patriarchalisch-hierarchische Erbe der Vätergeneration zu überwinden und völlig neue Rahmenbedingungen zu gestalten. Zum anderen gelang die Veränderung dadurch, dass die Mitarbeitenden die neuen Möglichkeiten rasch zu nützen begannen. Nach einer Phase anfänglicher Skepsis fasste man mehr und mehr Vertrauen, dass die Botschaften der Firmenleitung ernst gemeint waren. Und spätestens mit der Gründung eigener Steuerkreise nahmen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Veränderungsheft selbst in die Hand.

       1.2.1Unternehmerische Agilität & agiles Management

      Doch ist Business Administration wirklich das, was wir für die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen brauchen? Jeremy Hope und Robin Fraser, Gründer des einflussreichen Beyond Budgeting Round Table, haben darauf eine eindeutige Antwort: »Für die meisten heutigen Organisationen haben sich die Erfolgsfaktoren ebenso wie deren Strategien verändert. Deren Managementprozesse, Führungsstile und Unternehmenskulturen hinken jedoch weiter hinterher« [Hope & Fraser 2003, S. 29].

      Das spitzt die Frage zu, wie denn ein zukunftsorientiertes Führungsmodell überhaupt aussehen könnte. Was braucht es, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern? Warum sollte die Führung selbstorganisierter Teams zu den Schlüsselqualifikationen für das 21. Jahrhundert gehören? Und welche Werte, Kompetenzen und Techniken werden gebraucht, um Selbstorganisation auf allen Unternehmensebenen zu fördern? Im Laufe der letzten zehn Jahre wurden diese und ähnliche Fragestellungen intensiv diskutiert. Wie in dem Film »Und täglich grüßt das Murmeltier« ging es dabei immer wieder um ähnliche Szenarien:

       Hierarchieorientierte Command & Control-Systeme weichen einer Führungskultur, die auf lokale Selbstkontrolle setzt, ohne die Notwendigkeit globaler Koordination aus den Augen zu verlieren.

       Neue Formen netzwerkorientierter Führung treten an die Seite zentralistischer Managementkonzepte.

       Wenn Manager weiterhin sowohl Mitarbeiter als auch deren Aktivitäten kontrollieren, können Teams ihre Potenziale nicht entfalten.

       Die bewusste Dezentralisierung von Gestaltungs- und Entscheidungsautorität ist der einzige Weg, um die Kompetenzen gut ausgebildeter Wissensarbeiter effektiv zu nützen.

      Wie Abbildung 1–4 nahelegt, stehen dem abgehobenen Steuermann, der die Crew zentral dirigiert, heute gut vernetzte Teams gegenüber, die selbst viel Führungsverantwortung übernehmen. Diese Form von Führung als Teamsport stützt sich nicht auf einen vermeintlich allwissenden Souverän. Stattdessen geht es um das effektive Zusammenspiel eines cross-funktionalen Netzwerks von Professionals, die Autonomie, aber auch Abstimmung wahrnehmen.

       Abb. 1–4 Traditionelle versus agile Führung

      Unsere alten Steuermodelle sind weit mehr als bloße Theorie, sie fungieren gleichsam als Quellcode für dysfunktionales Verhalten – und bringen zudem unzählige Organisationsprobleme mit sich. Sie verursachen nicht zuletzt ein hohes Maß an Demotivation, das oft zum Verlust von Schlüsselkräften führt, die es satt haben, gegen Windmühlen zu kämpfen. Dies wiederum lässt das, was Unternehmen erreichen wollen, und das, was die Mitarbeitenden zu investieren bereit sind, mitunter weit auseinanderklaffen. Kein Wunder, dass die durchschnittliche Lebensdauer von Organisationen mittlerweile unter 20 Jahren liegt.

      Zudem kommen Managerinnen heutzutage kaum mehr umhin, ein fundamentales Paradox anzuerkennen: dass sie nämlich für das Verhalten von sozialen Systemen verantwortlich gemacht werden, die sie unmöglich kontrollieren können. Inmitten einer turbulenten Umwelt hat es das Management zwangsläufig mit einem hohen Ausmaß an Unsicherheit zu tun. Wie das Wetter sind eben auch gesellschaftliche Entwicklungen nur begrenzt vorhersagbar – ganz zu schweigen von ökonomischen Risiken, mit denen es jedes Unternehmen zu tun hat.

      »Ob ihr recht habt oder nicht, sagt euch jetzt das Licht«, heißt es in der beliebten Kindersendung »1, 2 oder 3«. Dumm nur, dass im Geschäftsleben manchmal alle drei Optionen falsch sind – oder auch richtig, wie folgende Fabel belegt.

       Gleiches Recht für alle

      Ein Rabbi hält in einem Dorf Gericht. Yuvet, einer der Bewohner des Dorfes, klagt: »Rabbi, Itzhak treibt seine Schafherde jeden Tag über mein Land. Das verdirbt mir die Ernte. Was er tut, ist nicht in Ordnung.« »Da hast du recht«, erwidert der Rabbi.

      Sogleich protestiert Itzhak lautstark: »Über Yuvets Land führt der einzige Weg zum Wasser. Wenn ich meine Schafe nicht über die Weide führe, verdursten sie. Deswegen habe ich als Schäfer ja auch ein Wegerecht. Yuvet hat also überhaupt keinen Grund, sich zu beklagen!« »Da hast du recht«, meint der Rabbi erneut.

      Da meldet sich die Putzfrau zu Wort, die das Gespräch mitgehört hatte: »Aber Rabbi, es können doch nicht beide recht haben!« Worauf der Rabbi entgegnet: »Da hast du recht.«

      Die gegenwärtige Komplexität kann von keinem Einzelnen angemessen erfasst, geschweige denn verarbeitet werden. Überforderung ist unausweichlich. Im besten Fall kann eine Managerin auf Wahrscheinlichkeiten setzen, im schlimmsten Fall erfolgen deren Entscheidungen völlig zufällig. Keine »management by«-Methode bietet hierfür einen Rettungsanker. Manager müssen sich eingestehen, dass soziale Systeme eben nicht punktgenau gesteuert werden können. Punkt.

      Dass diese Erkenntnis dennoch gerne ignoriert wird, lässt den vermeintlichen Regisseur des Großen und Ganzen oft genug zur sinnbildlichen Fliege auf dem Schwanz eines Elefanten mutieren. Die Fliege denkt natürlich, dass sie den Elefanten steuert, dem Elefanten ist es egal und die Reise wird auf jeden Fall spannender.

      Externe wie interne Faktoren unterstreichen die Notwendigkeit, Organisationssteuerung neu zu denken. Wenn wir wirklich agiler werden wollen, müssen wir jenen Leuten mehr Macht geben, die nahe am Kunden sind. Wir müssen diesen Leuten wesentliche Informationen anvertrauen und ihnen ausreichend Zeit verschaffen, diese Informationen zu verarbeiten, mit ihren eigenen Erfahrungen abzugleichen und zu lernen, was sie verbessern können.

      Gleichzeitig müssen Overhead-Kosten radikal gekürzt und bürokratische Aufwände möglichst minimal gehalten werden.

      Wir müssen diesen Teams erlauben, ihre Expertise nicht nur für die Ausführung von Arbeit, sondern auch für deren Steuerung einzusetzen. Mit Peter Drucker kann dies als zentraler Erfolgsfaktor gesehen werden: Wie zu Beginn dieses Kapitels zitiert, muss Wissensarbeiterinnen eben ein bestimmtes Maß an Autonomie gewährt werden [Drucker 1999].

      Meiner Erfahrung nach ist Autonomie auch eine Frage von disziplinierter Übung und Feedback. Ich kann nur wiederholen, dass Selbstorganisation nicht über Nacht passiert. Wenn das ebenso viel beschworene wie missverstandene Konzept des Empowerment als mathematische Gleichung verstanden werden kann, bei der Freiheit mit Kompetenz multipliziert wird, müssen wir definitiv neue Dinge lernen und alte Muster aktiv verlernen.