Chronik von Eden. D.J. Franzen

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Название Chronik von Eden
Автор произведения D.J. Franzen
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783957771285



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musste raus!

      Dann kam er an eine dieser Wände, die sich öffnen ließen, und er war in das helle Leuchten hinaus getreten. Dort hatte er andere gefunden, die so wie er waren.

      Interessant!

      Waren sie auch auf der Suche nach dem warmen Roten? Er war ihnen gefolgt. Wenn das helle Leuchten kam, versteckten er sich mit den anderen in den dunklen Eingängen der Häuser neben ihrem Weg.

      Häuser? War er ein Häuserwächter? Die Worte waren wie verschwommene Bilder durch sein Denken geweht. Ohne echten Bezug oder Bedeutung. Sie waren gleichgültig, obwohl auch sie diese ferne Sehnsucht nach der Zeit vor dem Erwachen in ihm weckten. Wenn es dunkel wurde wanderten sie weiter.

      Hell und Dunkel wechselten sich ab.

      Immer und immer wieder.

      Dann hatte er es gesehen!

      Das glitzernde Ding!

      Auto, war es durch sein Denken geschossen. Das glitzernde Ding war ein Auto.

      Und wieder war das warme Rote aus dem Auto ausgestiegen. Er war den anderen gefolgt, die darauf zustürmten. Hatten sie auch so einen Hunger?

      Plötzlich stieg das warme Rote wieder in das Auto, und dann war ein wundervolles Geräusch erklungen. Stimmen, die dem Gesang von Engeln glichen. Gesang und Engel waren auch wieder solche abstrakte Dinge, die er nicht fassen konnte. Aber das, was er da hörte, ließ ihn seinen Hunger vergessen. Die Sehnsucht nach der Zeit vor dem Erwachen war wieder da, viel schlimmer an ihm nagend als jemals zuvor, aber zugleich auch so schön und friedlich.

      Dann verstummte der Gesang, der Hunger kam zurück … und er stand vor dem Auto. Würde das warme Rote zurückkehren?

      Wahrscheinlich.

      Eine diffuse Ahnung war da in ihm, dass man immer zu seinem Auto zurückkehrte. Also würde das warme Rote bestimmt wiederkommen. Aber er musste vorsichtig sein, denn sonst würde er es verscheuchen, wenn er endlich seinen schrecklichen Hunger stillen wollte! Also hatte er sich in das Dunkel eines Hauses zurückgezogen.

      Und hier stand er jetzt.

      Lauernd.

      Wachend.

      Hungernd.

      Das warme Rote würde zurückkehren.

      Und dann würde er endlich seinen Hunger stillen können.

      Kapitel V - Der lange Weg

      Frank legte nach dem Funkgespräch eine nahezu unmenschliche Aktivität an den Tag. Im Licht der Propangaslampe schrieb er auf die Tafel des ehemaligen Klassenzimmers eine Liste mit all den Dingen, die sie dringend benötigten. Zu jeder einzelnen Position ermittelte er das geschätzte Gewicht und den Platzbedarf. Danach teilten sie gemeinsam die Ausrüstungsstücke in zwei Haufen, um abschätzen zu können, wie groß und stabil ihre improvisierten Rucksäcke sein mussten. Zwei Kopfkissenbezüge reichten tatsächlich aus, um alles auf zwei Personen zu verteilen, und ihnen trotz der Belastung noch ausreichend Bewegungsfreiheit zu gewähren.

      Frank und Sandra zogen gerade die Bezüge zweier Kopfkissen ab, als von unten ein dumpfes Pochen durch die Schule hallte. Starr vor Schreck hielten die beiden inne, lauschten auf den Lärm, warteten darauf, dass die Tür mit einem Knall zufallen und schlurfende Schritte die Treppen heraufkommen würden. Sandra schoss ein Bild aus ihrer Kindheit durch den Kopf. Nur mit Mühe konnte sie ein Zittern und Tränen zurückhalten.

      Das Monster kommt! Er hat wieder seinen Lohnstreifen versoffen und eine Stinkwut auf alles und jeden. Ob Mama jetzt auch in ihrem Bett liegt und Angst hat?

      Ihre Finger verkrampften sich um das lange Fleischmesser, das sie als einzige Waffe auf ihrer Flucht hatte retten können. Es war wie ein Anker, der sie in die Realität zurückholen konnte. Nicht, dass die besonders schön war, aber immerhin würde es nicht ihr Vater sein, der da unten versuchte einzudringen. An diesem Gedanken hielt sie sich fest.

      Das da unten war nicht ihr Vater, konnte es nicht sein, denn er war kurz vor dem Ausbruch der Seuche mit einer Leber ins Krankenhaus gegangen, die fester und dichter gewesen war, als ein alter Wackerstein. Hoffentlich hatte ihm der Krebs große Schmerzen bereitet.

      Sandra hasste sich für diesen boshaften Gedanken.

      Das Pochen verstummte nach einer Weile. Sie sah Frank an, dessen Gesicht wie ein bleicher Ballon im schwachen Licht der Propangaslampe über seinem bunten Rennanzug schwebte. Sie warteten noch einen Moment, dann machten sie sich schweigend wieder an die Arbeit.

      Sandra schnitt mit ihrem Messer ein Laken in lange Streifen, verwob jeweils zwei dieser Streifen zu einem Gurt und führte diese durch zwei Löcher in den Bezügen. Bequem waren die Rucksäcke nicht, aber sie erfüllten ihren Zweck. Vielleicht würden sie auf ihrem Weg ja die Möglichkeit bekommen, sie gegen echte auszutauschen.

      Dann setzte sie sich auf eines der Betten, lehnte sich an die Wand am Kopfende, und sah Frank dabei zu, wie er auf der Tafel eine grobe Skizze ihres Weges zeichnete.

      Schließlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf.

      *

      Er wartete in der Dunkelheit.

      Reglos.

      Selbst als von irgendwoher ein dumpfes Geräusch durch das Dunkel hallte, blickte er nur mäßig interessiert in die ungefähre Richtung. Die anderen flüchteten sich in sinnlose Aktivität, huschten durch die Dunkelheit, klopften hier, stöhnten dort … sie nervten ihn.

      Ein interessantes Gefühl.

      Nerven.

      Was war das?

      Er lauschte in sich hinein, und begutachtete die abstrakten Begriffe wie Auto, Ballon, Würstchen und genervt sein. Das schienen Dinge zu sein, die für ihn vor dem großen Schlaf von einiger Bedeutung gewesen sein mussten. Dabei fielen die drei Begriffe genervt sein, Ballon und Würstchen immer in einen Zusammenhang mit einem Bild von einem kleineren, warmen Roten, das ihn umarmte.

      Während er da stand und wartete, versuchte er, dieses Bild irgendwie besser zu verstehen. Immer wenn das kleine, warme Rote in seinem Bewusstsein auftauchte, glaubte er zudem eine Stimme zu hören, was ihn enorm verwirrte.

      Nochmal, Papa. Bittebittebitte nochmal, Papa.

      Das Gefühl genervt zu sein vermischte sich in diesen Momenten mit einem anderen Gefühl, das ihn den bohrenden Hunger in seinem Inneren vergessen ließ.

      Liebe?

      Was war Liebe?

      Papa?

      War das sein Name?

      Mit diesem verwirrenden Gefühl kam zugleich auch Stolz in ihm hoch. Stolz und Trauer vermischten sich miteinander auf verwirrende Weise, und das diffuse Bild seines Autos schob sich immer wieder vor sein geistiges Auge.

      Seines Autos?

      Hatte er vor dem großen Schlaf auch ein Auto gehabt?

      Wenn er das Bild seines Autos in sein Bewusstsein hervorholte, so wurde das Gefühl der Trauer in ihm so stark, dass er sogar laut aufstöhnte, was ihn aus seinen Gedanken wieder zurückholte. Sein Blick klärte sich. Einer der anderen war an das Auto gekommen und trommelte darauf herum. Das dunkle Heiße schoss mit aller Wucht in ihm hoch. Er ging auf den anderen zu, packte ihn an den Schultern und schleuderte ihn zur Seite.

      Niemand durfte das Auto anfassen!

      *

      Der Andere blickte ihm mit dumpfer Verständnislosigkeit ins Gesicht, bevor er aufstand und seines Weges ging. Zufrieden zog er sich zurück in sein Versteck.

      Die angenehme Dunkelheit hüllte ihn und seine Gedanken wieder ein. Das dunkle Heiße in ihm zog sich zurück, loderte aber weiter im Untergrund seines Seins.

      Wachsam, so wie er.

      Und er dachte von sich selber ab jetzt als Papa.

      Irgendwie