Chronik von Eden. D.J. Franzen

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Название Chronik von Eden
Автор произведения D.J. Franzen
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783957771285



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gewesen.«

      Sandra sah ihn über die Schulter an. Im Licht der untergehenden Sonne schienen ihre Haare Flammen gleich um ihr Gesicht zu lodern.

      »Angemessen?«

      Frank grinste.

      »Ich bin ein Mann. Ein total triebgesteuertes Wesen eben.«

      Sandra lächelte. Mit einer lässigen Geste schubste sie ihn an der Schulter.

      »Ferkel. So etwas erzählt man einer Frau nicht.«

      Frank setzte zu einer Erwiderung an, als er einen Schatten bemerkte, der über die dunkle Straße huschte.

      »Was war das?«

      Sandra folgte seinem Blick.

      »Das war einer von ihnen. Ich sagte doch schon, dass sie im Dunkeln sauschnell werden.«

      Frank schluckte.

      »Ich habe daheim abends alle Fenster verriegelt und die Rollos heruntergelassen, damit sie das Licht nicht sehen. Ich wusste nicht, dass sie nachts so schnell sind.«

      Frank bemerkte, dass er ziemlich nah an Sandra herangekommen war. Er sehnte sich nach einer weiteren Geste, einer weiteren Berührung durch ein anderes menschliches Wesen. Er hatte die Hand schon erhoben, wollte sie freundschaftlich auf ihre Schulter legen, ließ sie dann aber sinken. Diese einfache Geste des Trostes und Zusammenhalts könnte sie falsch auslegen.

      »Weißt du, wo die Soldaten und Einsatzkräfte sind, die hier stationiert waren?«, fragte er. Sandra wandte sich wieder dem Fenster zu.

      »Als ich hier ankam, waren schon alle weg. Ich bin mit einem Trupp anderer Flüchtlinge von der anderen Rheinseite bis zum Deutzer Bahnhof gekommen. Dort … « Sie stockte. Ihr Blick schien in eine weite Ferne zu gleiten. »Der letzte Zug war schon weg. Wir waren etwa vierzig Leute und wir beschlossen, am nächsten Tag die Gleise entlang unser Glück zu versuchen. Wir hatten zwar gehört, dass hier noch ein intaktes Notlager der Einsatzkräfte sein sollte, aber sicher war keiner von uns. Die Informationen über sichere Zonen und was die Einsatzkräfte planten oder taten, tröpfelten nur spärlich nach unten zu uns. Jeder wusste was anderes zu berichten und keiner war sich sicher, ob diese Meldungen überhaupt stimmten, oder einfach nur verzweifelte Gerüchte waren.

      Es war Nacht, wir hatten uns in der Halle zusammengesetzt und Wachen an den Eingängen aufgestellt. Es wurde dunkel. Dann kamen ganze drei Stück von denen da draußen. Sie müssen über die Gleise in den Bahnhof, und schließlich in die große Halle gelangt sein.

      Nur drei von ihnen.

      Aber das reichte aus.

      Vollkommen.

      Es war ein einziges Chaos aus Blut und Schreien und Angst. So schnell, wie die meisten in ihren Blutlachen starben, so schnell standen sie auch wieder auf. Ich habe nur noch die Beine in die Hand genommen und bin gelaufen. Einfach nur gelaufen, ohne auch nur einen einzigen Blick zurückzuwerfen.

      Das Gerücht über das Notlager stimmte. Aber als ich endlich hier ankam, war es verlassen. Keine Soldaten, keine Ärzte, keine Hilfe. Netterweise haben sie aber vor ihrem Abzug alle Zugänge verriegelt. Bis auf den Haupteingang unten. Als ich hier ankam, war das Gebäude frei von … denen da draußen. Das Letzte was ich gehört habe war, dass sich alle Einsatzkräfte nach Bonn zurückziehen mussten. Köln gilt wohl als verloren.«

      »Du bist ganz schön mutig.«

      »Findest du?«

      »Ja. Ich hätte es hier niemals so lange alleine ausgehalten. Von deiner Flucht mal ganz abgesehen.«

      »Allein zu sein macht mir nichts aus. Die Ungewissheit, was da draußen in der Welt vor sich geht, ist viel schlimmer für mich.«

      Frank beschloss, das Thema zu wechseln. Es gab Wichtigeres zu besprechen, als die Vergangenheit. Sie waren hier, sie lebten, und alles andere zählte vorerst nicht.

      »Hm … ich gebe es nur ungern zu, aber beim Ausbau meines Hauses zu einer Festung habe ich tatsächlich vergessen, mir ein Funkgerät zu besorgen. Ich war vollkommen abgeschnitten. Ohne Strom eben kein Fernsehen oder Radio. Hast du hier vielleicht eines? Oder ein Funkgerät? Dann könnten wir versuchen, etwas über die aktuelle Lage herauszufinden.«

      »Ja, ein Funkgerät gibt es hier. Aber ich bekomme es nicht ans Laufen. Es läuft über eine Batterie, am Strom kann es also nicht liegen. Es sei denn, die Batterie ist leer.«

      »Zeig es mir mal. Vielleicht kann der Herr Dippel-Inch ja mehr, als nur Autos frisieren. Immerhin hätte ich dann was Sinnvolleres zu tun, als aus dem Fenster zu schauen und …«

      Er schluckte. Draußen huschten immer mehr Schatten über die Straßen. Sandra nickte ihm zu. Sie wusste auch so, was er meinte.

      *

      Zwanzig Minuten später saß Frank im Klassenzimmer nebenan. Er hatte das Problem sehr schnell erkannt. Das Funkgerät, das die Einsatzkräfte hier zurückgelassen hatten, war ein tragbares Modell für den Feldeinsatz mit einer hybriden Energieversorgung. Es war auf Solarbetrieb geschaltet. Die dazugehörigen Solarpanele fehlten zwar, aber Frank hatte nur auf Batteriebetrieb umschalten müssen, um das Funkgerät zum Leben zu erwecken. Sandra hatte eine Propangasleuchte besorgt, damit sie besser sehen konnten. Langsam fuhr Frank alle Frequenzen ab. Sandra stand neben ihm. Aufgeregt hatte sie sich vorgebeugt und sah über seine Schulter. Ihr langes Haar kitzelte ihn an der Wange und er spürte ihren Atem an seinem Ohr.

      Ein sehr angenehmes Gefühl.

      »Hallo? Kann mich jemand hören? Ist da draußen jemand?«

      Schweigen.

      Rauschen im Äther.

      Die nächste Frequenz, der nächste Versuch.

      »Hallo? Kann mich jemand hören? Ist da draußen jemand? Wir sind in Köln-Deutz. Ist da jemand?«

      »Bist du sicher, dass das Gerät auch funktioniert?«

      »Ja. Ich kann keine technischen Probleme erkennen. Ich glaube, wir würden noch nicht einmal Rauschen hören wenn …«

      »Hallo? Ist da jemand?«, schnitt ihm eine kindliche Stimme aus dem Lautsprecher das Wort ab. Sandra fuhr erschrocken zurück.

      »Hallo«, rief Frank in das Mikrofon. »Wir sind zwei Überlebende, die sich in einer Schule in Deutz verschanzt haben. Wo sind Sie?«

      Rauschen.

      »Hallo?«

      Leise Stimmen im Rauschen.

      »Oh Gott, Frank! Sind das etwa Kinder?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Hallo? Wir sind in der Kirche. Wir haben uns im Keller versteckt! Kann uns bitte jemand helfen?«, meldete sich wieder die Kinderstimme.

      »Hört ihr mich?«, rief Frank in das Mikrofon.

      »Ja?«

      »Wo seid ihr?«

      Rauschen und Kinderstimmen.

      »In der Kirche Groß Sankt Martin. Wir haben uns im Keller versteckt. Der Soldat, der uns aus dem Notlager hergebracht hat, ist gebissen worden. Jetzt ist er da oben und hat noch mehr von denen geholt! Bitte helfen sie uns! Wir sind ganz alleine!«

      Die Stimme gehörte eindeutig einem Kind. Einem Jungen vermutlich. Frank hatte das Gefühl, als würde ihm jemand Eiswasser den Rücken entlang gießen. Was er bisher für ein dümmliches Klischee fauler Autoren gehalten hatte, zeigte seinen wahren Kern.

      »Verdammt! Frank, wir müssen etwas tun«, flüsterte Sandra neben ihm. Er nickte.

      »Hör zu. Gibt es eine Tür zu dem Keller?«

      »Ja«, antwortete die ängstliche Kinderstimme. »Eine dicke Holztür. Und auf unserer Seite ist ein dickes Eisengitter.«

      »Okay. Ich bin Frank. Wer bist du?«

      »Jonas.«