1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

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Название 1918 - Wilhelm und Wilson
Автор произведения Magnus Dellwig
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683647



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zu damals die Armeen der Entente 1918 in der stärkeren Position, weil unsere amerikanischen Truppen längst in Millionenstärke auf dem europäischen Kriegsschauplatz erschienen sind? Von der Beantwortung dieser Fragen wird abhängen müssen, welche Optionen Amerika, England und Frankreich in den kommenden Wochen und Monaten ziehen werden.“

      Edward House wirft ein:

      „Aber auch, über welche Alternativen die zivile und die militärische Reichsleitung in Berlin nachdenken werden.“

      „Die Briten und die Franzosen werden die Devise ausgeben: Nur weiter so! Mit der Hilfe der US-Boys wird die Front schon halten! Und dann bluten sich die Deutschen hoffentlich aus!“

      Louis Brandeis rümpft die Nase und streicht sich mit dem Zeigefinger der rechten Hand darüber. Er blickt erst Wilson und dann House an. Beide erwarten von ihm, dass er fortfährt.

      „Mit anderen Worten: Unsere Verbündeten legen ihre Priorität auf die militärische Option. Das tun sie jetzt schon seit fast dreieinhalb Jahren. Wirklich gebracht hat es bis heute nichts. Und das ist ja nicht wirklich einfallsreicher als die Großstrategie von Hindenburg, Ludendorff und Hötzendorff auf der gegnerischen Seite. Und ich meine: Wir Amerikaner sind nicht in diesen Krieg eingetreten, um einfach so weiter zu machen. Auch glaube ich, dass es die Frauen und Mütter unserer Jungs an der Front nicht ganz so stoisch ertragen können wie die Frauen in Europa, dass ihre Liebsten millionenfach verheizt werden. Meine Empfehlung lautet daher: Woodrow hat sich im Januar entschlossen, seine 14 Punkte vorzulegen. Also werden wir im Februar oder März nicht darauf verzichten, weiter die diplomatische Karte zu wägen, zu prüfen und auch tatsächlich zu spielen, sobald sich die Chance bietet, einen Frieden zu schließen, den wir tragen wollen. Das heißt jetzt vielleicht anders als am 8. Januar nicht mehr unbedingt, nur zu unseren Bedingungen abzuschließen. Denn diese Militaristen mit der Pickelhaube sind leider Gottes durch Lenin schon heute, nur sechs Wochen später, erheblich mächtiger geworden. Wir sollten mit Bedacht handeln, also vor allem nichts ausschließen und sehr wachsam dafür sein, ob vernünftige Friedenssignale aus Berlin ausgesandt werden.“

      Oberst House hat Brandeis den Vortritt gelassen, obwohl doch er Wilsons erster Berater in außenpolitischen Fragen ist. Er hat richtig gehandelt, denn Louis Statement kommt House sehr zu Pass. Auch Oberst House ist wichtig, die diplomatische Option in jeder neuen Lage zu behalten. Etwas anders als Brandeis ist er allerdings nicht so pessimistisch anzunehmen, dass die Deutschen auf dem Schlachtfeld jetzt die Überhand gewinnen müssten.

      „Ludendorff hat in der deutschen Presse getönt, er werde 80 Divisionen mit 1,5 Millionen Mann aus Russland abziehen. So viele US-Boys stehen inzwischen in Frankreich ebenfalls unter Waffen. Freunde, lasst uns nicht kleinmütig werden.“

      Walter Lippmann zieht an seiner Pfeife und schlägt die Beine übereinander.

      „Das stimmt, Edward, aber die Deutschen sind kampferprobt, haben in Russland an allen Frontabschnitten gesiegt und fügen sich bald voller Zuversicht in die Westfront ein.“

      „Dafür sind unsere Truppen und vielleicht sogar auch die Briten besser mit Waffen und Munition ausgestattet und unsere Versorgung funktioniert besser. Damit steht es wahrscheinlich unentschieden, bevor die Offensive der Deutschen beginnt.“

      Das Gesicht des Präsidenten spricht Bände. So sehr er den Ausführungen seiner engsten Berater in den einzelnen Aussagen beipflichten muss, ebenso sträubt er sich mit aller Kraft dagegen, vom Gestalter der 14 Punkte sehr flott zum Getriebenen der deutschen Obersten Heeresleitung zu werden.

      „Unentschieden ist nicht unbedingt meine Wunschvorstellung davon, im neuen Jahr mit unseren Truppen erstmals so richtig in die Kampfhandlungen einzugreifen. Die Vereinigten Staaten sind nach Europa gefahren um zu gewinnen. Deshalb werde ich eines auf keinen Fall einleiten, nämlich mit meinem Punkteplan 14 kleine Negerlein zu spielen: Im Februar waren es nur noch 13, im März werden es dann nur noch 12 sein, und so weiter!“

      „Aber Woody! Das verlangt doch hier überhaupt keiner von dir.“

      Louis Brandeis springt seinem Freund Edward House zur Seite, als er spürt, dass es eng werden könnte, sollte der Präsident nach seinem Bauchgefühl handeln.

      „Ich denke mit viel Vergnügen daran, wie wir drei, Eddy, du und ich hier in diesem Raum saßen kurz nach Neujahr und uns tief schürfend, freundschaftlich, vertrauensvoll über die Weltlage unterhielten und über das diplomatische Umfeld für eine erfolgreiche Friedensinitiative. Wir haben dabei natürlich gehofft, dass die Briten Recht behalten würden mit ihrer Vermutung, dass der Krieg in Russland weitergehe. Aber, seien wir ehrlich, wir haben allesamt nicht so ganz daran geglaubt. Mehr als ein Mal fiel das Wörtchen Zweckoptimismus.“

      „Und genau deshalb sind die 14 Punkte so schlau eingefädelt, dass sie den USA für beide Varianten des Kriegsverlaufs alle Trümpfe in die Hand geben! Ich kann das ja sagen, ohne je in den Verdacht zu geraten, persönliche Eitelkeiten zu befriedigen. Denn zu meinem eigenen Bedauern war ich ja bei ihrer Runde nicht dabei, sondern lediglich telefonisch beteiligt.“

      Walter Lippmanns Zwischenbemerkung zwingt Woodrow Wilson ein leicht gequältes Lächeln in die Gesichtszüge. Recht geben muss er Lippmann und Louis schon. Doch der Ärger und die Enttäuschung sitzen tief in ihm, dass er, Präsident Wilson mit seinem Friedensprogramm nicht wie Phönix aus der Asche steigt, dass er die Deutschen eben nicht dazu zwingen kann, eine Großoffensive der Entente in Nordfrankreich nur noch dadurch abwenden zu können, dass sie in Verhandlungen eintreten. Stattdessen bekommen der Kaiser, Hindenburg und Ludendorff, diese Militaristen mit Zwirbelbärten und Pickelhauben 70, 80 Divisionen im Osten frei und bedrohen damit unsere Stellungen an der Marne, an der Somme oder in Flandern. - Scheiße! Diesen Gedanken behält Wilson schön für sich. Er empfände es als eine ungeheure Blöße, wenn er seiner Enttäuschung gegenüber seinen Freunden und Vertrauten Eddy und Louis derart freien Lauf ließe. Stattdessen reflektiert der Präsident seine für Sekunden im Ernst erstarrte Miene und lässt diese ganz sanft in entspannte Freundlichkeit übergehen.

      „Vielleicht fiel mein erstes Urteil eben zu harsch aus, meine Freunde. Eddy erinnert natürlich zu recht daran, dass wir für alle Eventualitäten des Kriegsjahres 1918 gewappnet sein wollten. Die außenpolitische Professionalität, ein wenig sogar die intellektuelle Distanz gegenüber unseren Hauptverbündeten in London und Paris gebot es, sich Spielräume zu verschaffen, die zuvor weder die Kriegsziele der Entente noch die Kriegsziele der kaiserlichen Regierung eröffneten. Ich möchte mir lediglich die persönliche Bemerkung erlauben, wie viel mehr Vergnügen es mir bereiten würde, das Geschäft der Diplomatie aus einer Position der militärischen Stärke heraus zu betreiben.“

      Oberst House fällt ein Stein vom Herzen, als er seinen Präsidenten so reden hört. Er möchte die Gelegenheit gleich beim Schopfe ergreifen und einen ersten Anlauf unternehmen, Woodrows 14 Punkte unter den neuen Bedingungen einmal flexibel durchzuspielen.

      „Woody, es gibt in Berlin ja nun auch ein paar schlaue Leute ohne Zwirbelbärte. Ich erinnere mich noch an Louis´ Bericht über seine Informationen vom britischen Generalkonsul Lord Melroy in New York. Was ich mir wünschen würde ist, dass der Reeder Albert Ballin aus Hamburg, der Großindustrielle Walther Rathenau aus Berlin, am besten auch noch der Chemie-Gigant Carl Duisberg aus Leverkusen, so einem Arbeiterdorf bei Köln, und der Vorsitzende der Nationalliberalen im Reichstag sich zu einer ähnlich vertraulichen Runde wie wir hier in Washington in der deutschen Reichshauptstadt treffen. Sie freuen sich über den deutschen Sieg über Russland und sinnen auf ein Ende des Krieges auch im Westen. Sie wissen aber zugleich, dass die Lauthälse der deutschen Elite: Hugenberg von Krupp, Ludendorff von der Heeresleitung, der Kronprinz und Admiral Tirpitz, alle nur die Maximalforderungen im Kopf haben, deretwegen sie im Juli 1917 Bethmann-Hollweg in den Ruhestand geschickt hatten. Also gehen sie ihre Wünsche und Forderungen für eine Deutschland genehme Nachkriegsordnung durch:

      Da ist dann der Mitteleuropäische Zollverein, der jetzt natürlich von Belgien bis in die Ukraine reicht. Da ist die Oberhoheit über die Polen und die Balten, indem der Kaiser vielleicht sogar König von Polen wird. Und dann verlangen sie von Frankreich bestimmt ein paar Kolonien. - So weit, so schlecht und nichts wirklich Neues.

      Dann aber kommen die politisch