1918 - Wilhelm und Wilson. Magnus Dellwig

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Название 1918 - Wilhelm und Wilson
Автор произведения Magnus Dellwig
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783874683647



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mir gegenüber gemachten Zusagen einhalten solle. Albert Ballin äußerte sogleich die Befürchtung, Wilhelm werde sich wie schon manches Mal als Parteigänger von Ludendorff und Stinnes erweisen. Ich solle nicht allzu enttäuscht sein, falls er sich in der Zukunft – nachdem ich meine Pflicht und Schuldigkeit erfüllt haben würde – an seine Zusagen nicht mehr Wort für Wort gebunden fühlte.

      „Eintreten kann selbstverständlich beinahe alles. Und naiv zu sein hat sich im politischen Geschäft schon viel zu oft gerächt. Trotzdem lasst mir meinen Funken an Glauben daran, dass in meinem persönlichen Verhältnis zu seiner kaiserlichen Hoheit mit dem Gespräch zum Jahresbeginn eine Veränderung eingetreten ist. Unser Vertrauen zueinander ist gewachsen. Es hat eine Tiefe, eine Qualität, eine Ehrlichkeit erreicht, dass wir uns trauen einander fest in die Augen zu sehen und dann auch über ungemütliche Wahrheiten zu sprechen. Wenn ich ihm nicht abkaufen würde, dass er mit seinem hohen Namen für die Wahlrechtsreform einstünde, fehlte mir ein wichtiger innerer Kompass für die großen Ereignisse, die noch vor uns liegen.“

      Meine etwas theatralische Erklärung rief kurzzeitig betretenes Schweigen hervor. Doch dann öffnete sich das Abendgespräch plötzlich zu privaten Themen. Mich interessierte sehr, wie es Alberts Sohn Thorsten an der Westfront ergehe. Der stolze Vater stellte seine Gedanken über die Lebensgefahr zurück und schilderte begeistert, was unser Reich für eine phantastische Jugend habe. Für sie lohne es sich zu kämpfen und dann Frieden zu schließen. Ich erinnerte mich der hübschen schwarzhaarigen jungen Dame, die Thorsten beim Ball am Tag von Sedan im Berliner Schloss zum Tanz aufgefordert hatte und wünschte ihm, sie wiederzusehen, insbesondere aber nach dem Kriege noch ein langes, erfülltes Leben führen zu dürfen.

      Am 16. Februar trat das von Oberst Bauer mir bereits zuvor enthusiastisch angekündigte Ereignis in Brest-Litowsk ein, von dem eine Beschleunigung der Ereignisse ausgehen musste: Das Deutsche Reich kündigte den Waffenstillstand vom Dezember für den 17. Februar 1918 auf. Tatsächlich begann an jenem Tag sogleich der erneute deutsche Vormarsch. Im Baltikum wurde innerhalb weniger Tage die Grenze zwischen den Provinzen Estland und Livland einerseits, Russland andererseits erreicht. Dann ließ General Hoffmann den Vormarsch stoppen. Das signalisierte allen politischen Kräften Russlands, aber insbesondere Lenin: Das Deutsche Reich beabsichtigt nicht die Einnahme von Petrograd, als derjenigen der beiden Hauptstädte in Frontnähe. Der Revolutionsführer der Bolschewiki durfte und sollte das sehr wohl in dem Sinne auffassen, dass unser mächtiges Reich eben nicht den Sturz der Regierung oder ein unmittelbares Eingreifen in die inneren Verhältnisse Russlands plane. Ganz nebenbei kamen wir damit sogar gleichzeitig den Anforderungen aus Wilsons 14 Punkten Russlands innere Verhältnisse betreffend nach.

      Im Süden der Front dagegen drangen die deutschen Truppen tief in die völlig von russischen Truppen entblößte Ukraine vor. Der Vormarsch benötigte nur wenige Tage. Bereits am 20. Februar erreichten die deutschen Angriffsspitzen die am 9. Februar im Separatfrieden mit der Volksrepublik Ukraine von Deutschland garantierte Ostgrenze zu Russland. Diese verlief durch den Osten des steinkohlereichen Donezkbeckens und schloss auf westlicher Seite durchaus Gebiete mit ein, die hohe ethnisch russische Bevölkerungsteile enthielten. Das war einerseits im Interesse der deutschen Schwerindustrie, die Wünsche nach Investitionen in die Donbaz genannte Region anmeldete. Andererseits fiel es der Reichsregierung leicht, eine antibolschewistische ukrainische Regierung gegen die neuen Machthaber in Moskau und Petrograd zu unterstützen. Schon am 18. Februar berieten sich die Revolutionsführer Lenin und Trotzki in Petrograd. Sie müssen wehmütig konstatiert haben, dass Leo Trotzki einer folgenschweren Fehleinschätzung unterlegen war, als er im Januar und Anfang Februar nicht mit dem erneuten Vorrücken der deutschen Truppen gerechnet hatte. Sie müssen ebenso erschüttert konstatiert haben, dass ihre bisherige Taktik der Verzögerung endgültig gescheitert war und von nun an sich zur akuten Gefährdung des Revolutionserfolges auswuchs: Die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen würde zur weiteren massiven Destabilisierung der inneren Verhältnisse in Russland entscheidend beitragen. Von hier war es nur noch ein kleiner Schritt bis zu der Entscheidung Lenins, sofort auf die deutschen Waffenstillstandsbedingungen einzugehen, an den Verhandlungstisch in Brest-Litowsk zurückzukehren und den Vertrag dann ohne weiteren Aufschub abzuschließen. Dem setzte sich in der Führung der Bolschewiki zwar Bucharin entgegen, doch Lenin räumte jeden Widerstand mit der Androhung seines eigenen Rücktritts von allen Ämtern aus. Lenin wurde in seiner Auffassung von der Richtigkeit seines Handelns auch dadurch bestärkt, dass die Deutschen augenscheinlich weiterhin keine Anstalten unternahmen, in die inneren Angelegenheiten Rest-Russlands einzugreifen und die bolschewistische Regierung abzulösen. Am 19. Februar erbat Russland bei den Mittelmächten Frieden. Diese setzten allerdings zunächst ihren Vormarsch fort, antworteten erst am 23. Februar und konfrontierten den wehrlosen Gegner mit folgender eindrucksvollen Forderung:

      Räumung Finnlands, Estlands, Livlands und der Ukraine; Demobilisierung der russischen Armee; Verzicht auf jeden Einfluss in den genannten Gebieten sowie in den bereits seit 1914 von den Mittelmächten besetzen Territorien Polen, Litauen und Kurland, schließlich auch Georgien. – Die Bedingungen wurden von General Hoffmann kategorisch vorgetragen: Zwei Tage erhielt die russische Regierung Frist für eine Antwort. Nur drei Tage sollten in Brest anschließend für Verhandlungen zur Verfügung stehen. Die deutschen Forderungen wurden akzeptiert. Am 3. März 1918 war es schließlich so weit. Die Delegationen Russlands und der Mittelmächte, bestehend aus dem deutschen Verhandlungsführer und seinen Kollegen aus Österreich-Ungarn, Bulgarien und dem Osmanischen Reich, unterzeichneten den Friedensvertrag. Dieser hielt nunmehr die staatliche Selbstständigkeit Finnlands und der Ukraine fest, die militärische Oberhoheit Deutschlands über Polen, das Baltikum und Weißrussland bis zum Dnjepr. Die staatlichen Verhältnisse dieser Gebiete sollten – recht salomonisch formuliert – in Übereinstimmung sowohl mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker als auch mit den Interessen der Mittelmächte eingerichtet werden. Ich persönlich empfand diese Formulierung nicht allein als zynisch, so wie meine Reichstagskollegen Haußmann, Erzberger und Scheidemann das bezeichneten, sondern durchaus eher als geschickt gewählt, um Handlungsspielräume in späteren Verhandlungen mit dem Westen zu erhalten. Insbesondere würde das Deutsche Reich in die Lage versetzt, Teile der 14 Punkte Wilsons, so das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Vorschläge Russland betreffend, im Sinne einer eigenen Auslegung aufzugreifen und zur Maxime der eigenen, neuen Friedensordnung in Osteuropa zu erheben.

      Unter der Bezeichnung „Friede von Brest-Litowsk“ ging derselbe in die Geschichte des 20. Jahrhunderts ein. Er beendete die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs in Osteuropa und schuf die Voraussetzung dafür, auch den Krieg im Westen auf die eine oder andere Art und Weise zu beenden.

      Nachdem die russische Regierung unter Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, am 19. Februar bei den Mittelmächten um Frieden nachgesucht und dies noch am selben Tag der Öffentlichkeit mitgeteilt hatte, trafen am Morgen des 20. Februar auf der anderen Seite des Globus im Oval Office des Weißen Hauses in Washington die Präsidentenberater Edward House und Louis Brandeis mit Woodrow Wilson zusammen. Zufällig weilte auch der New Yorker Journalist und Verleger Walter Lippmann in der Hauptstadt. Wilson lud auch ihn für 11 Uhr zum zweiten Frühstück und zur Erörterung der neuen Lage in Europa ein. Das Sekretariat des Präsidenten hatte die Herren am Vortag kontaktiert und den Wunsch übermittelt, nach Möglichkeit jeden konfligierenden Termin hinten anzustellen. Derjenige, dem die Notwendigkeit dazu in Folge einer plötzlich dramatisch veränderten weltpolitischen Lage ohne jeden Zweifel einleuchtete, war der junge und etwas ungestüme Walter Lippmann.

      „Mister President, haben sie herzlichen Dank für ihre freundliche und spontane Einladung zu diesem Gedankenaustausch im kleinsten und vertraulichsten Kreise. Ich war bereits entsetzt, als ich vor drei Tagen von der Schwungkraft des deutschen Vorrückens bis kurz vor Petrograd und in die gesamte Ukraine hörte. Lenin und Trotzki hatten keine andere Wahl als zu kapitulieren. Ein weiterer deutscher Vormarsch hätte sie sofort die Macht im gesamten Land gekostet, wenn der Feind vor den Toren Petrograds erschienen wäre. Für uns ist die Konsequenz daraus brutal: Die mächtigste Militärmaschinerie, über die ein einziges Land auf dieser Erde verfügt, wird jetzt vollständig im Norden Frankreichs zusammen gezogen, um uns, um die Entente bald anzugreifen.“

      Der Präsident wiegt bedächtig nickend den Kopf.

      „Die schwerste Bewährungsprobe steht der Entente in