Deutschland oder Jerusalem. Claus-Steffen Mahnkopf

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Название Deutschland oder Jerusalem
Автор произведения Claus-Steffen Mahnkopf
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783866742871



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und Orientalistik mit zwei Schwerpunkten, die in den Nahen Osten weisen: Ägyptologie und Judaistik; sie konnte die Philosophie verbinden mit dem, was ihr zweiter Fokus werden sollte: die Religion. So studierte sie vier Jahre und hielt die Regelstudienzeit ein. Für ihren Abschluß (»Tesi di Laurea«) spezialisierte sie sich auf Jüdische Philosophie.

      In diesen jungen Jahren setzte sie ihre Interessen und Fertigkeiten ein, um nebenbei Geld zu verdienen. Während der gymnasialen Oberstufe arbeitete sie für Rezensionen, Veranstaltungen und Beratungen mit der Galleria d’Arte Moderna e Contemporanea »Il Logogramma« und der Kulturzeitschrift »Quadri e Sculture« zusammen, im Studium an der Biblioteca di Filosofia »Villa Mirafiori«, unterrichtete von 1996 bis 1999 Italienisch an der Accademia Tedesca »Villa Massimo«, wurde nach ihrem Abschluß kurzzeitig Philosophiedozentin am Centro Universitario »Universitalia« und arbeitete als Lektorin und Übersetzerin bei dem jüdischen Verlag »Giuntina« in Florenz. Außerdem unterrichtete sie privat einige Deutsche in der Stadt.

      Von 1997 bis 2001 studierte sie Evangelische Theologie an der Facoltà Teologica Valdese in Rom, mit dem Schwerpunkt auf Theologie und Exegese des Alten Testaments, und schloß mit dem Diplom ab. Dieses Studium verdankte sie einer Sondergenehmigung für nicht-christliche Studenten. Dies war nötig, weil Francesca während ihres Universitätsstudiums sich zum Judentum bekannte. An der Gregoriana, der päpstlichen Universität, wäre sie nur als Gasthörerin zugelassen worden.

      Als Francesca im Januar 1999 nach Deutschland ging, lebte sie sich relativ schnell ein, natürlich auch dank der Tatsache, daß sie einen Mann hatte, der eine ganze Infrastruktur mitbrachte. Sie knüpfte nicht nur rasch Kontakt mit der Universitätswelt, sondern auch mit der jüdischen Gemeinde – sie ging damals regelmäßig in die Synagoge –, baute systematisch Freundschaften auf, so zu einigen Italienischschülern, zur Dermatologin, zu ihrem Rechtsanwalt und natürlich zu etlichen italienischen Kommilitonen; sie spendete, wie zuvor in Rom, Blut beim Roten Kreuz. Sie etablierte sich peu à peu und wurde – man kann es so sagen – eine richtige Deutsche. Am 6. Februar 2002 wurde sie schließlich eingebürgert.

      Hier, in Deutschland, macht sie eine elementare Lebenserfahrung: Sie braucht keine Angst mehr zu haben. Angst, die alltägliche, ist durchaus ein Markenzeichen in Italien. Man kann dort nie wissen, ob nicht im nächsten Augenblick etwas Irrationales, Gesetzloses, Chaotisches, Abgefeimtes passiert. Man ist sich nie sicher. In Deutschland hingegen, auch wenn die Deutschen gerne jammern und stöhnen, kann man im Regelfall davon ausgehen, daß es mit rechten Dingen zugeht. Ein Beispiel: Gingen wir ins Kino, war Francesca viel zu früh fertig und drängte mich zum Aufbrechen. Ich sagte ihr, der Verkehr, die Straßenbahn, der Kartenverkauf, die Sitzverteilung, all das würde hier funktionieren. Das sei in Italien anders, deswegen müsse man sich auf die Eventualitäten einstellen, wobei natürlich viel Zeit verschwendet wird. Francesca weiß es zu schätzen, daß auf die deutschen Verhältnisse, zumindest im Vergleich zu ihrem Heimatland, Verlaß ist. Sie kann sich auf ihre Arbeit konzentrieren und ansonsten das Leben genießen.

      Ihr Promotionsstudium in Freiburg – mit dem Vorlauf sind es drei Jahre – war extrem arbeitsintensiv. Man muß bedenken, daß Francesca sich zuallererst in der deutsche Sprache zurechtfinden mußte; immerhin war diese neue Sprache das Medium ihrer schriftlichen Arbeit an der Universität. Ihre Dissertation schrieb sie auf Italienisch und übersetzte sie dann eigenständig ins Deutsche, wonach ich als Lektor eingriff. In dieser Zeit mußte sie aber auch noch »ordentlich« studieren, denn offiziell befand sie sich im Hauptstudium eines altehrwürdigen, heute meist abgeschafften Studiengangs der Direktpromotion ohne Abschluß. Dafür besuchte sie philosophische Seminare und solche der Katholischen Theologie, für die sie neun Hausarbeiten schrieb. Parallel dazu absolvierte sie ihr Studium der Evangelischen Theologie in Rom. Zwischendurch perfektionierte sie ihr Englisch mit dem Zertifikat »very good« des höchsten Levels des »Cambridge Institute« und gab, um ihre Finanzen aufzubessern, fleißig privaten Italienischunterricht. Damit aber nicht genug: In diesen Jahren übersetzte sie zwei Bücher von Martin Buber ins Italienische für den Florentiner Verlag Giuntina, eine Art Hobby und Ferienbeschäftigung.

      Francescas finanzielle Situation verbesserte sich von Jahr zu Jahr. Vom Wintersemester 1999/2000 bis Wintersemester 2001/02 erhielt sie ein Promotionsstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die erste Zeit davor in Deutschland bestritt sie mit Ersparnissen, Sprachunterricht und einem kleinen Unijob. Das Sommersemester 2002 wurde auf ähnliche Weise überbrückt. Auch hier hatte Francesca Ersparnisse, weil sie auch während des Promotionsstipendiums weiterhin Italienischunterricht gab. Außerdem war sie ab diesem Semester Lehrbeauftragte an der Universität Freiburg, eine Tätigkeit, die sie mit Blockseminaren auch dann ausübte, als sie in Israel wohnte. Für das Wintersemester 2002/03 erhielt sie ein großzügiges, zweijähriges Auslandsstipendium der Minerva-Stiftung. Im akademischen Jahr 2003/04 hatte sie eine kleine Dozentur in der Schweiz, einem Land, das bekanntlich seine Lehrkräfte ausnehmend gut bezahlt, und einen Lehrauftrag an der Universität Frankfurt (am Main). Im Wintersemester 2004/05 wurde es wieder enger. Dafür hatte sie ab dem Sommersemester 2005 bis zu ihrer Ernennung zur Professorin in Potsdam Festanstellungen als Lehrstuhlvertreterin in Heidelberg und Frankfurt, außerdem eine Gastprofessur in Graz. Auch wenn Francesca zuweilen panische Angst befiel, sie könne, so wörtlich, verhungern, hatte sie immer ausreichend Geld, um das Leben zu führen, das sie führen wollte. Luxus war ihr ohnehin völlig gleichgültig.

      Ab September 2002 – wenige Wochen, nachdem bei ihr die chronische Krankheit des juvenilen Diabetes (Typ 1) diagnostiziert worden war – lebte sie in Jerusalem, um an der dortigen Bibliothek über ihr Habilitationsthema zu forschen. Es war nicht ihr erster Aufenthalt im Heiligen Land, die Dauerresidenz war freilich eine Phase größter Intensität. Es war die Zeit des täglichen Terrors in Israel. Auch Francesca, die auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen war, mußte auf Busfahrten mit dem Schlimmsten rechnen. Die Anspannung im Land war unerträglich. Francesca flüchtete sich in die Arbeit, las von morgens bis abends, lernte Ivrit und nahm gründlich Arabischunterricht. Auch hier suchte sie zielstrebig Freundschaften, nicht zuletzt zu deutschen Juden, die diese neue Heimat gewählt hatten. Als ich 2004 Francesca besuchte, war ich erstaunt, wie sehr sie in gewissen Kreisen integriert war. Sie war ein Kommunikationstalent. Sie flog nach Hause, wenn sie Termine hatte. Ab dem akademischen Jahr 2003/04 nahmen ihre Lehrtätigkeiten in Europa derart zu, daß sie ihre Zeit in Jerusalem öfters und länger unterbrechen mußte. Sie wuchs in den akademischen Betrieb hinein und war bald eine gefragte Dozentin.

      Im Frühjahr 2002 war Francesca zum ersten Mal in den Vereinigten Staaten. Es sollte nicht das letzte Mal sein. Immer wieder forschte sie dort, besuchte Kongresse, hielt Vorträge und stellte sich für Stellen vor. Sie genoß die großzügigen Selbstverständlichkeiten des akademischen Lebens in den USA, die üppig ausgestatteten Bibliotheken, die Ungezwungenheiten des sozialen Austauschs unter den »scholars«. Vor allem das Hebrew Union College mit der Klau Library in Cincinnati war seit 2005 der Ort, an dem sie für mehrere Wochen am Stück arbeitete. Dort war sie in die amerikanische jüdische Community integriert und pflegte, auch von Deutschland aus über Mails und Skype, intensive Freundschaften. Späterhin, als sich ihre Position in Deutschland festigte, klärte sich ihr Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Dort arbeiten und forschen, das sicher, aber für immer leben, dorthin zu ziehen, das kam nicht in Frage. »Die Arbeitsbedingungen«, sagte sie, »sind phantastisch, aber wenn du den Campus verläßt, beginnt die kulturelle Leere.« Sie war und blieb eine Europäerin, und das sowohl kulturell wie politisch. Mit Deutschland wollte sie kein Land tauschen.

      2007 nahm Francesca sich eine Zweitwohnung in Frankfurt, wo sie eine Professur vertrat. Die Universität hatte ihr ein Gästeappartement zur Verfügung gestellt. So konnte sie sich besser auf die Arbeit konzentrieren und mußte nicht, wie bisher, wöchentlich pendeln und im Hotel nächtigen. Das hatte zudem den Vorteil, daß sie auch in dieser Stadt, in der das jüdische Leben viel reger und geschichtsträchtiger ist als im kleinen Freiburg, ein Netz von Kontakten aufbauen konnte.

      Ab Herbst 2007 bezog sie, nachdem der Ruf an die Universität Potsdam erfolgt war, eine Wohnung in Berlin, natürlich in der Hauptstadt und nicht in der benachbarten, kleineren Stadt. Sie, die Römerin, die immer erklärte, »man« könne in keiner Stadt leben, die weniger als vier Millionen Einwohner hat, war endlich in der Metropole angekommen. Frankfurt war bis dahin die Stadt, in die wir fast gezogen