Deutschland oder Jerusalem. Claus-Steffen Mahnkopf

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Название Deutschland oder Jerusalem
Автор произведения Claus-Steffen Mahnkopf
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783866742871



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seit längerem. Sie hat in der Villa Mirafiori, dem Sitz der Philosophie der Universität La Sapienza, studiert, die ein paar hundert Meter von der Villa Massimo entfernt liegt. Francesca suchte immer die Nähe zu Deutschen, der deutschen Kultur und vor allem der deutschen Sprache. Sie unterrichtet privat auch in der Stadt und übersetzt, wenn es sich anbietet. Sie hat sogar einen Didaktikkurs für den Italienischunterricht besucht. Und ihre Stunden sind streng – sie duldet keine Nachlässigkeiten –, aber begeisternd zugleich. Man spürt, daß sie ihre italienische Sprache mit der rationalen Grammatik und dem musikalischen Klang liebt. Ihre Aussprache ist perfekt und vor allem nicht schnell, was uns Ausländern zupaß kommt.

      Francesca zeigt sich als unkomplizierte junge Frau, ohne Attitüde, ohne intellektuelle Arroganz. Es gibt Photos aus dieser Zeit, sie sitzt im Garten der Villa Massimo und hält den kleinen Felix, Sohn der Stipendiaten Carola Bauckholt und Caspar Johannes Walter, auf dem Schoß. Sie strahlt in die Kamera mit einer Kraft, mit einer Lebensfreude und einer Energie, die noch heute den Betrachter umhauen – eine junge Frau mit einem hellwachen Blick, der zwar Intelligenz ausdrückt, dem man aber das Philosophische, Hochgeistige gerade nicht anmerkt. Das wird eines der faszinierendsten und zugleich anmutigsten Züge von Francesca sein: Sie, die geisteswissenschaftliche Sonderbegabung, strahlt das zunächst überhaupt nicht aus. Sie ist immer ein Mensch wie du und ich gewesen.

      Francesca, die Lehrerin, umwirbt ihren neuen Schüler. Es ist leicht, wir haben regelmäßig Kontakt, face-to-face, wir gehen zusammen aus, ins Restaurant, durch die Stadt, durch das jüdische Viertel, das Ghetto di Roma, das zu zeigen für sie, die Jüdin, eine besondere Ehre bedeutet. Alles ist so unkompliziert, südländische Mentalität. Auch kommen die Massimo-Partys gelegen. In kurzen Abständen präsentieren im warmen, ja heißen Sommer die Stipendiaten ihre Arbeiten und stellen sie zur Diskussion, woran sich opulente Abendessen für alle und die Gäste anschließen, ein geselliges Zusammensein, das meist bis tief in die Nacht geht. Es ist meine Anfangsphase, ich denke zuweilen, hier werde überhaupt nicht gearbeitet. Aber wir sind in Italien, es ist auch meine Italienische Reise. Francesca gehört fest zum »Personal« der Akademie, fühlt sich pudelwohl im Hin und Her zwischen der italienischen und deutschen Sprache und ist mit den Stipendiaten freundschaftlich verbunden. Sie ist für uns Deutsche wie eine Botschafterin der italienischen Kultur.

      Bei meiner eigenen Präsentation kommt es, wie so häufig, wenn Künstler und Kunstliebhaber, aber auch Möchtegern-Intellektuelle zusammensitzen, zu begrifflichem Durcheinander. Auf der Treppe zur Küche meine ich zu Francesca, es lohne sich, Philosophie zu betreiben, man sei vor solchen Wirrungen gefeit. Ein unglaublich warmes Gesicht bedeutet mir: Endlich jemand, der mich versteht. Einige Zeit später kommen wir uns näher. In diese Zeit fällt Francescas erster Auftritt im Wissenschaftsbetrieb. Sie ist für eine Woche nach Toledo bei Madrid für eine jüdische Konferenz eingeladen, um dort einen Vortrag zu halten. Am Ende der Woche, nachdem sie zurückgekehrt ist, werden wir ein Paar. Am nächsten Morgen frühstücken wir im Garten, hinter meinem Studio, bei bestem Sommer- und Sonnenwetter. Das Leben ist schön – auf Italienisch: »La vita è bella« (übrigens der Titel eines Filmes, der zu dieser Zeit weltweit für Furore sorgt und über den Francesca sich maßlos ärgert). Ach ja, wir diskutieren auch darüber, welcher Philosoph bedeutender sei – Lévinas oder Derrida. Francesca hat sehr früh schon ihre festen Ansichten. Ich bin sehr froh, jemanden getroffen zu haben, der mir, bestimmt, aber nicht aufdringlich, widerspricht. Francesca ihrerseits hatte ihren »Deutschen« gefunden, hier in Rom, inmitten der Stadt der Machos. Eine neuer Lebensabschnitt beginnt.

      Die nächsten Wochen sind Ferien in einem emphatischen Sinne. Es ist Ferienzeit, Juli, August, September, Sommer, ja Hochsommer. Wir unternehmen viele Ausflüge, Francesca führt durch die Stadt, die an Dokumenten und Sehenswürdigkeiten bekanntlich nur so platzt, vor allem wenn eine Insiderin sie zeigt. Wir machen drei Reisen. Die erste führt nach Neapel, von dort auf die Insel Ischia und natürlich nach Pompeji, einer der sicherlich tiefsten Eindrücke, die ich in Italien erhalte. Francesca, mit ihrem »operatore turistico«-Abitur, ist eine perfekte Reiseleiterin. Wir verbringen einige Tage in den Abruzzen und genießen die Sonne, das luftige Wetter, die beeindruckenden Bergformationen und natürlich die mit Deutschland in keiner Weise vergleichbare Cuisine. Schließlich fahren wir nach Venedig, just an dem Wochenende, da Gerhard Schröder die Bundestagswahl gewinnt. Die Serenissima ist von Anfang an für uns beide ein »sogno«, ein Traum. Eine weitere Reise nach Florenz müssen wir wegen Geldmangels absagen, holen sie aber im Jahr darauf nach. Dafür lädt mich Francesca zum Geburtstag auf ein Landgut am Lago di Bracciano ein, mit einem derart üppigen Abendessen, daß ich kaum mehr von meinem Lieblingsdolce, der großen Profiteroltorte, naschen kann.

      Francesca ist seit längerem als Privatlehrerin in der Villa Massimo bekannt. Ihr häufiges Erscheinen wird als normal empfunden. Nicht einmal der Akademiedirektor, der sich stets bemüht, alles zu wissen, ahnt etwas von unserer Beziehung, die wir nicht öffentlich machen. Monate später, ich komme von einer Konzertreise zurück, ruft er mich an, er müsse mich belehren, während meiner Abwesenheit habe im Studio Licht gebrannt, der Hausmeister habe Frau Albertini vorgefunden. »Ich muß Ihnen von Amts wegen sagen, daß Sie, wenn Sie nicht da sind, keinen Besuch beherbergen dürfen.« Ich nehme Francesca an die Hand und gehe ins Büro. Da sitzen wir dem vermeintlich allwissenden Chef gegenüber. »Lieber Herr Schilling«, sage ich, »Frau Albertini kennen Sie ja. Sie ist seit Monaten meine Lebensgefährtin.« Er ist sichtlich überrascht, doch hocherfreut und gibt uns seinen Segen. Weihnachtsgrüße in den folgenden Jahren werden liebevoll überschrieben mit »An die Mahnköpfe«. Wir besuchten ihn viele Jahre später in Berlin; es war ein sehr herzliches Wiedersehen.

      Daß ich so schnell Anschluß an die Bevölkerung der Stadt finde, ist natürlich ein Glücksfall. Es ist eben »bella estate«, um den Titel eines Romans von Cesare Pavese zu zitieren, den ich zu dieser Zeit lese. Ich spreche auch im Alltag italienisch, Francesca zeigt die Stadt, wir machen Ausflüge, nicht nur ans Meer, und reisen durch das ganze Land. Auch wenn wir uns immer wieder über die Unzuverlässigkeiten des römischen Betriebs aufregen, rückblickend kann ich sagen, daß dieses Jahr vielleicht das schönste meines Lebens gewesen ist. Es kommt selten alles zusammen: Italien, Rom, das Klima, der Sommer, die Freiheit des Arbeitens, die großzügige Wohnsituation – und die Frau fürs Leben. Kann man mehr verlangen? Eine gute Freundin zu Hause meinte spontan, als sie hörte, ich hätte das Massimo-Stipendium gewonnen, »Du wirst Dich verlieben«. Sie, die Lateinlehrerin, meinte die Ewige Stadt, sie konnte nicht ahnen, wie sehr ihre Prophezeiung Wirklichkeit werden sollte.

      Francesca hat ihren Universitätsabschluß bereits ein Jahr hinter sich und studiert in einem Zweitstudium Theologie, leidet aber darunter, in Philosophie nicht promovieren zu können. Anders als in Deutschland, wo die Promotion allen offensteht, sofern sich ein Betreuer findet, durchläuft der italienische Kandidat einen »concorso«, den Francesca mit einem Projekt zur jüdischen Philosophie aber nicht gewinnt. Ich bin irritiert. Sie erklärt, daß man, wie so häufig in Italien, guter Beziehungen und einer Lobby bedürfe und es daran gemangelt habe. Sie ist nicht einfach frustriert, sie ist in ihrer Würde als Intellektuelle, als Wissenschaftlerin – und vermutlich auch als Jüdin – zutiefst verletzt und gedemütigt. Ich spüre etwas von ihrer Verachtung des eigenen Landes und seiner Gebräuche. Aber noch sind ihr die Hände gebunden. Sie muß sich durchschlagen und versuchen, so gut es geht Geld zu verdienen, was allerdings mit Unterricht und Übersetzungen nur vorübergehend möglich ist. Als ihr ein versprochener Job verwehrt wird, kommt sie völlig aufgelöst zu mir. Sie heult, ihre Existenzangst ist offensichtlich.

      Im Herbst erhält Francesca auf Vermittlung eines römischen Professors – an der Universität genießt sie einen hervorragenden Ruf – ein Promotionsangebot aus Deutschland. Das ist natürlich ein großes Glück, und zwar ein dreifaches. Sie kann wissenschaftlich weiterarbeiten; die Pläne liegen ja bereits in der Schublade. Francesca wollte schon als Teenager Italien verlassen, ein Wunsch, der mit den Jahren kaum an Dringlichkeit verloren hatte. Schließlich kommt das Angebot aus Freiburg, mithin jener Stadt, in der ich lebe. Ich traue meinen Ohren nicht. Freiburg! Da hat das Schicksal es gut mit uns gemeint. Dieser Tag ist der Beginn von Francescas deutscher Laufbahn, sie wird in den nächsten Jahren einen beispiellosen Arbeitseifer an den Tag legen und sich selber übertreffen.

      Francesca bereitet sich langsam, aber zielstrebig auf ihre Emigration vor. Bernhard Casper, der