Deutschland oder Jerusalem. Claus-Steffen Mahnkopf

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Название Deutschland oder Jerusalem
Автор произведения Claus-Steffen Mahnkopf
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783866742871



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Gruppe und strotzte vor Glück. Es war offensichtlich, daß sie sehr stolz auf Sie war.« Ein Kollege in Potsdam schrieb ihr einmal: »Warum sagst Du mir nicht, daß Du einen so berühmten Mann hast? Ich dachte immer, Dein Mann ist einer jener Partner, die froh sind, wenn etwas Licht vom Gatten auf sie herabfällt und die mit tränennassen Augen im Auditorium sitzen, wenn der Gatte irgendwo geehrt wird. Bei euch wird das eher ein Spiegelungsverhältnis sein.« Francesca antwortet: »Du hast mich nie nach meinem Mann gefragt … Jetzt aber im Ernst: Ich bin auf meinen Clausi sehr stolz.« Aus Hawaii kam die Beobachtung: »Francesca hat Sie sehr geliebt und mit großer Bewunderung von Ihrem Talent gesprochen.« Jeder Witwer hört das gerne.

      Die vielleicht wunderbarste Seite an Francesca war ihr phänomenaler Witz. Ironie war ihr Element, und sie litt darunter, daß die Deutschen diese häufig nicht verstünden, weil sie sie für bare Münze nähmen. Francescas mitunter harte, ja bissige, aber niemals zynische Bemerkungen (»Die Universitätsverwaltung zwingt mich zum Amoklauf«) erzeugten eine gewisse Leichtigkeit, um über das am Leben eben nicht Leichte hinwegzukommen. Ihre umfassende Bildung half ihr dabei, natürlich auch, daß sie aus mindestens zwei zusätzlichen Welten kam, der römischen und der jüdischen. Als der Verlag ihres ersten Buches ein graues Cover vorschlug, schrieb sie zurück, es erinnere sie an das größte Gefängnis in Rom. Das Buch erschien dann in Knallrot, ihrer Lieblingsfarbe, der Farbe der Liebe, des Feuers und der Leidenschaft, wie sie sagte. War sie erzürnt, rief sie durchaus: »Ich schicke den Mossad!« Wurden wir der häßlichen und geschmacklosen Seiten der Deutschen ansichtig, seufzte sie auf: »Mein Volk …« Wir konnten ganze Abende im Restaurant im Tonfall der Ironie, der Indirektheit und des Humors verbringen. Witze waren gleichfalls ein Medium unserer Weltverständigung.

      Francesca war von genialischem Zuschnitt, eine Ausnahmebegabung. Aber das Attribut »Genie« adressierte sie an mich zurück. Das hört man als Komponist zwar gerne, ich wollte aber doch die genauere Begründung hören. Sie antwortete mit Kant: ein schöpferischer Geist, welcher der Materie die Regeln aufzwingt. Sie bewunderte mich als Komponisten auch, weil sie davon nichts oder kaum etwas verstand. Aber sie hörte den Geist in meiner Musik. Wie genau sie dafür Worte finden konnte, zeigt sich an meiner oktophonischen Raumkomposition void – mal d’archive, in der Klänge aus Libeskinds Berliner Jüdischem Museum verarbeitet sind. Sie nannte das Werk ein »Requiem ohne Gott«. Ich habe bisher keine trefflichere Formulierung gefunden. Vermutlich hatte Francesca recht, wenn sie das Schöpferische in mir verortete. Ihre philosophische Doktorarbeit war auch weniger ein eigenständiger systematischer Entwurf. Francesca war viel eher eine Person, deren hermeneutische Kraft sich ganz entfaltete, wenn sie mit fremden Texten konfrontiert wurde, wie es ihr Freiburger Mentor Casper einmal treffend formulierte.

      Die Intellektuelle Francesca ließ sich nicht blenden. Da sie möglichst viele Bücher kaufte, die ihren Interessen entsprachen, erwarb sie auch das Buch Das Wissen der Religion von Norbert Bolz, ohne zu ahnen, wer dieser Autor ist. Sie las es auf unserer Andalusienreise. Zunächst sagte ich nichts und wartete ab. Nach etwa 30 Seiten klappte sie frustriert das Buch zu. »Da steht nichts Originelles drin, und vieles ist einfach nur sachlich falsch oder uninformiert.« Das war der Zeitpunkt, sie über den Blender und Pseudophilosophen, der Bolz nun einmal ist, aufzuklären, über einen Autor, der großspurig auftritt, im besseren Fall aber nur Allgemeinplätze verkündet. Ich mußte schmunzeln, eine andere Reaktion von ihrer Seite hätte mich gewundert.

      Wie ich schon andeutete und Tamara Albertini in ihrer Beschreibung bestätigt, trat Francesca nicht als Intellektuelle auf. Es fehlte ihr die Arroganz, vielmehr war sie getragen von Demut. Ihr fehlte das paranoische Gesicht weiblicher Intellektueller, die bereits auf Angriff gehen, bevor überhaupt etwas gesagt ist. Francesca war weder Kampffeministin noch Kampfjüdin, auch keine Kampfphilosophin. Sie wußte, daß sie, der »shooting star«, das nicht nötig hatte; sie lebte ein anderes Leben, eines, das nicht trennt zwischen Leben und Arbeit, zwischen Lebensvollzug und der weltanschaulichen Ausrichtung. Ihre Gesichtszüge hatten nichts von dem Verhärmten, Angespannten, Kopflastigen, Besserwisserischen, dem man so häufig in Deutschland unter Akademikern begegnet, auch nichts von der ewigen Opferrolle der Jüdin, deren Volk vernichtet werden sollte. Sie hatte auch nichts von einem Minderwertigkeitskomplex des zu Recht oder zu Unrecht verkannten Genies. Schon eher hatte sie etwas von einer Schauspielerin, wandelbar, ausdrucksstark, facettenreich, klug. Selbst für mich, der sie auch anders erlebte, ist frappant, daß sie auf fast allen Bildern in die Kamera lacht. Sicher, das war auch dem Gegenüber geschuldet. Aber diese hier ausgedrückte Lebensfreude muß man erst einmal in sich spüren. Das Harte im Gesicht einer Hannah Arendt fehlte ihr gänzlich. Eher könnte man sie mit Anne Frank, Etty Hillesum und Simone Weil vergleichen, zumal Francesca immer wesentlich jünger aussah, als sie war. Es gibt ein Bild aus Las Vegas, auf dem die 32jährige wie ein Teenager aussieht. Francesca bleib immer auch ein Kind. Selbst noch als Professorin. Eine Doppelexistenz eben.

      REISEN

      Reisen, in der Welt herumkommen war uns beiden essentiell und existentiell. Immer wenn ich Francesca fragte, was wir machen sollten, wenn wir zuviel Geld hätten (sie war an Luxus à la Autos, Kleidung, Schmuck und dergleichen völlig desinteressiert), sagte sie »reisen«. Sie wollte die ganze Welt sehen. Nicht nur, um die diversen Naturformationen und die großen Orte der Kulturen, sondern auch die verschiedenen Völker kennenzulernen. Das war schon als Teenager der Fall und wurde nach unserer Hochzeit systematisch ausgeweitet. Ihre, unsere Reisen waren ein integraler Teil unseres Politikverständnisses. Gerade hier, beim Reisen, zeigte sich unsere Syntonie. Wie oft sind Urlaube oder Besichtigungen belastet, weil die Partner, was Geschwindigkeit und Interessenlage betrifft, divergieren. Nicht so bei uns. Wir waren intensiv, gründlich, gut vorbereitet und absolvierten unser Programm zügig.

      Unsere Reisen waren generell eher kurz, eine Woche oder zehn bis zwölf Tage, aber nicht länger. Nach acht Tagen meldete sich die Arbeit, wir mußten zurück an den Schreibtisch. Entsprechend waren unsere Reisen vollgepackt. In den zwölf Tagen China hatten wir immerhin vier Binnenflüge. Und auch Ägypten mit der Route Luxor, Assuan, Abu Simbel, Kairo mit einem Abstecher nach Sinai schafften wir in zehn Tagen, ohne daß wir das Gefühl hatten, etwas zu versäumen. Wir waren schnelle, schnell aufnehmende Menschen. Die Vorstellung, man hielte sich beispielsweise drei Wochen in einer Stadt auf, um deren Flair einzusaugen, war uns fremd. Auf Achse waren wir beide allein schon unseres Berufes wegen. Hinzu kamen das ständige Pendeln für die Lehrtätigkeit, die regelmäßigen Besuche bei der Familie in Rom sowie die längeren Studienaufenthalte.

      Francesca kam viel herum, in der Schulzeit bereits nach Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Österreich, in unserer gemeinsamen Zeit Kalifornien, New York, Granada, Krakau/Auschwitz, St. Petersburg, Budapest, Ägypten, Israel, Jordanien, China und Burgund. Moskau, Hawaii, Oxford, Toronto mit den Niagarafällen und einige amerikanische Städte wie Las Vegas, Cincinnati und Princeton besuchte sie ohne mich. Wir hatten für die Zukunft viele große Reisen geplant: Mexiko, Tibet (das war einer ihrer sehnlichsten Wünsche), Marokko, Indien, Zentralasien, Syrien, Laos/Kambodscha, eine Safari durch die Tierwelt Afrikas und zahlreiche Städte wie Dublin, Prag oder Istanbul. Ihr Wunsch war es auch, in Hiroshima zu beten. Im Vordergrund standen Bildungsreisen, die wir selber zusammenstellten. Reisegruppen wollten wir uns niemals anschließen. Lieber buchten wir organisierte Touren mit einem persönlichen Reiseführer und einem Fahrer, der auf uns wartete, so daß wir uns nach Belieben einrichten konnten. Wir waren Individualisten.

      Francesca bewegte sich ganz ungezwungen im Ausland. Sie beherrschte die Sprachen, hatte keine Angst, auf Menschen zuzugehen. Ja, sie war auf einem Tourismusgymnasium gewesen – ob das sie geprägt hatte? Jedenfalls spürte man, daß sie auf der ganzen Welt zu Hause sein konnte. Sie war eine Kosmopolitin, die Freude daran hatte, neue Völker und deren Gepflogenheiten kennenzulernen. Eine Konstante war das Kartenschreiben. Gleich, wo Francesca sich aufhielt, im Urlaub oder auf einem Kongreß, der erste Gang führte zu einem Ständer mit Ansichtskarten. Sie bedachte die Familie, die Freunde und Kollegen. Natur interessierte sie nur insofern, als sie keine körperliche Anstrengung bedeutete. Eine von Francescas Ideen war eine Schiffsreise zu den Pinguinen in der Antarktis. Sie hatte sich schon eine Route von der Südspitze Argentiniens aus überlegt. Auch Island wollte sie sehen, ohne dort groß herumwandern zu wollen. Für Inseln wie Madeira oder Hawaii wurden Leihwagen organisiert.