Als Luther vom Kirschbaum fiel und in der Gegenwart landete. Albrecht Gralle

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Название Als Luther vom Kirschbaum fiel und in der Gegenwart landete
Автор произведения Albrecht Gralle
Жанр Юмористические стихи
Серия
Издательство Юмористические стихи
Год выпуска 0
isbn 9783865068323



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Luther und behielt es in der Hand.

      Nach einer Weile kehrten die Männer um und verließen das Gebäude. Unauffällig folgte ihnen die Frau. Und als sie sah, dass sie auf das parkende Auto zugingen, rannte sie zu ihrem Fahrrad, schloss es auf und fuhr hinter dem Golf her.

      „Ja“, sagte Sonnhüter in sein Handy. „Ich habe hier einen … einen genialen Schauspieler, der sich ganz in die Rolle Luthers eingearbeitet hat. Er wäre perfekt für eure sächsische Pfarrkonferenz. Ein Bonbon zum Abschluss. Vielleicht sogar für das Jubiläum … Stell dir vor: Fünfhundert Jahre Thesenanschlag, und wir begrüßen als Ehrengast Dr. Martin Luther. Das wäre der Knaller. Er spielt den Luther so echt, dass man meint, er stünde direkt vor einem … Wie? Ach so … das Honorar. Ja … Der Mann ist ein Idealist und wird nicht viel verlangen … Ja … zweihundert Euro plus Fahrtkosten. Kein Problem. Das kann ich dir verbindlich zusagen … Natürlich musst du noch mal mit dem Team sprechen. … Ja, danke und … gerne … du auch.“

      Der Pfarrer legte auf und sagte zu seinem Gast, der neben ihm im Auto saß: „Du wirst auf der Pfarrkonferenz in Wittenberg sprechen, als Ehrengast. Ich habe ihnen gesagt, dass du ein Schauspieler bist. Die Wahrheit glaubt uns ja doch keiner.“

      Luther blickte ihn zweifelnd an. „Ob das gut geht? Wenn ich – wie heißt es hier? – wenn ich in Fahrt komm, dann werd ich wild, und die Wort fallet mir nur so aus dem Maul.“

      „Wunderbar. Genau das wird von einem Martin Luther erwartet! Und jetzt üben wir noch ein bisschen normales Deutsch, damit du hier nicht so auffällst. Ich hoffe, du hast in dem Erich-Kästner-Buch gelesen und dir die Sprache angewöhnt.“

      „Was heißt: Er zündete sich eine Zigarre an?“, fragte Luther.

      „Eine Zigarre, das ist so etwas Ähnliches wie eine Pfeife. Die müsste es zu deiner Zeit doch schon gegeben haben, oder?“

      „Pfeife?“, überlegte Luther, „ist ein Instrumentum Musici, die Stadtpfeifer blasen sie …“

      „Nein, nein. Also, die Zigarre, das sind zusammengerollte Blätter, die man anzündet und den Rauch einatmet. Das soll beruhigen.“

      „So, wie man einen Becher Bier tut trinken?“

      „Ja, so ungefähr. Aber Luther, lass dieses ‚tut’ einfach mal weg. Es heißt: wie man einen Becher Bier trinkt. Und wir sprechen das Perfekt immer mit einem ‚ge’ davor. Also nicht: Das hast mir bracht, sondern: Das hast du mir gebracht. Obwohl, in Bayern würdest du damit weniger auffallen.“

      Luther seufzte: „Werd mir’s merken.“

      „Und jetzt“, sagte Sonnhüter, „gehen wir einkaufen!“

      „Auf den Markt?“, fragte Luther.

      „Nein, in einen Telefonladen. Du brauchst ein Telefon, falls wir uns mal verlieren.“

      Sonnhüter stieg aus, öffnete die Tür für Luther und holte sich ein Parkticket.

      Das Zentrum von Northeim gefiel Luther sehr gut. Es erinnerte ihn an seine eigene Zeit: Das Kopfsteinpflaster war beschädigt, und obwohl ein paar neue Häuser um den Markt standen, gab es auch alte Fachwerkhäuser, wie es Luther gewohnt war.

      Vor dem Café saßen Leute und genossen die Sonne.

      Sonnhüter steuerte auf einen Laden zu, in dessen Schaufenster elektronische Geräte lagen.

      „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“

      „Ich brauche ein Handy für meinen Bekannten“, sagte der Pfarrer, „möglichst einfach zu bedienen, keine großen Sonderfunktionen. Und keine Geheimnummer, um es einzuschalten. Er hat nur … sehr schlichte Kenntnisse.“

      Der Verkäufer warf einen Blick auf Luther, der mit offenem Mund vor einem Bildschirm stand, auf dem junge Leute mit einem Motorrad unterwegs waren.

      „Ah ja, ich verstehe.“

      Der Zeitreisende legte seine Hand auf den Bildschirm.

      „Nichts anfassen, bitte!“

      Luther zuckte zusammen und nahm seine Hand weg.

      In einer verblüffenden Schnelligkeit hatte Sonnhüter sein neues Handy bekommen, das schon aufgeladen war.

      Draußen vor dem Laden probierten sie es aus. Sonnhüter gab seine eigene Nummer ein und programmierte sie mit der eins. Er zeigte Luther, wie man es ein- und ausschaltet, und sagte langsam: „Pass auf, Martin. Du schaltest es ein und drückst die eins, dann macht es tut …“

      „Ich denk, dass wir nicht mehr tut sagen sollen“, warf Luther ein.

      „Es macht ein … ein Signalgeräusch, und dann wirst du meine Stimme hören, und wir können reden.“

      Luthers Augenbrauen schoben sich zusammen. „Aber wir reden doch jetzt auch ohne den Ziegelstein.“

      „Ja, aber wenn wir einmal getrennt werden, dann können wir über eine große Entfernung reden, verstehst du?“

      Luther nickte.

      „Ich geh jetzt mal ein paar Schritte weiter, und du tippst die Eins ein.“

      Sonnhüter entfernte sich.

      Luther tippte die Zahl ein und hielt den „Ziegelstein“ an sein Ohr. Sein Gesicht sah sehr angestrengt aus. Plötzlich verbreitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht, und er redete ein paar Sätze.

      Sonnhüter kam auf ihn zu. „Wunderbar, es klappt! Wir gehen wieder zum Auto.“

      Unterwegs setzte Sonnhüter seine Erklärungen fort. „Und wenn es tu … wenn es klingelt, dann drückst du auf den grünen Hörer und kannst mit mir reden.“

      Plötzlich blieb Luther stehen. „Was ist das?“ Er deutete auf den Boden. „Da sind Stein aus Messing gemacht und steht was drauf.“ Er las: „Hier wohnte Simon Nathan Frank, Jg. 1884, Flucht Holland, deportiert So … Sobibor, ermordet 28. 5. 1943.“

      „Ja“, sagte der Pfarrer, „das gibt es seit einigen Jahren. Man nennt sie Stolpersteine. Sie erinnern daran, dass hier Juden gewohnt haben, die während unserer dunklen Zeit ermordet wurden.“

      „Dunkle Zeit?“, fragte Luther und ging langsam weiter.

      „Stell dir vor, in dieser dunklen Zeit sind über sechs Millionen Juden ermordet worden …“

      „Was? So viel?“ Er schwieg und blickte auf die Messingsteine. Dann schüttelte er den Kopf und konnte es nicht glauben.

      „Hab nit g’wusst, dass sind so viel Jüden in Teutschland g’west.“

      „Nicht nur in Deutschland, auch in Polen, Ungarn, Holland und so weiter.“

      Er blickte Luther an. „Ich muss dir das später noch einmal erklären. Ist vielleicht zu viel auf einmal.“

      Sie gingen schweigend weiter. Luther bog in eine schmale Gasse ein und stand kurze Zeit später auf einem kleinen Platz. Er blickte auf ein imposantes Fachwerkhaus und entzifferte die Inschrift: „ALLES WAS MEIN THUN UND ANFANG IST, DAS GESCHEHE IN DEN NAMEN JESU CHRIST/​DER STEHE MIR BEY FRÜH UND SPAT BIS ALL MEIN THUN EIN ENDE HAT.“

      Luther nickte. „Recht christlich Leut, die Northeimer …“

      „Na ja“, meinte Sonnhüter, „es geht so. Vielleicht damals. Die Inschrift ist ja schon ein paar Jahrhunderte alt.“

      Schließlich waren sie wieder am Parkplatz angekommen. Sonnhüter kramte in seiner Tasche, holte seinen Geldbeutel heraus und drückte Luther ein paar Scheine in die Hand.

      „Das ist Geld. Nur für alle Fälle, damit du nicht ganz leer dastehst.“

      Luther bedankte sich, stopfte die Scheine in die Tasche und wartete, dass Sonnhüter ihm die Tür aufmachte.

      Als Luther