Franz spricht. Elisabeth Hauer

Читать онлайн.
Название Franz spricht
Автор произведения Elisabeth Hauer
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783990400289



Скачать книгу

Er war, wie bereits berichtet, bei uns Schülern nicht angesehen. Außer seiner Stärke, ja, auch außer seinem Aussehen gab es nichts, worum wir ihn hätten beneiden sollen. Die Familie war arm, der Vater ein einfacher Arbeiter, der sich meistens nach der wöchentlichen Lohnauszahlung betrank.

      Es gab viele Geschwister, wie viele, ich weiß es nicht mehr. Manchmal sah man Franz mit einem der Kleineren herumziehen, es schien ihm nichts auszumachen, er hielt es immer streng an der Hand und gab acht, dass ihm nichts passierte. In dieser Hinsicht war er sehr gutmütig. Franz’ Mutter war eine große, magere Frau mit einem schütteren Haarknoten, wir fürchteten uns ein wenig vor ihr. Wenn wir bei der Siedlung vorbeigingen, sagte sie immer was von verwöhnten Nichtstuern, die mit Lernen ihre Zeit vergeudeten. Als wir jünger waren, riefen wir manchmal Prolet, Prolet zu ihr hinüber, aber da durfte Franz nicht in der Nähe sein, er wäre gleich über uns hergefallen.

      Paul nahm mich einmal zur Seite und erklärte, Franz sei was Besonderes, auch seine Familie sei was Besonderes, auch wir seien was Besonderes, es gebe keinen Unterschied. Ähnliches hatte ich von unserem Vater gehört, aber von ihm glaube ich, dass er es nicht ganz ehrlich meinte, während Paul von seiner Meinung überzeugt war.

      Ich erinnere mich, es war Franz’ fünfzehnter Geburtstag, als Paul erklärte, er wolle ein Fest für ihn veranstalten. Es war Frühling, er meinte, unser Garten sei dafür der richtige Platz. Unsere Mutter dachte zuerst, er mache einen Scherz, als sie merkte, dass er es ernst meinte, konnte sie es nicht glauben. Sie lehnte es strikt ab, genauso wie mein Vater, den Paul nachher, schon hoffnungslos, fragte. Ich wusste von Anfang an, dass daraus nichts werden würde. Dann mache er das Fest eben woanders, sagte Paul. Wie ihm das gelingen sollte, sagte er nicht. Du kannst auch kommen, sagte er zu mir. Ich schwankte. Ich war neugierig, ja. Andererseits wollte ich den Eltern, die von diesem Plan nichts wissen sollten, nicht in den Rücken fallen. Ich weiß noch nicht, sagte ich zu Paul, vielleicht.

      Heute denke ich, dass es gut war, dass ich dann doch zu diesem Fest kam. Es fand nahe dem Koksplatz der Fabrik statt. Der Koks war dort in riesigen Haufen gelagert, dahinter war ein freier Platz, ungepflegt, schmutzig, von schwarzem Staub bedeckt. Fast niemand ging dort vorbei. Es war Franz’ Idee, auf diesem Platz zu feiern. Wahrscheinlich hatte er Paul unter ständigen Blödeleien zu diesem Wahnsinn überredet. Paul hatte mir größte Geheimhaltung auferlegt. Dann begann er zu sammeln. Keine Ahnung, wie es ihm gelungen ist, Fruchtsäfte, Mineralwasser, Salzgebäck und Kekse aufzutreiben. Wahrscheinlich hatte er seine Sparkasse ausgeräumt und zusätzlich einiges in den Kaufläden erbettelt.

      Der Tag war voller Wolken und ziemlich kühl. Ich kam erst später hin, das Fest war in vollem Gang, ich hatte nicht so viele Besucher erwartet. Keiner kam aus dem Gymnasium. Nur Arbeiterkinder, Fußballfreunde. Mit lauten Rufen wurde ich begrüßt, ich glaube, Paul war irgendwie froh, mich zu sehen. Alle saßen auf Säcken, auf irgendwelchen Holzteilen auf diesem schmutzigen Platz, sie tranken aus den Flaschen, stopften sich voll mit Gebäck, riefen einander Worte und Sätze zu, die ich kaum verstand und schienen dieses seltsame Fest richtig zu genießen. Franz saß sichtlich stolz in ihrer Mitte, man boxte ihn in den Rücken, hob ihn auf und schubste ihn mit lautem Geschrei von einem zum andern. Auf einem alten Brett saß Paul, still und glücklich. Wahrscheinlich wäre alles gut ausgegangen, hätte nicht Einer Alkohol gebracht und hätte es nicht zu regnen begonnen. Woher der mit dem Alkohol kam, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls war er älter als Franz und seine Freunde. In einer großen Plastikflasche befand sich ein undefinierbarer Fusel, den er unter großem Hallo herumreichte. Er bot mir davon an, ich lehnte sofort ab. Auch Paul wollte nicht trinken.

      Du bist mein Freund, oder bist du es nicht, rief Franz, er stellte sich vor Paul hin, lachend, die Flasche schwenkend, fast war es wie eine Drohung. Paul, der wie ich noch nie Alkoholisches getrunken hatte, machte einen großen Schluck. Es schien ihn zu ekeln, er schob Franz weg, der ihm von neuem die Flasche reichen wollte. Franz ging, kam nach einer Weile wieder zurück, gespannt sahen alle zu Paul. Er drehte sich um, kehrte Franz den Rücken zu. Sofort herrschte Stille auf dem Platz. Franz stand da mit der Flasche, er schien weiter getrunken zu haben, er schwankte. Vielleicht ist er doch nicht dein Freund, rief Einer. Er glaubt, er ist wer besserer, rief ein Anderer. Er mag uns nicht. Er mag dich nicht, so riefen sie von allen Seiten. Wenn er wirklich dein Freund ist, soll er es beweisen. Paul rührte sich nicht. Franz, noch immer schwankend, legte ihm die Hand auf die Schulter. Paul drehte sich langsam um, hob die Flasche mit geschlossenen Augen an den Mund und trank. Der Zug war lang, der Zug war zuviel. Als ich Paul ansah, hatten seine Augen sich verändert.

      Es begann bald zu regnen. Das Regenwasser vermischte sich mit dem Koksstaub zu schwärzlichem Brei. Die Burschen begannen sich diesen Brei in Gesicht und Haare zu schmieren, einige wälzten sich darin. Paul saß teilnahmslos da, Franz war verschwunden. Ich hatte Mühe, meinen Bruder hochzubringen, ich wollte mit ihm heimgehen, sofort. Ich schleppte ihn mehr als er ging, irgendwie kamen wir nach Hause, unbemerkt von den Eltern brachte ich ihn in die Mansarde. Wir hatten beide von der Koksschmiere was abgekriegt, mein Versuch, unsere Kleider zu waschen, hatte keinen Erfolg, die Flecken waren hartnäckig, nicht wegzubringen. Am nächsten Tag großes Theater mit den Eltern, Paul, der nach heftigem Erbrechen blass vor ihnen stand, sagte kein Wort. Ich versuchte das Geschehen zu verharmlosen. Unser Vater verbot Paul jeden weiteren Verkehr mit Franz, beide mussten wir an den nächsten Wochenenden zu Hause bleiben. Wenn ich mich richtig erinnere, bedankte sich Paul bei mir. Auf jeden Fall aber sagte er: Franz bleibt mein Freund, das verstehst du doch. Ich verstand es nicht, genauso wenig wie vieles andere, was Paul in seinem Leben noch tat.

      In meinem Schlafzimmer schließt ein Fenster schlecht. Nachts, wenn ich aus meinem seichten Schlaf erwache, höre ich, wie der Wind durchzieht. Das ist unheimlich. Und nicht gut für meine Gesundheit. Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll, um das Fenster zu reparieren. Diese Frage geht mir ständig durch den Kopf und ich finde keine Antwort. Früher habe ich solche Probleme rasch gelöst. Jetzt werde ich damit nicht fertig. Ich werde meine Tochter fragen.

      Ich weiß, dass Franz nun in dieser Stadt lebt. Aber ich will ihn nicht sehen. Nie mehr.

      Franz

      spricht

      Lass die Katze nicht mehr herein, hat meine Mutter gesagt. Die Katze ist nur zum Mäusetöten da, die gehört nicht in die Küche. Wirf sie raus. Sofort. Die Katze war aber krank. Sonst wäre sie nicht in die Küche geschlichen. Ganz nah zum Herd hat sie sich gedrängt, gestreckt hat sie sich und den Kopf zwischen die Pfoten gelegt und dabei gezittert. Schmerzen hat sie gehabt, ich weiß es. In einem Haushalt wie unserem hat es nie Tiere gegeben. Weil wir einfach alles, was essbar war, für uns selbst gebraucht haben, bis zur letzten Brotrinde. Für Tiere gab es da kein Interesse und kein Verständnis. Haben Sie vielleicht auch ein Tier? Einen kleinen Hund vielleicht? Hätte ich immer gern gehabt. Später. Aber es wurde nichts draus. Also die Katze habe ich dann versteckt, im Schuppen. Aus Gras und Blättern habe ich ihr einen Platz gemacht, dort hat sie fast immer geschlafen. Das wenige Futter, das ich für sie zusammengekratzt habe, hat sie fast nie angeschaut. Ich hab mir schon gedacht, das wird schlecht ausgehen.

      Aber ich glaube und ich bitte Sie, glauben Sie es mir auch, ich hab gemerkt, dass sie sich gefreut hat, wenn ich gekommen bin. Ich habe sie dann gestreichelt, ganz leicht, den mageren Rücken hinauf und hinunter. Da hat sie noch geschnurrt, ganz leise, aber geschnurrt. Eines Tages war es vorbei. Ich hab es gleich gewusst, so, wie sie dagelegen ist. Bis zum Abend hab ich gewartet. Als es dann finster war, bin ich in den Garten gegangen und hab sie begraben. Gleich beim Gemüsebeet, dort war die Erde locker.

      Keine gute Idee. Am nächsten Tag hat meine Mutter gemerkt, dass was nicht in Ordnung ist, und abends hat mein Vater die Katze ausgegraben. Er hat sie auf den Kompost geschmissen und dort verbrannt. Die Strafe für mich war auch nicht schlecht. Aber die hat mir nichts gemacht. Ich hab mir dann gedacht, die Katze hat noch ein paar schöne Tage gehabt. Im Schuppen. Ich war noch ein Kind damals. Zehn Jahre alt vielleicht.

      »

      So wütend hatte Miriam ihren Vater selten gesehen. Zornig ging er im Zimmer umher, vom Fenster zur Tür und zurück, immer wieder. Die Mutter, scheinbar teilnahmslos in ihrem Lehnstuhl, mit einer Zeitung, in der sie nicht las. Ob sie zuhörte, ob sie nur auf die Schritte des Vaters hörte, wusste Miriam nicht. Sie selbst stand