Das Lied der Eibe. Duke Meyer

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Название Das Lied der Eibe
Автор произведения Duke Meyer
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783964260109



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für den Anfang (und meistens sogar für den ganzen Verlauf).

      Bleiben wir zunächst beim Geld. Meist brauchen wir ja welches – für was auch immer. Wenn die Geldrune am Anfang des Futhark steht – was heißt das? Das heißt, dass sie am Anfang, und zwar nur dort, steht: am Beginn, damit es losgehen, etwas passieren kann. Es folgt eine andere Rune und auf die wiederum eine nächste, und so weiter bis zum Schluss. Fehu ist wichtig, ohne sie ginge gar nichts – aber drehte sich alles nur um sie, ginge nichts voran und nichts weiter. Es gäbe kein Runensystem, kein Werden, kein Erfahren und Wissen, kein daraus resultierendes Tun und Lassen. Dieses Buch könnte hier enden.

      Der kranke Aspekt an der Geldgier unserer Gesellschaft ist nicht das Geld an sich, sondern die ihm zugestandene absolutistische Rolle, die alle anderen Werte an den Rand drängt – und mittlerweile allem, was nicht mit einem Preis ausgestattet werden kann, jede Wertigkeit abspricht. Der profitsüchtige Charakter onaniert sich unablässig in Ekstase am Konjunktiv des noch zu gewinnenden oder weiter zu vermehrenden Reichtums, steht dabei aber nicht unbedingt mit irgendetwas Wirklichem in Kontakt. Die Energie, die er dabei verbraucht, ist allerdings real – und es ist nicht seine eigene.

      Die wirkliche Welt ausschließlich über ihren Geldwert zu erfassen, entspricht einer Beschäftigung mit Runen, die sich auf die erste von 24 beschränkt – womöglich mit der Begründung, dass es ja die erste sei: die Nummer eins. Die wichtigste von allen. Tatsächlich gibt es eine „wichtigste von allen“ – und zwar genau 24mal. Ohne Fehu kann nichts beginnen; ein Futhark ohne Fehu kannst du wegschmeißen – ob als Denksystem oder handwerkliches Set. Es ist unvollständig. Insgesamt unbrauchbar. Da können die restlichen 23 noch so schön und gelungen sein. Ohne die eine verkommen sie zur Dekoration – sowohl im Gehirn als auch in der Hand. Das gilt allerdings für alle anderen auch. Nicht nur für Fehu, sondern gleichermaßen für Uruz, Thurisaz, Ansuz und alle folgenden bis hin zu Othala und Dagaz. Erst alle zusammen ergeben ein sinnvolles Gefüge. Seine Komponenten sind höchst unterschiedlich, aber gleichwertig. Lass eine einzige Rune fehlen und das Ganze wird so nützlich wie ein Computer ohne Stromzufuhr.

      Wie ein Computer ist auch jedes Futhark ein künstliches Gebilde. Die Natur ist da weiter, aber die hat auch ein paar Milliarden Jahre mehr Erfahrung als wir. Ein Mensch bleibt ein Mensch, auch wenn einzelne Körperteile fehlen oder nicht zu gebrauchen sind. (Erschreckend viele kommen ja ohne Hirn zurecht, das heißt, ohne von dessen angeborenen Möglichkeiten nennenswerten Gebrauch zu machen, von so titulierbarem Bewusstsein ganz zu schwelgen – oder ohne Herz, womit ich jetzt nicht den Muskel meine… Das mag die Betreffenden nicht allzu anziehend für andere machen – aber es sind alles Menschen und bleiben immer welche: ebenso wie die ohne Arm, Bein, Leber, Auge oder was auch immer…) Wer Schach spielen kann, braucht nicht alle Figuren – das Spiel selbst bedingt ja ihr allmähliches Verlieren – es reicht, die Regeln zu kennen. Der Rest ist eine Frage der geschicktesten Anwendung. Das Futhark ist weder ein biologisches Wunderwerk, das selbst mit erheblichen Einschränkungen noch sein Potential entfalten kann, noch ein Kampfspiel, das auf ein bestimmtes Ergebnis zielt und dafür Verluste in Kauf nimmt, ohne die sich gar nichts bewegen ließe auf dem Feld. Die Funktionsfähigkeit des Älteren Futhark beruht auf der Verfügbarkeit seiner 24 Komponenten – und dem Verständnis ihres Zusammenhangs.

      Ein Futhark ist kein Alphabet, nicht nur wegen der ganz anderen Zeichenreihenfolge, sondern wegen der vielschichtigen Bedeutung der Zeichen, was entsprechend komplexere „Verschaltungen“ sowohl innerhalb als auch zwischen den jeweiligen Bedeutungsebenen ergibt. Runen lassen sich auch als Schreibschrift verwenden, aber lang nicht so gut wie Alphabete, die ausschließlich für diesen Zweck gedacht sind. Doch bereits ein Alphabet ist nicht mehr so gut zu gebrauchen, wenn ihm auch nur ein einziger Buchstabe fehlt – womöglich ein anderer als das (im Deutschen) noch relativ selten benötigte „Y“. Ohne „A“ oder „E“ wird es schon richtig ärgerlich. Je nach Anwendung kommen wohl auch einige Runen häufiger, andere seltener zum Einsatz. Doch letztlich benötigst du alle – auch wenn du vielleicht nur ein paar davon benutzt. Sie bedürfen der Vollständigkeit ihres Systems, weil sie zu ihm gehören. Aus ihm zieht jede einzelne Rune ihre Kraft. Das Ganze als eine Einheit schwingt immer mit… Ich betone das, weil ich den Effekt kenne – und auch für ganz normal halten darf –, dass jede und jedem zunächst einige Runen auf Anhieb „einleuchten“ oder „liegen“ – während sich zu manch anderen zunächst (oder auch für längere Zeit) kein persönlicher Zugang finden lässt. Das ging mir ganz genauso, und das nicht nur während der ersten Monate meiner Beschäftigung damit. Manche tieferen (oder höheren – einigen wir uns vielleicht auf „zusätzliche“) Bedeutungen einzelner Runen und Zusammenhänge gingen mir erst nach vielen Jahren auf, als ich schon längst so vertraut mit der Materie war, dass ich meinte, ich hätte den ganz großen Durchblick und nichts könne mich noch erstaunen. Von wegen! Bis heute erfasse ich von den Runen wahrscheinlich nicht mehr als Columbus von Amerika oder die nächstbeste Sternguckerin vom Weltall. Oder gar ein Psychologe vom echten Leben? Inzwischen glaube ich, dass es keine Grenze der Erkenntnis gibt – vielleicht eine des persönlichen Fassungsvermögens (öfter aber, meine ich, der entsprechenden Bereitschaft). Hier fast mit dem menschlichen Charakter vergleichbar, lässt sich gerade bei den Runen ein ganzes Leben lang Neues entdecken! Die Gleichwertigkeit der unterschiedlichen Kräfte hält das System in Balance, die Vielfältigkeit ihrer Wechselbezüge verschafft ihm eine reiche Tiefe.

      Mir beschreiben die Runen, wie die Welt funktioniert. Sie beschränken sich dabei auf wesentliche Wirkkräfte – und wie diese essentiellen Aspekte zusammenhängen. Die Art der Beschreibung ist vergleichbar mit einem Bauplan, einem Mischpult, einer Matrix. Alle Komponenten sind frei verschaltbar, doch diesen Verknüpfungsmöglichkeiten wohnt eine Systematik inne, eine interne Logik. Das macht die Erklärung so schwierig. Was ist zum Beispiel ein Radio? Ich kann einen Sender suchen und einstellen und dann zur Wiedergabe zum Beispiel den Klang beeinflussen, die Höhen etwas anheben oder den Bass absenken oder umgekehrt. Und dann sagen: So klingt das, so geht das. In deiner Wohnung (universeller: von deinem Standpunkt aus gesehen) aber findet sich derselbe Sender vielleicht ganz woanders auf der Skala oder nur Millimeter von der Erstposition entfernt – je nachdem. Vielleicht klingt auch die Sound-Einstellung, die in meiner Wohnung, oder meinen Ohren, am besten kommt, bei dir völlig unzulänglich und bedarf anderer Angleichung, um vergleichbare Wirkung zu erzielen – wenn die überhaupt gewünscht ist, da so viele weitere Varianten möglich sind. Mit den Runen ist es ganz ähnlich. Es gilt, das Grundsätzliche von den jeweiligen Ergebnissen unterscheiden zu lernen – die können nämlich, je nach „Parameterwahl“, sehr unterschiedlich ausfallen.

      Das macht Runen zu Werkzeugen, deren Wirksamkeit durchaus davon abhängt, wie damit umgegangen wird. Die Einsatzmöglichkeiten von Fehu richten sich nach deiner Fähigkeit, verfügbares Potential zu erkennen – oder solches überhaupt erst einmal zu denken und als Prinzip zu erfassen. Die Bedeutung der Rune auf Viehzeug zu beschränken, dürfte heute ebenso sinnvoll sein, wie mit Speer und Schild gegen eine Zahlungsaufforderung vorzugehen. Die Fixierung auf „Kapital“ oder sonst eine Erscheinungsform von Geld belässt die praktische Anwendung von Fehu weit hinter ihren Möglichkeiten. Solche Beschränkungen müssen allerdings keine Fehler sein, gegebenenfalls nicht einmal „Schwächen“. Es kommt auf den Anspruch an. Eine Gitarre wird nicht davon schlechter oder hört auf, ein Instrument zu sein, wenn ich sie nur zum Schrammeln von zwei oder drei Akkorden verwende. Es lässt sich jederzeit mehr damit machen, aber niemand wird genötigt, ihr sämtliche Töne zu entlocken, bloß weil es sie gibt. Auf meiner Tastatur tippe ich auch nur die Worte, die den passenden Text ergeben – und nicht etwa alle Tasten, die auf dem Ding zu finden sind. Letzteres ergäbe blödsinnigen Zeichensalat. Es ist jedoch von Vorteil zu wissen, wie sich Buchstaben zu sinnvollen Worten zusammenfügen lassen und wo sich die Zeichen dafür auf der Tastatur befinden, anstatt nur eine Anzahl von immergleichen Worten tippen zu können. Letzteres tut natürlich kein Mensch. Aber Magieausübende verhalten sich hin und wieder gerne so. Da es in der Magie keine Tastatur gibt, fällt die Reduktion nicht so auf. Das Prinzip ist aber ähnlich. Bei den Runen ebenso.

      Fehu hat den Lautwert F. Statt lange darüber nachzudenken, ob die Schrägstriche des Zeichens die Hörner des Viehs symbolisieren oder nicht, empfehle ich, lieber über das Potential nachzusinnen. Schau dir deine Hände an. Sind sie nicht welches? Nicht nur, aber auch! Was kannst du alles damit tun? Gleiches