VirOS 4.1. Alexander Drews

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Название VirOS 4.1
Автор произведения Alexander Drews
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783957770967



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      Alexander Drews

      VirOS 4.1

      © 2017 Begedia Verlag

      © 2016 Alexander Drews

      Umschlagbild – Begedia

      Lektorat, Satz und ebook-Bearbeitung – Harald Giersche

      ISBN-13 – 978-3-95777-096-7 (epub)

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      Prolog - Montag, 4. Dezember 2017

      Als wolle er dem grauen Novemberhimmel drohen, ragte an diesem Tag der anthrazitfarbene Turm der Hamburger Nikolaikirche in die Höhe. Dabei war er längst zu einer beliebten Tourismusattraktion geworden. Der Förderkreis der Nikolaikirche hatte vor zehn Jahren einen Aufzug in Hamburgs höchsten Kirchturm einbauen lassen, einen Aufzug, der zu einer Aussichtsplattform in fünfundsiebzig Metern Höhe führte, von der sich ein phantastischer Rundumblick über Hamburg bot. Und genau dieser Aufzug war es, der dem alten Mahnmal, das aus einem filigranen, gotischen Turm und den Resten des 1943 von britischen Bombern zerstörten Kirchenschiffes bestand, neues Leben eingehaucht hatte.

      Mit seiner gläsernen Kabine bot der Express-Lift den Passagieren allzeit einen spektakulären Anblick und bereits, wenn man in ihm nach oben schwebte, machte sich in einem das Gefühl breit, ganz neue Eindrücke von dieser Stadt zu gewinnen.

      Heute allerdings schauten die wenigen Touristen, die sich bei diesem Wetter auf die Plattform gewagt hatten, nur auf eine regennasse Stadt, vor allem aber auf eine sich aus dem Westen nähernde unheimliche schwarzgraue Wolkenfront.

      Längst umtoste der Wind die Besucher, ließ sie Krägen hochschlagen und Mützen bis über beide Ohren ziehen. Aber das half weder gegen die Kälte noch den Nieselregen. Und als der Wind schließlich zum Sturm wurde, der durch die Säulen und Streben drückte, hielt es niemanden länger als nur ein paar Minuten auf der Plattform.

      Fotoapparate klickten und Handys machten im Eiltempo Schnappschüsse, obwohl auf den Bildern nur ein unwirtlicher Himmel und eine regennasse Stadt zu sehen sein würde. Zwar wurden auch ein paar Selfies geschossen, dann aber hatte auch der Standhafteste aus der Gruppe genug. Durchgefroren und durchnässt sammelte man sich um das Fahrstuhlportal und wartete zitternd darauf, dass die Türen sich öffneten und der Aufzug einen wieder mit nach unten nahm.

      Vor dem Hinauffahren hatte niemand den schmächtigen Mann gesehen, der allein unten in der Mitte der Ruinen stand und jetzt zu ihnen hinaufblickte - und falls ihn jemand gesehen hätte, so hätte er ihm keine Beachtung geschenkt. Denn der Mann, der in seinem Wintermantel wie eine graue Statue wirkte, schien auch nur ein Passant zu sein, der den Nicolai-Turm bewunderte.

      Nur, dass er eben kein Passant war.

      Und auch nicht den Turm bewunderte, sondern wartete.

      »Na, du bist ja immer noch da!«

      Er fuhr herum und sah in das Gesicht seines Kollegen, der ihn vor fünfzehn Minuten am Eingang zum Turm abgelöst hatte.

      »Oh«, Tim nahm beide Hände hoch. »Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.«

      »Schon gut«, stieß er hervor. »Ich war nur gerade in Gedanken.«

      »Hätte ich mir denken können«. Tim lachte. »Du stehst wirklich so steif rum, als wolltest du selbst zu einem Denkmal werden.«

      »Ja, hm, manchmal führt ein Gedanke einen eben zum anderen und dann immer so weiter. Nichts mehr los, wie?«

      »Klar, bei dem Wetter? Und um diese Uhrzeit?«

      Tim rollte demonstrativ mit den Schultern. Wie immer bei solchem Wetter trug er seine dicke Lammfelljacke, die so aussah, als würde sie seit Jahren als Kleinstlebewesenbiotop fungieren.

      »Und? Über was denkt man denn so nach bei so nem Wetter?«

      »Über Linux.«

      Tim prustete los. »Du stehst hier in der Kälte, um über Computer nachzugrübeln? Dann bist du ja echt voll der Nerd, weißt du das?«

      Er sagte nichts. Stattdessen schaute er zu, wie der Aufzug nach unten fuhr. »Tim?«

      »Ja?«

      »Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, dass es immer die Größten sind, die auf die Knöpfe drücken?«

      Tim warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Wie bitte?«

      »Ich meine, da oben zum Beispiel. Ich wette mit dir, dass der, der den Knopf gedrückt hat, der Größte gewesen ist. Es ist immer der Größte, der den Knopf drückt.«

      »Hab ich mir noch nie nen Kopf drüber gemacht, ehrlich gesagt.«

      »Sollten wir aber. Schließlich sind wir beide ja nicht gerade Riesen. Hat es dich nie genervt, wieso immer die Großen auf die Knöpfe drücken dürfen und niemals du?«

      Tim sah ihn an, als keimte in ihm der Verdacht auf, es mit einem Geisteskranken zu tun zu haben. »Ist alles okay mit dir?«, fragte er, jedes Wort langsam aussprechend.

      »O ja!« Er sah wieder zum Turm hoch. Der Fahrstuhl war inzwischen auf halber Höhe.

      »Alles bestens!«

      Er lächelte.

      Und er hatte alles im Griff.

      Was die Fahrstuhlinsassen genau sechs Sekunden später zu spüren bekamen.

      1. Kapitel - Dienstag, 5. Dezember

      Soledad klopfte leicht an das Glas.

      Natascha schrak auf und kurbelte die Scheibe ihres Uralt-Wohnmobiles herunter. »Ach, du bist ein Engel«, seufzte sie und nahm den dargeboteten Pappbecher mit dem heißen Kaffee dankbar an. »Willst du nicht reinkommen?«

      Soledad schüttelte den Kopf. »Lieber nicht.« Sie deutete auf die Aral-Tankstelle, die gegenüber von Nataschas Liebesmobil auf der anderen Straßenseite lag. »Zigarettenpausen sind das eine, aber wenn mein Chef sieht, dass ich die auch noch im Warmen und Trockenen verbringe, streicht er mir die glatt. Raucher sollen gefälligst leiden, wenn sie ihrer Lust frönen.«

      Natascha runzelte die Stirn: »Aber du rauchst doch gar nicht.«

      »So? Wer sagt das?«. Soledad griff in ihre Kitteltasche und zog ein Päckchen Kaugummizigaretten hervor, von denen sie sich eine zwischen ihre vollen Lippen steckte. »Auch eine?«

      »Nein, danke«. Natascha grinste. »Ich hab keinen Chef, dem ich was vortäuschen müßte, um eine Pause zu kriegen. Ich täusch auch so schon genug vor.«

      Soledad sah zur Windschutzscheibe, vor der eine rote Herzchengirlande hing. Heute abend würde sie blinken, aber momentan wirkte sie genauso lustlos wie alles andere auch, wie der graue Dezembertag, die kahlen Bäume, das an einigen Stellen schon angegrünte Wohnmobil und der leere, pfützenübersäte Platz daneben - der keine frischen Reifenspuren aufwies.

      »Nicht viel los, was?«

      Natascha hob die Arme über ihre blondgefärbten Haare und machte eine theatralische Geste, bei der Soledad erst einen Augenblick später erkannte, dass sie wohl Regen darstellen sollte.

      »Bei dem Wetter? Da fährt doch jeder lieber gleich nach Hause. Ich hoffe ja auf heute abend, vielleicht braucht da dann noch einer eine schnelle Feierabendnummer. Ansonsten ... sieht es eher düster aus. Wann machst du denn heute Schluss?«

      Soledad seufzte. »Um fünf.« Das waren noch geschlagene vier Stunden, in denen sie hinter der Kasse stehen und Benzinverkäufe abrechnen würde. Und zwar durchgehend, denn eine weitere Zigarettenpause gab es nicht. Sie zog an ihrer Kaugummizigarette und hielt sie dann demonstrativ in ihrer rechten Hand, während sie weitersprach. Falls ihr Chef von der Tanke rüberschauen würde, sollte er sehen, was er zu sehen erwartete. »Dann noch schnell einkaufen und Lisa vom Kindergarten abholen und ... tja, das war es dann auch. Und du?«

      Natascha deutete auf ihr Tablet, das auf dem Beifahrersitz lag. »Ich surf eben so im Internetz herum.