Drei Erzählungen von Christiane Benedikte Naubert in einer Transkription von Sylvia Kolbe: "Die Warnerin. Eine Geschichte aus dem dreißigjährigen Kriege.", "Die weiße Frau" und "Herzog Christian von Eisenberg oder: das eisenberger Gespenst". Christiane Benedikte Naubert

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ausgenommen der Vorzeichen, welche wol nicht allerdings zu verwerfen seyn möchten. Sagte dies diesmal ohne Absicht, als meiner innern, wahren Herzensmeynung, wolt auch schon Exempel hinzuthun, als wir hart an der Stadt Feldmark20, von einem heftigen Platzregen überfallen, genöthigt wurden, Obdach zu suchen. Hatten aber der Leipziger Flammen gewütet bis hieher, und war kein Obdach zu finden, als ein einzig klein weiß Häuslein, auf welches der Feldherr mächtiglich zuschritt. Ich folgte nach Vermögen, aber unsere wenigen Leute, dem Herrn nacheilend, hatten mir schon den Vorsprung abgewonnen, so daß ich tüchtig durchnäßt eintrat; schier als jene dem Grafen sich nach, wie im Getümmel, hineingedränget hatten.

      Ich trete ein, und, Kinder! was erblick ich! Hifs Gott! das ist ein Beinhaus21! nichts, als weißgebleichte Schädel rings umher, und dem Eingang gegenüber grinzt ein groß, riesenhaft aufgestellt menschlich Beingerüst uns entgegen. Ich schaue mich um nach dem Grafen, der steht unter seinen erschrockenen Leuten, hart an die Wand gelehnt, bleich, athemlos, mit festgeschlossenen Augen.

      Mein General! rufe ich, und springe erschrocken hinzu. Er aber schüttelt geschloßner Augen das Haupt, und winkt nach dem Auswege. Eilig bringt man ihn hinaus, und ich, mit Arzneyen, die ich allezeit bey mir trage, und Hülfe des herabströmenden Regens, bringe den alten Helden endlich völlig zur Besonnenheit.

      Inständig bat ich, als er Mund und Augen wieder öffnete, das verlaßene Schirmdach wiederzu suchen: aber er wehrte mit der Hand, wolt auch davon nichts hören, so daß ich, zusammengenommen mit einigen ihm entfallenen Worten, klärlichen22 ersehn, das Todtenbild hab ihn als Vorzeichen erschreckt, und wären meine vorbedachte und unbedachte Worte nicht verloren gegangen.

      Ich war wol selbst etwas entsetzt, maßen mir aus der Lucardis Reden zwar so viel klar war, daß dem alten Grafen hier ein Schrecknis erwartete, von welcherley Art aber war mir verborgen; und hatte mich, die reines Gewißens, der Anblick des Todtenbilds mit heimlichem Schauer erfüllt, wie viel mehr diese blutbelastete Seele! Waren hier unvorhergesehene Dinge viel würksam gewesen, den heimlichen Anschlag zu begünstigen, von des schwarzen Reuters Erscheinung bis auf den Regen, der uns in das Todtenhäuslein jagte, das zwar schwerlich auch ohne diesen, von dem fürsichtigen General unbesichtigt blieben wäre, so die Lucardis wol denken konnt.

      Ich hatt indessen sogleich einen der Leute nach dem Dörflein gesandt, wo wir den Wagen gelassen hatten, solchen herbeyzuholen, leiteten indessen wir andern den Grafen langsam am Wäldlein hin, weil ich das Gehen für ihn dienlicher hielt, als das Ruhen auf nasser Erde.

      Er sprach kein Wort, verharrete immer bleich und zitternd, so daß mich jammerte seiner hohen Jahre, und ihm unabläßig das Gläslein vorhielt, ihn zu laben, ihm auch die Schläfe gerieben mit der Kräuter starkriechenden Säften.

      Endlich jagte der Wagen daher, und der Ermattete gewann Kräfte, unterstützt allein von mir einzusteigen, da ich dann mich eilig ihm nach hineinwarf, an seine Seite, dem Führer gebietend nun zuzujagen.

      Die Pferde gingen in Flüchten davon; und quer über den Weg, ihnen beynah in die Zügel, stürzt ein Reuter aus dem Walde, schwarz gerüstet mit bleichem Todtengesicht. O konnte, konnt ich ihn verkennen? Nein! es war der Fritz! Wilde Verzweiflung aus seinem Gesicht, und ein Blick fiel aus seinen hohlen Augen auf mich, den ich nimmer, o nimmer vergeße.

      Wie? Lilienström! so solt ich dich wiedersehen? War dies ein Blick der Liebe? Warst du's vielleicht nicht selbst? Wars nur dein Geist, mich zum Tode zu mahnen? Fast sinnlos sank ich zurück, so daß nach einer Weile mich der General zuerst ansprach: Nun, Jungfrau, sagte er, wo ist euer Muth? ich halte23, das Todesbild hat auch euch gar mächtig ergriffen. Mein Herz ist rein! entgegnete ich mit schwacher Stimme. Aber das meine? erwiederte er. Und ich mich schnell besinnend, was hier mir zu thun sey nach meiner Verabredung mit Leipzigs Retterin, fuhr fort: Ist das Herz des Feldherrn nicht rein von vergangener Schuld, so kann er es wenigstens rein erhalten vor künftiger.

      Er, mich zorniglich anschauend, sagt: Ich frage, was eure Gedanken sind, von jener Erscheinung?

      Ein Zeichen, antwortet ich achselzuckend; ein Zeichen ists allemal!

      Und von was?

      Der große Tilly wird hier nicht glücklich seyn!

      Was groß, schrie er, wenn mirs gegen dieses Nest fehlen solte! Hab Magdeburg gewonnen, und wol noch andre!

      Ein jeder Held, antwortet ich, hat noch ein Ziel gefunden, wo er aufhörte, groß zu seyn. Wohl ihm, wenn er beherzigte die Zeichen der Zeit, und sich warnen ließ!

      Er hieß mich hier abermal schweigen, hat auch des ganzen Wegs über kein Wort mehr gesprochen, als am Ende: Ich solte nicht etwa glauben, daß er sich vor dem beinern Mann entsetzet habe, ihn habe blos Erhitzung und Regen etwas machtlos gemacht! Hat auch seinen Dienern verboten, von dem ganzen Vorgang etwas zu entdecken. Des schwarzen Reuters gedachte er gar nicht, und ich, die etwa ein Unglück im Hinterhalt lauernd besorgte24, ihn darob mit Zittern befragend, bekam zur Antwort: Mußt nicht bang seyn, Margaretha! bist sonst so fest! ist etwa ein Schatten gewesen der kommenden Nacht, wie ich das mehr erlebt an unheimlichen Orten. Sahe also wol, daß der Feldherr nicht frey war eines Glaubens, der meinem Fritz zu gut kam und mich einigermaßen tröstete.

      Was dieser Dinge Wirkung auf sein Gemüth nun seyn mochte, so ist doch dies wahr, daß er von nun an abstand von Belagerung der Stadt. Zog sich zurück bey zwey Stunden Wegs, und lagerte sich bey einem Walddörflein, dessen Namen ich vergessen, hinter einer Reihe Hügel, der Stadt den Rücken kehrend, den Schweden entgegen, die immer mehr anrückten.

      Ließ mich des andern Abends zu sich kommen, sagend: Jungfrau, ihr habt wohlgerathen; die Retter jener Stadt, die der Tod bewachte, waren zu nah.

      Ich konnte wenig hierauf antworten, beurlaubte mich auch kurz, maßen ich diesen Gang über Vermögen gemacht, und nach Hause eilen mußt, um mich zu legen; denn, hilf Gott, ach hilf Gott, welche Nachricht hatte ich beym Heimkehren von der Lucardis erhalten! – Ja ja! ihr Anschlag war gelungen, Leipzig war gerettet, welches ich ihr und der guten Stadt wol nicht mißgönne, aber mein Glück, mein ganzes Glück war dahin!

      Kurz vorher, ehe ich an des Feldherrn Seite von jener Farth zurückkam, läßt sich bey der Lucardis ein Fremder melden, tritt auch sogleich der anmeldenden Dienerin nach; eine Riesengestalt, fast schrecklich anzusehn. Es war mein Lilienström. Jungfrau, ruft er, man sagt, ihr seyd der Fuggerin Gefreundte; rathet ihr, daß sie vom Bösen ablaße. Ein Mann, der sie im Herzen getragen und ihr nun entsagt, hat sie wol mehr zweifelhaft, aber heut ganz schimpflich erfunden25. Hat ihr nun vorgemahlt meine Vertraulichkeit mit dem alten Grafen, meine Besorgnis um ihn, und alles aufs schnödeste gedeutet, sogar bis auf den kaiserlichen Mantel und Hut, die mich jedoch, wie er grausamlich hinzugesetzt, nicht so unkenntlich gemacht, als mein geändertes Leben, das mir auf Stirn und Wangen geschrieben stünd.

      O meine Lucardis! Dank dir, daß du, du Zeugin meines heimlichsten Wandels, du Zeugin selbst meiner Gedanken, ihn, der sich schnell entfernen gewolt, nicht von dir gelaßen, bis du ihm das Verständniß geöffnet über all mein Thun und Wesen! Hättest, o hättest du nur ihm dies Eine verschwiegen, wie auch ich ihn immer im Herzen getragen, und mich in allem nur seiner getröstet! Dies, ja dies verschlimmert alles, denn nun wird er mich ewig nicht achten!

      So klaget ich damals: jetzt weiß ichs anders! Halb und halb von meiner Unschuld überzeugt durch der Freundin mächtige Worte, hatte die Entdeckung, wie unaussprechlich lieb er mir sey, meine Entschuldigung schier ganz vollendet, (durch welche Art zu schließen, das ist Gott bewußt;) er hat mirs nachmals gestanden.

      Gegen Lucardis äußert er damals nichts hieven. Jungfrau, hat er gesagt, ich gehe, wohin mich der Tod ruft. Alles setze ich dran, um den Wüterich zu tödten, der sich des Liebsten anmaßt, das ich hatte. Ich gehe zu Grunde, das weiß ich, beym Angriff des zehnfach Bewachten in offener Schlacht: aber ich sterbe vergnügt, befreye ich die Jungfrau und das Land von einem Ungeheuer.

      Ich legte mich diesen Abend krank zu Bette. Vom Geräusch der Schlacht, die in wenig Tagen geliefert wurde, vernahm die scheidende Seele gar wenig, obgleich der vielpfündigen Kugeln gnug in unser Dörflein gefallen sind; mir hat alles vorgeschwebt als im Traum, und hab ich die bey meinem Lager angstvoll ab- und