Sjoerd Gaastra 1921-2013. Detlef Gaastra

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Название Sjoerd Gaastra 1921-2013
Автор произведения Detlef Gaastra
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783960083177



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der Krieg und die Besatzungszeit schon einige Jahre zurück lagen. Je größer der zeitliche Abstand wurde, je größer wurden die Heldentaten. Was auch ermöglicht wurde, weil Zeitzeugen, die dazu etwas hätten sagen können inzwischen das zeitlich gesegnet hatten.

      Mein Vater hat dann einen langen Schrift- und Nervenkrieg für seine Mutter geführt. Der Tenor war, die Antragstellerin war, im Gegensatz zu ihrem Mann gänzlich unpolitisch und auch nicht in der Nazipartei. Als „rechtlose“ Ehefrau hatte sie gehorsam zu folgen, wohin auch immer der Ehemann hin ging. Schließlich war ihr dass in dem calvinistischem Elternhaus eingebläut worden. Untermauert wurde das mit der Umsiedlung nach Indonesien und der nicht gewünschten Rückkehr nach 12 Jahren in eine ungewisse Zukunft. Der Frau die Unterstützung zu versagen hieße sich mit den Nazis auf eine Stufe zu stellen und eine Sippenhaft zu verfolgen. Letztendlich bekam meine Großmutter eine minimale Rente bewilligt, und sogar eine Nachzahlung für mehrere Jahre. Davon konnte sie sich dann dringend benötigten Hausrat und Wäsche kaufen und das Mobiliar vervollständigen. Als äußerster Luxus wurde ein Radio angeschafft.

      Interessant ist, dass die Bemühungen meines Vaters wegen der Rente für seine Mutter von seinem Großvater dokumentiert wurden. Mein Urgroßvater hatte über meinen Vater ein Dossier angelegt, das von mir im Familienarchiv aufgefunden wurde. Der Schriftwechsel meines Vaters war als Maschinenabschrift vorhanden, obwohl mein Vater mangels einer Schreibmaschine alles handschriftlich verfasst hatte. Ich habe mit meinem Vater darüber gesprochen, der erschüttert war, dass er von seinem Großvater bespitzelt wurde.

      Im Jahre 1958 ist meine Großmutter umgezogen, in ein Reihenhaus mit Garten in einer von der Gemeinde errichteten Neubausiedlung, und das nur weil das Wohngebiet als gesundheitsgefährdend eingestuft, und der Slum von der Stadt beseitigt wurde. Das neue Haus war für sie ein Palast, ein Wohnzimmer, drei Schlafzimmer, ein Bad, eine separate Toilette und eine richtige Küche. Dazu noch einen separaten Abstellraum für Kartoffeln, Kohlen und Fahrräder. Zu dem Zeitpunkt wohnten aber noch vier ihrer Kinder bei ihr. Ein Schlafzimmer bewohnten die drei Töchter, ein Schlafzimmer der inzwischen verheiratete jüngste Sohn mit seiner Frau. Wohnraum war noch immer knapp. Bis kurz vor ihrem Tode hat sie in dem Haus wohnen können.

      Die finanzielle Lage meiner Großmutter hat sich nicht nachhaltig gebessert. Als sie Witwe wurde, war sie erst 44 Jahre alt, also noch ein Alter wo sie eine Arbeit hätte aufnehmen können, wenn sie denn eine entsprechende Ausbildung gehabt hätte. Wegen der Malariaschübe war sie als Arbeitnehmerin unzuverlässig. Sie wäre krankheitsbedingt häufig ausgefallen. Meine Großmutter verdiente sich ein paar Gulden als Betreuerin für alte Damen, wo es nicht so wichtig war, dass sie regelmäßig erscheinen musste. Die Arbeit wurde dafür auch nicht entsprechend bezahlt. Sie konnte keine großen Sprünge machen, aber von unschätzbarem Wert und geliebt wurde sie von ihren zahlreichen Enkelkindern. Denen kam die „unkonventionelle“ Haushaltsführung entgegen. Für die meine Mutter als reinliche Bielefelderin einen anderen Ausdruck gehabt hätte.

      Als mein Großonkel 2005 verstarb wurde ich offiziell Familienoberhaupt und hatte Zugriff auf das Familienarchiv. In dem Jahr vor seinem Tode haben wir viel miteinander telefoniert und ich wurde in eine Menge Interna eingeweiht, die nicht belegt, oder beweisbar sind. Mit Beginn meines Ruhestandes habe ich mich dann intensiver mit der Familie befasst und Kontakte weiter gepflegt, die mein Großonkel geknüpft hatte. Unser Zweig ist nicht nur über die ganze Niederlande verstreut, sondern hat auch einen Ableger in Bonn (von unseren Stamm und mir der einzige Gaastra in Deutschland, obwohl es hier mehrere gleichen Namens gibt). Weitere Zweige bestehen in Belgien, Canada, Tasmanien und auf den Philippinen. Auch zu meinen Vetter Andries in Heerenveen habe ich einen engen Kontakt und ihn regelmäßig besucht. Einmal sogar mit meinem Vater, weil er den unbedingt kennenlernen wollte. Diese Visite war meinem Vater sichtlich unangenehm. Das Warum haben wir nicht geklärt.

      Wenn ich meinen Vater in Bielefeld versorgen musste, hatten wir ja viel Zeit miteinander zu reden, aber noch längst nicht alles beredet. In dieser Zeit habe ich viel über seine Erlebnisse während des Krieges erfahren, andere Dinge wurden ausgeblendet, obwohl er offiziell über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügte. Viele Fragen hätten noch besprochen werden können, weil wir glaubten, noch genügend Zeit vor uns zu haben. Es war nicht absehbar, dass er das Gespräch mit mir plötzlich abbrechen würde. Aber der Grund ist verständlich.

      Bein unseren Besuchen in Leeuwarden hat mein Vater regelmäßig das Grab seiner Eltern besuch. Das Grab seiner Großeltern, das nur einen Steinwurf entfernt war, wurde von ihm nie besucht.

      Sjoerd Gaastra (bitte nicht als Ö, sondern als U aussprechen) wurde am 13. November (einem Sonntag, also ein echtes Sonntagskind) in Leeuwarden der friesischen Provinzhauptstadt geboren. Als er 1 Jahr alt war, folgte er mit seiner Mutter seinem Vater nach Java, der dort eine Anstellung bei der Kolonialeisenbahn gefunden hatte. Kinder mussten das erste Lebensjahr vollendet haben, bevor sie nach Niederländisch Indien, dem heutigen Indonesien, reisen durften.

      Dieses ist das erste Foto des Sjoerd Gaastra und zeigt ihn mit seiner Urgroßmutter Marie (Maaike) Wempe-Houkstra (1848 – 1938) in friesischer Tracht mit goldenem Ohreisen, die seinen Vater verzogen hatte. Durch dieses Bild wurde mein Vater zum ersten Mal Objekt einer Familienauseinandersetzung. Seine Großeltern väterlicherseits wollten dieses Foto verhindern. Angeblich würde das ein hässliches Bild geben, denn für das kleine Kind, hätte die Oma viel zu große Hände. Der wirkliche Grund war aber, dass verhindert werden sollte dass die alte Dame und heimliche Herrscherin über die Familie, eine zu enge Bildung an der Urenkeln bekommen könnte. Schließlich war der Stammhalter eher ein Bastard, der von der falschen Frau zur falschen Zeit geboren wurde. Verhindert werden konnte das Foto nicht, denn die Dame war sehr vermögend und die Tochter gierte nach diesem Fleischtopf. Auf dem Rückweg von der Schule führte der Weg meines Vaters immer an dem Altersheim seiner Urgroßmutter vorbei, und er besuchte seine Urgroßmutter jeden Tag bis kurz vor ihrem Tode. Dort bekam er eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen und auch andere Süßigkeiten. Von seiner Großmutter hat er Süßigkeiten selten bekommen. Zuhause schon gar nicht.

       Vor der Abreise nach Indonesien.

       Das sogenannte „Hochzeitsfoto“

      Die nächsten 11 Jahre verbringt die Familie dann auf Java, wo sein Vater häufig versetzt wurde. Er lernt die Insel vom heutigen Djarkarta bis Surabaya, von wo aus die Familie in die Niederlande zurückreist, kennen und lieben. Java wurde seine wirkliche Heimat. Unterbrochen wurde die javanische Zeit nur von einem halbjährigem „Heimaturlaub“ in Friesland, bevor er in die Schule musste. In Indonesien wurden seine zwei Brüder, Albert, Joopi und seine Schwester Mippi geboren. Als sein Bruder Albert geboren wurde, war er bereits 4 Jahre alt und wurde durch den Altersvorsprung früh mit der Beaufsichtigung seiner Geschwister beauftragt. Wenn sein Vater am Sonntag seine Ruhe haben wollte, dann schicke er seinen Ältesten mit den jüngeren Geschwistern zum Bahnhofsgebäude um zu sehen wie spät es dort ist. Noch im Alter hat er sich darüber geärgert, seinem Vater auf den Leim gegangen zu sein. Über ein Familienleben ist mir wenig bekannt und mein Vater hat mir auch wenig darüber erzählt.

      Wie in den Familien der Kolonialbeamten üblich wurden die Kinder von einheimischen „Babus“ betreut und versorgt. Für die Hausarbeiten stand reichlich Personal zur Verfügung. Meine Großmutter als eine typische friesische Bauerntochter mochte nicht gerne untätig sein und betrieb darum einen Handel mit Brennholz und ein Taxiunternehmen mit mehreren Autos. Die Stellplätze vor dem Bahnhof wurden von dem Bahnhofsvorsteher vergeben, also von ihrem Ehemann. Meine Großmutter verdiente so ein Vielfaches mehr als ihr Mann.

      Mein Vater beklagte sich darüber, dass er nach der Schule nie mit seinen Freunden spielen konnte weil immer ein Chauffeur, also einer der Taxifahrer, vor der Schule stand um ihn abzuholen. Darum lehnte er es auch ab mich zur Schule zu bringen oder