Sjoerd Gaastra 1921-2013. Detlef Gaastra

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Название Sjoerd Gaastra 1921-2013
Автор произведения Detlef Gaastra
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783960083177



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Familienoberhaupt durfte nicht von den Stammeltern entfremdet werden.

      Auch äußerlich war an meiner Großmutter nichts auszusetzen, wie auf den wenigen erhaltenen Fotos zu sehen ist. Im Vergleich macht meine Großmutter auf mich einen angenehmeren Eindruck als mein Großvater. Aber das ist wohl nicht gerecht und subjektiv von mir empfunden.

      Die bäuerliche Herkunft spielte in der Besatzungszeit natürlich keine Rolle, im Gegenteil, es wurde bei der Familie Westerbaan eifrig antichambriert, denn bei den Bauern waren Lebensmittel wie Milch, Käse und Butter immer reichlich vorhanden. Zur Ehrenrettung meiner vaterseitigen Urgroßeltern sollte ich aber nicht unerwähnt lassen, dass sie 2 jüdische Familien vor der Vernichtung bewahrten, für die auch Lebensmittel beschafft werden mussten. Es ist nicht auszuschließen, dass darum über den eigenen Schatten gesprungen wurde um bei der ansonsten ignorierten Bauernfamilie zu betteln. Vielleicht war den Westerbaan die Hilfe für die jüdischen Mitbürger bekannt und darum auch eine entsprechende Hilfsbereitschaft vorhanden. 1946 war das dann wieder vergessen. Mein Vater wurde in seinen letzten Lebensjahren auch von gelegentlichen Gedächtnislücken befallen, wenn sie ihm nützlich waren.

      Aber was half es, alle Vorsichtsmaßnahmen die Liebenden zu trennen nutzten nichts, es wurde geheiratet. Das heißt es musste geheiratet werden. Nur war der Bräutigam nicht mehr vorhanden, denn der schwamm auf dem Meer Indonesien entgegen. Meine Großmutter wurde von ihrem Vater des Elternhauses verwiesen, schwanger und nicht verheiratet sprengten die Grenzen der christlichen Nächstenliebe. Wie der Name schon richtig sagt heißt es ja auch „Nächsten“-Liebe, also nicht zu der Naheliegenden. Meine Großmutter brachte ihren Sohn im Hause ihrer Schwester zur Welt, die zur gleichen Zeit mit ihrem zweiten Kind schwanger war. Es kam zur Ferntrauung, in den Niederlanden wird das als „Trauung mit dem Handschuh“ bezeichnet. Die Organisation zog sich hin, denn Telefon und Fax gab es zwischen Kolonie und Mutterland nicht. Die Schiffspassage dauert 4 Wochen, entsprechend lange der Informationsaustausch mindestens 2 Monate. Zu einem vereinbarten Zeitpunkt erschienen die Brautleute vor einem Standesbeamten, auf einem Stuhl lag stellvertretend ein Herren, bzw. Damenhandschuh. Als Trauzeuge vertrat der jüngste Bruder seinen Schwager und sprach das „Ja-Wort“, die Brauteltern und der Rest der Familie war der Zeremonie fern geblieben. Die verpasste Hochzeit wollten meine Großeltern mit ihrer Silberhochzeit nachholen. Dazu kam es aber nicht weil mein Großvater zwei Jahre vorher verstarb. An der Hochzeit ihres ältesten Sohnes konnte meine Großmutter nicht teilnehmen, weil die Heirat in Friesland nicht bekannt geworden war. Sie hoffte dann wenigsten die Silberhochzeit meiner Eltern zu erleben, aber auch das war ihr nicht vergönnt. Zur Hochzeit gab es zwei Geschenke, die von meiner Großmutter wie Augäpfel gehütet wurden. Von ihren Eltern bekam sie einen Messingwandleuchter, der aus dem Hause ihrer Großeltern stammte, also nichts gekostet hatte aber doch ein Stück mit Bedeutung war. Der Leuchter ist Teil des Fideikommis und befindet sich in meiner Obhut. Von den Geschwistern wurde ein Geneverset geschenkt. Manufaktur Gouda, 1920. Das Set bestand aus zwei Krucken für alten und neuen Genever, klein und groß, und einem Tablett. Bei der Verteilung des Nachlasses wurden die Stücke unter den drei Brüdern aufgeteilt, der große Bruder bekam die große Krucke, der kleine die kleine Krucke. Der Mittlere das Tablett. Mit der Auflage einer späteren Zusammenführung in den Fideikomis.

      Auf Java angekommen musste meine Großmutter erfahren, dass sich ihr Mann mit einer Geschlechtskrankheit infiziert hatte, deren Behandlung langwierig war und das dazu führte, weiterer Nachwuchs auf sich warten ließ. Nach vier Jahren kam das zweite Kind zur Welt, Sohn Albert. Der dritte Sohn Johann und die Tochter Mippi wurden noch in Indonesien geboren. Die Töchter Saapke und Maaike wurden in Friesland geboren. Mein Vater hatte eine vage Erinnerung daran, dass es wohl auch einige Fehlgeburten gegeben hat.

      Über die Zeit in Indonesien berichte ich in dem Kapitel über die Jugendjahre meines Vaters. Nach der Rückkehr aus Indonesien setzte sich die Abwärtsspirale in Bewegung und es begann für meine Großmutter eine entbehrungsreiche Zeit, die nicht nur den politischen und wirtschaftlichen Umständen geschuldet war. Die Familie war inzwischen auf 8 Personen angewachsen und meine Großmutter hatte damit alle Hände voll zu tun und keine Zeit und Gelegenheit für eigene Aktivitäten oder geschäftliche Betätigungen. Zusätzlich war sie noch mit der Malaria infiziert, wodurch sie oft aufs Krankenlager geworfen wurde. Mit dem Aufenthalt in Bielefeld war dann der Tiefpunkt erreicht. Die Malariaschübe wurden durch den gesundheitlichen Allgemeinzustand immer häufiger. Mit dieser Krankheit konnte in Bielefeld niemand umgehen, weder die Nachbarn, noch die sozialen Hilfsdienste. In Friesland war das anders, denn viele Familien hatten Indonesienheimkehrer und denen waren der Krankheitsverlauf und der Umgang damit bekannt. In Indonesien war die Krankheit nicht der Rede wert, denn die Erkrankten lagen im Bett und warteten auf das Ende der Fieberattacke. In der Senne trug mein Vater die Hauptlast und war damit überfordert. Von dem despotischen Vater war keine Unterstützung zu erwarten, die Schwestern waren zu jung. Die beiden Brüder machten eine Lehre und hatten sich dem Einfluss des älteren Bruders entzogen. Die „Braunen Schwestern“ wurden zur Hilfe gerufen, aber kapitulierten. Als bei meinem Großvater Hodenkrebs diagnostiziert wurde, war es klar Familie Gaastra in die besetzten Niederlande abzuschieben. Mein Vater war inzwischen volljährig und konnte in Bielefeld bleiben. Albert brachte seine Geschwister zu seiner Tante, der Schwester der Mutter, die immer wieder der Notnagel war. Meine Großeltern folgten einige Wochen später, im Oktober 1943. Auf der Rückreise wurden sie während eines Bombenangriffs auf dem Dortmunder Bahnhof bestohlen. Mit nur zwei Koffern erreichten sie schließlich Heerenveen, wo die Bahnlinie wegen kriegsbedingter Beschädigung endete. Meine Großmutter lieh sich bei einem Bauern eine Schubkarre, legte die beiden verbliebenen Koffer hinein und ihren todkranken Mann in Decken gehüllt auf die Koffer und machte sich bei schlechtem Wetter auf den Weg in das 64 km entfernte Leeuwarden, damit der in seiner Heimatstadt, wie es sein Wunsch war, sterben konnte.

      Bei allen Widrigkeiten und Demütigungen kam eines für meine Großmutter absolut nicht infrage, eine Trennung oder Scheidung. Darum kam sie auch mit ihrer Schwägerin nicht zurecht, mit der sowieso eine offene Rechnung wegen des Versuchs ein Zusammensein der Liebenden zu verhindern bestand. Mit einer Scheidung, die darauf basierte, dass ein Vermögen gemeinsam ausgegeben wurde um kurz danach eine neue lukrative Ehe einzugehen, war die Dame für meine Großmutter gestorben. Dass sich meine Mutter sich gerade mit diesem Familienmitglied besonders gut verstand, machte die Schwiegertochter keinesfalls sympathisch und belastete das Verhältnis nachhaltig. Als ihr jüngster Sohn sich scheiden ließ, wurde das auf das äußerste missbilligt, obwohl die ganze restliche Familie den Schritt als längst überfällig betrachtete. Als der Sohn nach zwei Jahren eine neue Partnerin fand, an der es absolut nichts auszusetzen gab, heiratete er sie. Meine Großmutter war da schon pflegebedürftig und in einem Pflegeheim untergebracht. Nach der Trauung besuchte er seine Mutter um sie zu informieren und die neue Schwiegertochter offiziell vorzustellen. Meine Großmutter wies die zur Begrüßung ausgestreckte Hand zurück und drehte sich demonstrativ zur Wand. Es gab dann zwischen Mutter und Sohn keinen Kontakt mehr. Als ich vor wenigen Jahren in Verbindung mit meiner eigenen Scheidung darüber sprach, stritt mein Vater dieses Vorkommnis ab und wollte angeblich auch nie etwas davon gehört haben, verwies es in das Reich der Fabel. Beim nächsten Besuch bei meiner Tante habe ich sie gebeten den Sachverhalt zu bestätigen, was sie zum Ärger meines Vaters auch tat. Den größten Ärger bekam ich dann ab, weil es ungehörig war solche schwarzen Seiten der Familiengeschichte zu wissen. Dass ich als Familienoberhaupt vielleicht mehr wusste, weil mir auch mehr zugetragen wurde hatte er wohl verdrängt. Die Gradlinigkeit seiner Mutter in punkto Ehe hat er dabei nicht gesehen. Es dürfte meine Großmutter sehr getroffen haben, dass von ihren 14 Enkelkindern 10 geschieden sind, oder mit geschiedenen Ehepartnern verheiratet.

      Nach dem Tode meines Großvaters stellte sich die Frage der Vormundschaft für die noch minderjährigen Kinder. Dieses Amt wurde meinem Urgroßvater angetragen, der es mit der Begründung ablehnte er hätte vollstes Vertrauen zu seiner Schwiegertochter, dass sie ihre Kinder (im seinem familiären Sprachgebrauch „Brut“) selber erziehen könne und keiner Kontrolle bedürfe. Meine Großmutter stellte das mir gegenüber so dar, dass es das einzig positive gewesen wäre, das er jemals über sie gesagt hätte. So kann das auch gesehen werden, aber ich halte es eher für einen Selbstbetrug. Aktueller Hintergrund war ein anderer. Leeuwarden war eine Kleinstadt mit ca. 60.000 Einwohnern, in der wenig geheim blieb und in der die Familie Gaastra