Sjoerd Gaastra 1921-2013. Detlef Gaastra

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Название Sjoerd Gaastra 1921-2013
Автор произведения Detlef Gaastra
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783960083177



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verkündete er beim Frühstück: „Warte auf mich, ich habe dich am ersten Tag zur Schule gebracht und hole dich am letzten Tag auch wieder ab“. Dazwischen lag eine ganze Reihe für mich unerfreulicher Jahre. Das war eine ganz typische Haltung von ihm.

       Wohnhaus des Bahnhofsvorstehers und Bahnhof von Tamangung (Ostjava)

      Nach Ablauf des zwölfjährigen Vertrages meines Großvaters kehrte die Familie 1932 nach Friesland zurück. Meine Großmutter wäre sicherlich gerne in Indonesien geblieben, und ihre Kinder, besonders mein Vater auch. Aber es war nicht nur das Auslaufen des Arbeitsvertrages, das die Rückkehr ins Mutterland veranlasst, sondern mein Großvater hatte Heimweh nach Friesland. Mein Vater wurde sicherlich nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen. Er wusste auch nicht, was ihn da erwarten würde. Der Heimaturlaub vor seiner Einschulung fand in den Sommermonaten statt, vermutlich bei angenehmen Temperaturen. Die Witterungsverhältnisse der übrigen Jahreszeiten blieben ihm verborgen. In der ganzen Familie wurden die Heimaturlauber mit offenen Armen empfangen. Vermutlich weil sie reichlich Geschenke mitbrachten und der Gewissheit, der Aufenthalt war begrenzt und bald sind die wieder weg. Im Schulunterricht wurden die Niederlande als Mutterland der Kolonien als ein Land dargestellt, in dem Milch und Honig flossen. Die Wintermonate mit dem fröhlichen Zeitvertreib auf dem Eis waren besonders schön. So zeigten es jedenfalls die Bilder der Meister des 17. Jahrhunderts. Wie ungemütlich zugefrorene Kanäle sind, wenn das Geld fehlt um Heizmaterial für eine warme Stube zu kaufen lag jenseits der Vorstellungskraft meines Vaters. Immer, wenn wir an einer bestimmten Stelle der Ee, eines Flusses der durch Leeuwarden fließt, erzählte mein Vater wie er dort das erste Mal geschwommen ist. Kurz nach der Ankunft wurde er von Spielkameraden eingeladen schwimmen zu gehen, er könne doch sicherlich schwimmen. Nichts ahnend sprang mein Vater ins Wasser und erlitt fast einen Kälteschock. Denn er war Wassertemperaturen von rund 25 Grad gewöhnt und nicht von 15 Grad. Bibbernd vor Kälte ist er sofort wieder an Land gesprungen und war zu weiterem Wasserkontakt nicht mehr zu bewegen. Dafür wurde er dann ausgelacht. Und das war eine schlimme Erfahrung. Mein Vater machte sich gern zum Pausenclown, aber unautorisiert über ihn zu Lachen nahm er sehr übel.

      Die Rückreise in die Heimat wurde von der Hafenstadt Surabaya angetreten. Mein Vater hat diese Abschiedsszene oft beschrieben. Der Letzte Wohnsitz war die Stadt Tamangung, eine mittelgroße Stadt in Ostjava. Der nächstgelegene Hafen war Surabaya, wohin die Familie, das waren die Eltern mit ihren 3 Söhnen und der Tochter Mippi, die noch ein Baby war, vom einen Fahrer im eigenen Auto gebracht wurde. Der Hausrat, sofern er Verwendung finden sollte, war schon verladen, Kleidung wurde kaum mitgenommen, da sie für die Niederlande zu sommerlich gewesen wäre. Mit großer Geste überreichte mein Großvater am Kai dem Fahrer als Dank für seine Dienste den Autoschlüssel und eine Schenkungsurkunde für das Auto, damit er sich als Taxiunternehmer selbstständig machen konnte. Der Beschenkte bedankte sich überschwänglich, stellte das Auto doch ein Vermögen dar. Dieser Auftritt meines Großvaters wurde wohlwollend von den Umstehenden mit Beifall bedacht. Das Auto gehörte meinem Großvater aber gar nicht, sondern seiner Frau. Er selber hat nie ein Auto besessen! Vielleicht wurde da schon ein Samen gelegt, das mein Vater das als normal ansah und Jahrzehnte später mein Eigentum großzügig verschenkte. Mit dem niederländischen Luxusliner „Oldenbarnevelt“ dampfte die Familie des Gerrit Gaastra standesgemäß einem ungewissen Schicksal entgegen.

      Fernab von den europäischen Wirtschaftsproblemen hatte sein Vater die Verhältnisse in den Niederlanden völlig falsch eingeschätzt und er irrte sich, wenn er geglaubt hatte, auf den wenigen Bahnhöfen in Friesland würde man gerade auf ihn warten. Die Staatsbahn war auch in keiner Weise mit der kolonialen Bahngesellschaft verbunden und der Vater stand ohne Beruf bzw. berufliche Perspektive da. Verschiedene Geschäftsgründungen wurden versucht, z. B. die Eröffnung eine Fabrik für Speiseeis oder die Eröffnung eines Kolonialwarenladens. Gegenüber vernünftigen Vorschlägen seiner Brüder zeigte er sich beratungsresistent. Das in Java angehäufte Vermögen zerrann ihm förmlich zwischen den Fingern. Mein Vater war somit früh gezwungen zum Unterhalt der Familie beizutragen. An den Wochenenden als Laufbursche für verschiedene Einzelhandelsgeschäfte, wo er sich eine Menge handwerklicher Fähigkeiten aneignete, und nach der Schule jahrelang durch das Austragen der Abendzeitung. Mein Vater war sich der Auszeichnung bewusst, als einziger seiner Geschwister die Möglichkeit einer höheren Schulbildung zu erhalten. Nach Aussagen meiner Großmutter war er nicht der beste Schüler, aber besonders ehrgeizig. Eine Eigenschaft die er seinem Sohn zu seinem größten Verdruss nicht vererbt hat. Vielleicht einer der Gründe mir überhaupt nichts zu vererben sondern auch noch um das Erbe meiner Mutter zu prellen.

      Im Jahre 1938 entschloss sich mein Großvater nach Deutschland auszuwandern, nach dem sich Pläne zur Rückkehr nach niederländisch Indien zerschlagen hatten. Über den Grund ist nichts oder nur wenig bekannt. Kurz nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland ist er wohl dem niederländischen Ableger der NSDAP beigetreten. Wie viele in wirtschaftliche Not geratene Kleinbürger schaute er fasziniert auf die wachsenden Erfolge im Nachbarland und machte sich wohl auch Treitschkes und des „Stürmers“ Parole zu eigen „die Juden sind unser Unglück“. Es soll auch zu finanziellen Unregelmäßigkeiten in seiner Parteigliederung gekommen sein, die dazu führten Friesland in Richtung des Reiches zu verlassen. Nach Bielefeld verschlug die Familie ein Schwager mit braunen Flecken auf der vermutlich schon nicht mehr ganz weißen Weste, der schon Jahre vorher am Fuß des Teutoburger Waldes gestrandet war. Welcher Beschäftigung mein Großvater in Bielefeld nach ging konnte nicht geklärt werden. Bei den Kammerich-Werken und der Ruhrstahl „kümmerte“ er sich angeblich um die Werkseisenbahn. Vermutlich war es ein Gnadenbrot, das er dort verzehrte, denn soweit bekannt war er, was die Eisenbahn betraf, nur administrativ tätig gewesen.

      Als meine Großeltern 1938 nach Bielefeld zogen, hatte mein Vater seine Schulausbildung noch nicht beendet und stand vor dem Abitur. Er wurde unter der Obhut einer Tante und eines Onkels in Leeuwarden zurück gelassen. Dieser Onkel frönte einem Hobby, das heute ziemlich in Vergessenheit geraten ist, er baute und verbesserte Radios und brachte seinem Neffen entsprechende Fertigkeiten bei.

      Im März 1939 begann ein neues Kapitel im Leben des Sjoerd Gaastra, das seinen weiteren Lebensweg prägen sollte.

      Nach dem Ablegen des Abiturs konnte er nicht mehr länger im Hause seiner Tante bleiben, da er aber mit 18 Jahren auch noch nicht volljährig war, musste er Friesland verlassen und zu seinen Eltern nach Deutschland ziehen. Die hatten eine Unterkunft in einer neu gebauten Siedlung in der Nähe Bielefelds in Kracks/​Senne II gefunden.

      Am 30. März 1939 kam er in Ostwestfalen an und begab sich am 31. März 1939 zum Bielefelder Arbeitsamt um sich eine Arbeitsstelle zu suchen. Dort empfahl man ihm eine kaufmännische Ausbildung zu absolvieren. Wegen seiner Sprachkenntnisse mit dem Schwerpunkt Außenhandel. Da eine Berufsausbildung wie in Deutschland in den Niederlanden unbekannt ist, wusste er damit nichts Rechtes anzufangen. Ihm wurden mehrere Firmen genannt die ihm aber alle unbekannt waren, unter anderem auch die Seidenweberei C.A. Delius & Söhne. Da er sich unter Seide etwas vorstellen konnte und auch Seidenraupen aus Indonesien kannte, entschied er sich am gleichen Tag in der Goldstraße vorzustellen. Für das Personal zuständig war Wolf Delius, der aufmerksam die Zeugnisse studierte, die er wegen eines anderen Bewertungsschemas nicht verstand (in den Niederlanden ist ein „12“ die beste Zensur und die „1“ die schlechteste), aber der junge Mann gefiel ihm und er sagte er wolle es mal mit ihm versuchen. Die Verabschiedung durch Wolf Delius verlief folgendermaßen: „Also morgen um 7.30 meldest Du dich beim Pförtner. Wie heißt du eigentlich richtig? Schörd ist doch ein blöder Name, du bist der Sigurd“. Bis zum Tode des Herrn Wolf Delius blieb es dabei. Zur Silberhochzeit meiner Eltern schickte Wolf Delius aus seinem Weinkeller eine Flasche Rotwein des Hochzeitsjahrgangs 1945 mit einem Handschreiben: „Sehr geehrte Frau Gaastra, sehr geehrter Sigurd …“

      Am 1. April 1939 begann die Lehre mit einer Führung durch die Firma und Vorstellung der kaufmännischen Angestellten die sich in den folgenden 3 Jahren um die Ausbildung des Nachwuchses kümmern sollten. Bei diesem Rundgang erspähte er auch Fräulein Tiemann, die in der