Kālī Kaula. Jan Fries

Читать онлайн.
Название Kālī Kaula
Автор произведения Jan Fries
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783944180649



Скачать книгу

kommt, Jahrtausende alt ist. Diese Idee ist weit verbreitet und verkauft sich ausgesprochen gut. Hier wird den asiatischen Hochkulturen unterstellt, dass sie praktisch alles in einer unglaublich kreativen Frühzeit entwickelt haben und es danach nur noch getreulich weitergaben. Alles Gute ist uralt, und niemand hat jemals was dazu gelernt. Glaubt man einigen populären Autoren, ist jeder Bestandteil der indischen Religion, der nicht in den Veden zu finden ist, automatisch ein Produkt der einheimischen Urbevölkerung. Immer wieder wird behauptet, dass Tantra kein Phänomen der Mitte des ersten Jahrtausends ist, sondern in die früheste Vorgeschichte zurückreicht und dravidischen Ursprungs wäre. In einem Buch wurde sogar behauptet, Tantra wäre um 5.000 v.u.Z. erfunden worden. Das ist eine lustige Idee, vor allem weil fast nichts über die einheimischen Religionen Indiens bekannt ist. Viele New-Age-Bücher verkünden, dass die ‚große Göttin‘ (ein modernes Konzept) präarisch sei. Dasselbe gilt für die Cakrasysteme, den ‚klassischen‘ Yoga; ja selbst die Kuṇḍalinī datiert man vor die vedische Epoche. Und der Beweis dafür? Diese Konzepte tauchen in der vedischen Literatur nicht auf. Also müssen sie schon vorher dagewesen sein. Auch wenn sie dummerweise erst sehr viel später auftauchen.

       Seher auf Soma

      Die vedische Religion wurde von Drogen geformt. Die frühen Seher feierten eine Gottheit namens Soma, die mit dem Mond und einem mächtigen berauschenden Getränk gleichgesetzt wurde. Soma, sangen sie, ist der lohfarbene Bulle des Himmels, der Stier, der Adler am Himmel. Es fließt der potente Saft, Stütze der Himmel, die Stärke der Götter, dem die Menschen mit Freudenschreien huldigen müssen (ṚV 9, 76, 1). Soma gab Segen und Überfluss, Fruchtbarkeit den Rindern, Erfolg im Krieg, dem Adel Reichtümer und den Sehern Freude. Die Götter selbst nährten sich vom Soma, der ihre Quelle, Speise und Freude war: Soma, donnernd, hat die Götter erzeugt (ṚV 9, 42, 4). Die Einnahme von Soma bildete einen wesentlichen Teil der größeren Opferzeremonien und beeinflusste den Geist derjenigen, die die richtigen Rituale ‘sahen’ und die wahren Hymnen und Klänge ‘hörten’. Tatsächlich machte Soma die Seher. Der Gott wurde Pavamāna (Läuterndes Soma) genannt und sein süßer ambrosischer Saft Amṝta, ‘todeslos’ (unsterblich), das Elixier des Lebens.

      Eine ganze Menge der frühen Riten wurde von Sehern empfangen (oder erfunden), die, wie wir uns vorstellen können, völlig weggedröhnt waren. Wenn wir dieses Sakrament verstehen wollen, stoßen wir auf Schwierigkeiten. Die Seher komponierten eine große Zahl von Hymnen, um den Soma zu feiern; der Ṛg Veda enthält ungefähr 120 davon, die meisten von ihnen im 9. Buch, das fast ausschließlich dieser Gottheit gewidmet ist. Nur Indra und Agni haben mehr Hymnen. Im Vergleich dazu: die Mehrheit der vedischen Gottheiten muss mit einem halben Dutzend oder weniger Hymnen auskommen. Soma taucht beständig auf, wenn Indra, der Donnerer, gepriesen wird, offenbar wurden die Riten mit seinem Segen gefeiert. Die Soma-Riten waren die wichtigsten Opferzeremonien der gesamten vedischen Epoche. Im Soma begegnen wir dem ersten Allheilmittel, dem ersten Unsterblichkeitselixier der indischen Lehre. Die Idee dieses Elixiers blieb noch lange erhalten, nachdem das Geheimnis des ursprünglichen Soma vergessen war. Nun waren sich die Seher durchaus darüber im Klaren, dass ihre Körper, egal wie viel Soma sie einnahmen, schließlich alterten und starben. In der vedischen Lehre wie in den späteren Traditionen, ist ‘Unsterblichkeit’ eine allgemeine Idee, die ‘hohes Alter’ bedeutet; das bevorzugte Optimum sind hundert Jahre. Die einzige wirkliche Unsterblichkeit, die Soma gewähren konnte, war eine Unsterblichkeit des Bewusstseins, das den Körper im Tod verließ und für eine Ewigkeit in Freude und Lustbarkeit zu Indras Himmel aufstieg.

      Die Reinkarnation war damals noch nicht entdeckt (oder erfunden). Und auch hier ist das Bild nicht einheitlich: soweit überhaupt bekannt, hatten die Ārya mehrere, von einander abweichende Ideen, was die Seele nach dem Tod erwartet. Wenn man Glück hatte, sehr freigiebig war, ein tugendhaftes, kriegerisches Leben geführt, viele Opfer finanziert, teure Weihen absolviert und schmerzhafte Kasteiungen überstanden hatte und zuletzt streng diszipliniert einen stolzen Kriegertod starb, erwartete einen unter Umständen auch die absolute Transzendenz jenseits der Sonne oder jenseits von Sonne und Mond oder auch jenseits davon. Andere Leute lösten sich nach dem Tod in ihre Grundbestandteile auf oder stiegen hinauf zur Sonne, um darin zu verbrennen. Deren Essenzen konnten eventuell mit dem Regen zur Erde zurückkehren. Und für völlige Verlierer gab es auch schon ein paar simple Höllen.

      Kompliziert wird es, wenn wir herauszuarbeiten versuchen, was für eine Art von Pflanze Soma war und wie sie zubereitet wurde. Die Soma-Riten umfassten einen großen Bereich von rituellen Aktivitäten. Sie wurden nicht oft durchgeführt, und der Verzehr der Droge war den Sehern vorbehalten, die die Zeremonien vollzogen. Hier müssen wir uns eine strenge Aufteilung vorstellen: die Könige und Adeligen, allesamt dem Kriegertum verpflichtet, waren die Auftraggeber der großen Opfer und gewannen dabei beträchtliches Ansehen, spirituellen Verdienst („Bonuspunkte“ könnte man sagen), die Gunst der Götter und eventuell Anspruch auf Transzendenz nach dem Versterben. Die Seher, Sänger und Priester führten die Riten und Opfer aus und kontrollierten dabei die Götter (und Adeligen). Noch nicht einmal den Königen und Adligen, den Einzigen, die sich angemessene Opfer leisten konnten, war es erlaubt, Soma zu kosten. Stattdessen bekamen sie einen Ersatz angeboten. Sie nahmen allerdings unter strenger Aufsicht aktiv am Ritual teil. Jedes Soma-Ritual begann mit der Zubereitung der Droge. Dies war eine immens komplizierte Angelegenheit, die Tage, manchmal Wochen der Vorbereitung erforderte. Allein das Pressen des Soma-Saftes nahm zwei bis zwölf Tage durchgängiger Zeremonie in Anspruch, gefolgt von weiteren zwölf Tagen der Opferungen. Fast ständig wurden Tiere geschlachtet und jedes Stadium des Ritus wurde von Gesängen und Rezitation von Hymnen begleitet. Die Soma-Riten waren umfassende Zeremonien, die eine große Auswahl an Ritualen beinhalteten. Sie erhoben den Opfernden (den Adligen, der das Ereignis bezahlte, und dessen Gattin) in einen fast göttlichen Status und brachten Segnungen für die ganze Gemeinschaft.

      Die größeren Riten umfassten zahlreiche Akte der Hingabe, Reinigung, umfangreiche Bäder, Orakel, Vorbereitungen von Ritualplätzen, Tänze, einen symbolischen Kampf zwischen einem Ārya und einem dunkelhäutugen Śudra, einem ritualisierten Streitgespräch zwischen einem Gelehrten und einer Prostituierten, den öffentlichen Geschlechtsakt eines eingeborenen Paares, das Abschießen von Pfeilen zur Abwehr böser Einflüsse, Lieder, Musik und jede Menge Feiern. Die Priester hatten eine strikte Hierarchie, und es gab einen ausgefeilten Ritualplan, der perfekt zu befolgen war. Jede Hymne hatte eine spezielle Vortragsform und war in Segmente unterteilt, die spezielle metrische Formen erforderten, Intonation und Sänger von bestimmtem Rang. Hier begegnen wir auch den ersten Bījas (Keimsilben) und ‘heiligen Worten’ wie Oṁ und Huṁ, die für allgemeine Zwecke nützlich sind, und speziellen Worten wie Hīs, um Regen zu beschwören, und Ūrj für Bitten um Nahrung oder Macht. Natürlich bestand ein Teil der priesterlichen Macht darin, derartig umfassende Kenntnisse zu haben und diese dramatisch einzusetzen, um das eigene Bewusstsein und das der Anwesenden zu verändern. Ein Soma-Ritual verhieß Segen für die ganze Bevölkerung, gutes Wetter und erfolgreiche Raubzüge und Kriege. Und auch die Auftraggeber machten so einiges mit. Der reiche Sponsor und seine Gattin unterwarfen sich einem extrem anstrengenden Reinigungsritual, welches Dīkṣa bzw. Dīkṣā (‚Verlangen der Gottheit zu dienen‘ (?), Weihe, Initiation, Name einer Göttin) hieß. Noch heute wird der Begriff gerne für kleine Weihen und Vorinitiationen verwendet, obwohl sich die dazu gehörigen Rituale gründlich verändert haben. Heutige Dīkṣas sind oft nur Formalitäten mit ein wenig Hokuspokus. Die vedische Dīkṣa führte die Kandidaten an den Rand des Todes. Die Kandidaten wurden von Kopf bis Fuß in die Felle schwarzer Antilopen verschnürt und in einer engen Opferhütte direkt neben einem Zeremonialfeuer platziert. Dort trockneten und dürsteten sie den ganzen langen, heißen Tag vor sich hin. Zum Sonnenuntergang gab es einen kleinen Schluck Milch, und dann folgte die lange, heiße Nacht um den Kandidaten den Rest zu geben.

      Die Periode der Dīkṣa konnte noch ausgedehnt werden, denn im vedischen Glauben war Kasteiung ein sicherer Weg zum Glück. Dazu gehörten etliche ungewöhnliche Bräuche. Die Kandidaten durften sich nur mit einem Antilopenhorn kratzen und waren verpflichtet zu schweigen; etwaige notwendige Äußerungen mussten als Gestammel hervorgebracht werden. Bestimmte Handgesten waren auch erlaubt. Wenn alles überstanden war, hatten der Sponsor