Kālī Kaula. Jan Fries

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Название Kālī Kaula
Автор произведения Jan Fries
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783944180649



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Stadtstaaten die höchste Macht darstellten, und über den Großteil des Landes verfügten, war die sumerische Buchhaltung alles andere als einfach. Zunächst handelte es sich um einfache Listen von Zahlen, Namen und hübschen Piktogrammen, welche z. B. Rinder oder Schafe bedeuteten. Schon bald darauf folgte die Erkenntnis, dass man nicht nur mit Bildern schreiben kann, sondern dass es auch die Möglichkeit gibt, die Klangform der Bilder zu nutzen. An genau diesem Punkt verwandelt sich eine Ansammlung von Bildern in eine echte Schrift. Das war ein entscheidender Durchbruch, der es ermöglichte, über Themen zu schreiben die nicht als Bilder darstellbar waren. Zwischen ca. 3200 und 3000 v.u.Z. entwickelte sich so ein Schreibsystem, welches immer komplexere Themen darstellen konnte, und dabei immer abstrakter wurde. Wer heute Keilschriftzeichen sieht, würde kaum auf die Idee kommen, dass jedes von ihnen ursprünglich ein Bild war. Als die sumerische Schrift bereits funktional war, wurde die Idee der Schreibkunst von den Ägyptern übernommen. Diese waren allerdings nicht daran interessiert, die Schrift der Sumerer zu kopieren. Sie übernahmen die Prinzipien und Möglichkeiten, gestalteten aber daraus ihre ganz eigene Bilderschrift, welche speziell für ihre Sprache geeignet war und, im Gegensatz zur sumerischen Schrift, keine Vokale darstellt. Das Ergebnis waren viele verschiedene Worte die mit den gleichen Zeichen geschrieben wurden. Für die heutigen Forscher ist das ein deutlicher Nachteil: Übersetzungen der mesopotamischen Literatur sind wesentlich sicherer als es Übersetzungen aus Ägypten jemals sein werden. Im Industal scheint eine ähnliche Entwicklung geschehen zu sein. Die dortige Kultur entwickelte eine eigene Schrift, die auf einzigartigen Symbolen und Bildern basierte. Doch leider ist diese Schrift bis heute nicht entschlüsselt worden.

      Ein Teil des Problems ist die relative Seltenheit der Inschriften. Mesopotamische Keilschrift überdauerte die Jahrtausende auf wunderbar haltbaren Tontäfelchen; ägyptische Hieroglyphen auf Steinen, an Bauwerken und in perfekt abgeschlossenen Grabkammern. Ob die Bewohner des Industals auf vergänglichen Materialien schrieben, ist bisher nicht bekannt. Die meisten Texte tauchen auf Siegeln auf. Das sind üblicherweise kleine Objekte aus Steatit, 17 bis 30 mm groß, und es sind durchschnittlich fünf Zeichen sowie Bilder auf jedem Siegel zu finden. Damit wird es wahrscheinlich, dass die Inschriften Namen oder Titel bedeuten, was die Entzifferung extrem schwierig macht. Bis jetzt können sich die Experten noch nicht einmal auf die Anzahl der verschiedenen Zeichen der Indusschrift einigen; Schätzungen reichen von 200 bis 450, je nachdem, ob man separate Zeichenelemente oder Kombinationen zählt. Auf den meisten Siegeln sind, neben der Inschrift, auch Tiere abgebildet. Der große Favorit ist ein Stier, der im Profil mit nur einem Horn zu sehen ist. Ob er ein Einhorn darstellt, wie gerne behauptet wurde, ist unklar. Er ist üblicherweise neben einem mysteriösen Gegenstand zu sehen, der als eine Fahne, ein Ständer, ein Futtertrog und als ein Gerät zum Pressen und Filtern von Soma bezeichnet wurde. Wer kann da noch behaupten, Wissenschaftler hätten keine Phantasie? Rinder wie der Auerochse und das Zebu tauchen auf vielen Siegeln auf, auch Wasserbüffel, Antilope, Rhinozeros und Tiger. Viel seltener sind Bilder von Elefanten und Krokodilen. Es gibt auch einige Fabeltiere wie dreiköpfige Stiere, Tiger mit Hörnern, Antilopen mit Elefantenrüsseln und Menschen mit Tigerköpfen. Abbildungen von Menschen sind die seltensten von allen. Sie zeigen menschliche Gestalten, aber können wir sicher sein, dass es Menschen sind und keine Halbgötter (wie der Held, der zwei Tiger hält, und einem sumerischen Motiv gleicht) oder sogar Gottheiten? Was sollen wir von dem Menschen halten, der auf einem Baum sitzt, angesichts eines Tigers, der unter ihm herumstreicht? Wer identifizierte sich mit einem solchen Bild und machte es zu seinem persönlichen Siegel?

      Dies führt zu einem der Rätsel der Induskultur: Woran glaubten diese Leute eigentlich? Bisher ist die Beweislage dafür extrem dünn. Keine Tempel, Kirchen, Schreine und noch nicht einmal Altäre wurden entdeckt. Das Indusvolk könnte zu Hause gebetet haben oder auf den weitläufigen Plattformen, sie könnten rituelle Bäder oder heilige Feuer gehabt haben, aber bisher kann das niemand nachweisen. Es gibt keine Stelen oder großen Statuen von Göttern oder Menschen. Nur sieben steinerne Statuetten wurden bisher entdeckt; sie sind klein und sehen aus, als wären sie nach sumerischen Originalen kopiert. Die Teile sind etwas beschädigt und stellen kniende Menschen dar. Dies lässt den Ausgräbern nur zwei mögliche Quellen, um über religiöse Aktivitäten zu spekulieren. Eine davon sind die Tonfigürchen, die an manchen Orten seit der Neusteinzeit hergestellt wurden. Unter diesen Figürchen finden wir eine große Menge Frauendarstellungen. Und die wurden immer wieder religiös gedeutet. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert war der wissenschaftliche Mainstream noch immer fasziniert von der Idee des Matriarchats, und konsequenterweise wurden sie als Beweis für die Verehrung von Göttinnen angesehen. Manche Gelehrten interpretierten sie sogar als Darstellungen einer einzelne große Göttin. Wann immer Wissenschaftler auf weibliche Darstellungen stießen, konnte man sicher sein, dass sie das Matriarchat postulierten, bevor sie anfingen zu denken. Dieser Trend ging bis in die 1960er Jahre. Moderne Forscher sind wesentlich vorsichtiger geworden. Werfen wir einen näheren Blick auf die Statuetten. Heutzutage sind wir froh, eine Ahnung von den verschiedenen Perioden zu haben, in denen Statuetten hergestellt wurden, zumindest an manchen Orten.

      Hier erfolgt nun eine kurze Zusammenfassung nach Jarrige (1987 : 95), in Vergessene Städte am Indus. Die erste und zweite Epoche in Mergarh bietet die primitiven Darstellungen der ersten bekannten Siedler; sie ähneln nur entfernt sitzenden menschlichen Wesen, die Beine sind zusammen und ausgestreckt, es gibt keine Arme, Gesichter oder nennenswerte Einzelheiten. Manche Figuren zeigen leichte Wölbungen, die Gürtel oder Halsbänder symbolisieren, einige sind mit rotem Ocker gefärbt. Gleichzeitig taucht roter Ocker bei Bestattungen auf. Besteht hier eine Verbindung der Figuren zu einem (völlig unbekannten) Totenkult? In Epoche 3 verschwinden die menschlichen Figürchen völlig. Sie werden durch tönerne Darstellungen von Stieren ersetzt, manche davon liebevoll verziert. Das klingt nach einer nebensächlichen Umgestaltung, könnte aber auf drastische Veränderungen im religiösen Leben oder auf eine Welle von neuen Einwanderern hindeuten. Epoche 4, ca. 4000 v.u.Z., zeigt eine Wiederkehr der menschlichen Figürchen und einen technischen Durchbruch: Die Figürchen bestehen aus einzelnen Teilen. Hier finden wir weibliche Figuren mit herausragenden Brüsten und einige Versuchen, Haar und Kleidung anzudeuten; sie sind jedoch noch immer grob und sehen nicht sehr verehrungswürdig aus. In Epoche 5 ermöglicht eine neue Tonqualität den Künstlern, feinere Figürchen herzustellen und sie bei höheren Temperaturen zu brennen. Es gibt erste Versuche, Arme und maskenartige Gesichter darzustellen und die Frisur wird höchst ausgefeilt. Dieser Prozess der technischen Verfeinerung hält eine Weile an. Dann in Epoche 7 scheinen einige der Frauen Kinder zu halten (üblicherweise Tonklumpen mit einem Gesicht). Gleichzeitig tauchen männliche Statuetten auf. Sie haben eine andere Körperhaltung und zeigen detaillierte Genitalien. Dies ist ungewöhnlich. Bei den weiblichen Statuetten waren die Brüste üblicherweise deutlich sichtbar, aber die Genitalien nie detailliert dargestellt. Warum war dies bei den Männern der Fall? Mehrere Arten männlicher Frisuren mit Knoten und Zöpfe sind festzustellen. Am Ende dieser Epoche taucht unter den Figürchen ein neuer Typ von Mann mit einem runden kahlen Kopf auf, und ab diesem Zeitpunkt werden die Dinge standardisiert. Die letzte Siedlungsepoche in Mergarh liefert massenhaft produzierte Statuetten in großen Mengen, die meisten von ihnen einheitlich, lieblos und ohne Sorgfalt ausgeführt. Jetzt kommen wir zur großen Frage: waren diese Gegenstände Objekte der Verehrung? Frühe Forscher bezogen sich fast ausschließlich auf die weiblichen Figürchen, und stellten diese gerne als Idole dar. Doch die Realität sieht anders aus. Die meisten Figürchen waren grob, billig und zerbrechlich. Nur wenige davon hätten eine tägliche Handhabung oder einen Transport überstanden. Manche weiblichen Statuetten sehen eher wie Wellensittiche als wie menschliche Wesen aus, ganz zu schweigen von Göttinnen. Sie sind auch oft zerbrochen, beschädigt und gelegentlich verbrannt. Eine ganze Menge von ihnen kam nicht an besonderen Orten zum Vorschein, sondern wurde in Abfallgruben entdeckt.

      Statuetten – egal, ob ‘Venusfiguren’ des Paläolithikums oder Tonfiguren aus kretischen Gräbern – sollte man nicht automatisch für Objekte der Verehrung halten. Die ägyptischen Pharaonen hatten Abbildungen von Menschen in ihren Gräbern, weil sie im Jenseits von ihnen bedient werden wollten. Die frühen chinesischen Herrscher ließen sich mit Ministern, Frauen, Wachleuten, Kriegern und Lieblingssklaven begraben, in späteren Zeiten waren Statuen ein billigerer Ersatz. Die Kreter hatten grobe Tonfiguren in ihren Gräbern. Diese Figuren waren keine Götter, sie wurden im täglichen Leben nicht verehrt. Frühere Studien über Kreta überschätzten die weiblichen