Die gesammelten Schriften von Viola M. Frymann, DO. Viola M Frymann

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Название Die gesammelten Schriften von Viola M. Frymann, DO
Автор произведения Viola M Frymann
Жанр Медицина
Серия
Издательство Медицина
Год выпуска 0
isbn 9783941523494



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Prozess beeinflussen.“8

      Die erste Lektion bestand darin, einen disartikulierten Schädelknochen palpatorisch zu untersuchen. Analysieren wir jetzt diese Methode.

      Erstens: Durch das Fühlen der leichten Berührung hat sich der Student vergewissert, dass das Objekt in der Hand tatsächlich ein Knochen ist – ein toter Knochen. Hätte man ihn von einer Plastikimitation unterscheiden können? Der Unterschied zwischen beiden ist subtil, aber da Knochen im lebenden Zustand aus zwei Platten mit dazwischen liegender Diploe besteht und auch nach der Verarbeitung weiterhin ein Maschenwerk an Knochen bestehen bleibt, entsteht das unverwechselbare Gefühl einer geringfügigen Resilienz des Knochens, ein Gefühl von Leichtigkeit, das ihn von festen Imitationen unterscheidet. Darüber hinaus war bislang kein Stück Plastik erfolgreich darin, die für die Schädelknochen typischen feinen Verzahnungen zu imitieren. Hätte der Knochen von einem anderen ähnlich harten Material unterschieden werden können? Ja. Durch langjährige Erfahrung hat jeder von uns die Unterscheidungsmerkmale von Holz, Metall, Plastik usw. kennengelernt. Wir sammeln diese Eigenschaften automatisch mental, sodass sie integriert und gespeichert werden, um die bewusste Wahrnehmung der Natur einer Substanz zu ermöglichen. Wird eine bestimmte Stelle des Zentralnervensystems geschädigt, so geht diese Fähigkeit verloren und der Patient ist nicht mehr in der Lage, Metall von Holz oder Seide von Wolle zu unterscheiden.

      Zweitens: Die einzelnen Knochen wurden durch Palpation voneinander unterschieden, etwa ein Os temporale, ein Os occipitale, ein Os frontale usw. Darüber hinaus war es häufig möglich, den Knochen zu positionieren. Um dies auszuführen zu können, muss zunächst eine Kenntnis der allgemeinen Anatomie des Kopfes vorhanden sein und die Fähigkeit zur Wahrnehmung der Knochenform. Das Studium der Form eines Objektes wiederum erfordert Bewegung, die Bewegung der untersuchenden Finger. Dieses durch die Finger laufende Bewegungsmuster, wird über den Weg der Propriozeptoren ins Bewusstsein übertragen, wobei diese dabei das Konzept der Form vermitteln. Es wurde festgestellt, dass man zum Erlangen der schärfsten Formwahrnehmung den Arm auf einer fixierten Unterlage ruhen ließ, sodass die Finger sich vom Gewicht des Armes unbeeinflusst und unbehindert bewegen konnten.

      Nachdem der disartikulierte, tote Knochen erforscht war, wurde der gleiche Knochen in situ am lebenden Menschen untersucht. Ähnlichkeiten wurden festgestellt, aber keiner konnte leugnen, dass auf dem Weg der Palpation deutliche Unterschiede beobachtet werden konnten. Können Sie diese Unterschiede definieren und beschreiben?

      An keiner Stelle des Körpers ist es möglich den Knochen direkt zu palpieren, er ist immer von unterschiedlich dicken Schichten Haut, subkutanem Gewebe, Faszien, muköser Membranen und Periost sowie in den meisten Regionen von Muskeln umgeben. Gleichermaßen wurde auch der isoliert palpierte Knochen zuvor von einer Hülle lebender Gewebe eingewickelt, die ihrerseits wiederum besondere Eigenschaften besitzen. Darüber hinaus werden die Qualitäten dieser Gewebe vom Knochen selbst modifiziert. Denken Sie etwa an die Veränderungen der Weichteile im Gebiet um eine osteopathische Läsion herum.

      Bei der Palpation des lebenden Knochens, muss also Bindegewebe von Knochen unterschieden werden und genauso müssen eventuell die verschiedenen Zustände und Qualitäten des Bindegewebes, bishin zum Knochen wahrgenommen werden. Darüberhinaus, muss zusätzlich zu all den bisher erwähnten Qualitäten, der notwendige Unterschied, der Charakter von lebendem Gewebe hinzugefügt werden, nämlich Bewegung.

      Fassen wir nun auch die weiteren Ergebnisse zusammen: Beim Palpieren des lebenden Knochens nimmt der Wahrnehmungsapparat des Untersuchers Eigenschaften wie Temperatur, Feuchtigkeit, Turgor und Spannung auf und er wird mittels Propriozeption Form und Bewegung feststellen. Wird ein sensitives elektronisches Aufzeichnungsgerät am Kopf angebracht, können drei Bewegungen gleichzeitig aufgezeichnet werden: Puls, Atmung und eine rhythmische Bewegung, die langsamer ist als die anderen. Modifiziert man den Druck des Kontakts auf dem Kopf, intensiviert dies ein Signal, während ein anderes reduziert wird. Die menschliche Hand führt derartige Adjustierungen aus, um die Bewegungsarten unabhängig voneinander zu beobachten. Dies geschieht jedoch so automatisch, dass es sehr schwer ist, einem Studenten beizubringen, wie man das macht. Lassen Sie mich zum Vergleich ein Beispiel nennen. Eine Patientin wird wegen eines Knotens in der Brust untersucht. Sie liegt auf dem Rücken, ihre Arme liegen über dem Kopf. Sie ist vollkommen entspannt und in Ruhe. Bei der Untersuchung sind die verschiedenen Charakteristika der oberflächlich liegenden sowie der subkutanen und tieferen Gewebe feststellbar. Der Knoten lässt sich aufgrund seiner besonderen Eigenschaften, die sich von denen der benachbarten Gewebe unterscheiden, exakt vom eigentlichen Brustgewebe differenzieren. Darüber hinaus ist der Knoten fassbar und seine Mobilität und Verschieblichkeit lässt sich im Vergleich zu dem ihn umgebenden und darunter liegenden Gewebe testen. Während der gesamten Untersuchung hat sich der Knoten in rhythmischen Bewegungszyklen bewegt, denen der Untersucher wahrscheinlich wenig oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Es handelt sich dabei um die Atemzyklen sowie Zyklen, die synchron mit dem Kraniosakralen Rhythmus verlaufen. Es eignet sich gut, an dieser Stelle inne zu halten und sich die Frage zu stellen, warum der Untersucher diese Bewegungen nicht bemerkt. Die Antwort lautet natürlich, dass der Behandelnde bei dieser speziellen Untersuchung nicht an ihnen interessiert ist. Die automatische Selektionsinstanz in seinem Bewusstsein vernachlässigt daher diese Beobachtungen und schenkt nur denjenigen Aufmerksamkeit, die sie aus Erfahrung seinem Ziel gemäß als notwendig erachtet. Unsere Herausforderung besteht dann darin, die automatischen Kontrollen im Selektionssystem des Zentralen Nervensystems so zu adjustieren, dass es für uns genauso leicht ist, uns auf diese rhythmischen Bewegungen einzustimmen, wie es bei der Gewebetemperatur, Spannung usw. der Fall ist.

      Beschäftigen wir uns noch einmal mit dem Brusttumor. Welche Veränderung ist notwendig, um die menschliche Wahrnehmung von der Gewebestruktur auf die Gewebebewegung zu lenken? Ist ein Wechsel von einer Wahrnehmung zu einer anderen notwendig? Können Sie nicht beide simultan wahrgenommen werden? Sie können nacheinander wahrgenommen werden und mit der Erfahrung kann dieses Aufeinanderfolgen automatisch ablaufen, aber ich werde Ihnen zeigen, dass es unmöglich ist, Form und Bewegung gleichzeitig zu untersuchen. Um die Bewegung der Brustwand zu beobachten, werden die Beobachtungen der Gewebespannung etc. temporär vernachlässigt. Darüber hinaus ist eine Bewegung innerhalb der Bewegung zu beobachten. Wenn die zuvor beschriebene Patientin sich etwa für den Wechsel in die Seitenlage entscheidet, sind Sie in der Lage, die Atembewegungen wahrzunehmen, während sie sich gerade dreht? Das ist sehr schwierig, ausgenommen, ihre Hand hat die Drehbewegung aufgenommen und bewegt sich mit der Patientin mit, als ein Teil von ihr. Sie haben auf diese Weise die relative Bewegung im Raum zwischen der Brustwand und der Hand eliminiert und sind daher immer noch in Kontakt mit der inhärenten Bewegung der Brustwand. Hier könnte eine weitere Analogie sinnvoll sein: Ein Fahrzeug beginnt sich zu bewegen. Sie stehen auf der Straße und entscheiden sich, ins Auto einzusteigen. Sie beginnen zu laufen, um Ihre Geschwindigkeit der des Autos anzupassen. Sie springen ins rollende Fahrzeug. Falls der automatische Adjustor gut funktioniert, werden Sie Ihre Geschwindigkeit schnell auf die des Fahrzeugs einstellen und sie werden mitfahren können. In ihm sitzend, werden Sie seine inhärente Bewegung fühlen, wenn es um die Kurven fährt, sie werden seine Spannungen spüren, wenn es einen steilen Berg erklimmt, oder den Spannungsabfall, wenn es den Berg hinunterrast. Die Bewegung ist im Insassen genauso aktiv wie im Fahrzeug. Woher wissen wir das? Und falls das Auto plötzlich stoppt, was passiert dann mit den Insassen? Sie werden mit der gleichen Geschwindigkeit nach vorne geworfen, die sie von der Bewegung des Fahrzeugs übernommen haben. Bei Ihnen kommt keine Bremse zum Einsatz, also bewegen Sie sich weiter wie zuvor, bis sich Ihnen ein mechanisches Hindernis in den Weg stellt oder der Bewegungsimpuls aufgehoben wird.

      Folglich geht es um die Wahrnehmung der Bewegung im menschlichen Körper. Wir müssen „aufspringen” und uns auf den inhärenten Bewegungsimpuls des Körpers einstellen, mit ihm fahren und Teil von ihm werden. Die Bewegung ist wie die Ewigkeit, sie hat keinen Anfang und kein Ende: Sie ist so permanent wie die Gezeiten eines Ozeans. Muster, Amplitude und Intensität können sich ändern, sie können von einer Richtung in eine andere umgelenkt werden, aber die Bewegung kann solange wie das Leben weitergeht niemals aufhören. Wie bei einem Ozean kann während eines bestimmten Zeitpunktes mehr als nur eine Bewegung stattfinden. Die Wellen steigen und fallen, rhythmisch bewegen sie sich voran und weichen zurück über