Ausgerechnet Kirgistan. Adi Traar

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Название Ausgerechnet Kirgistan
Автор произведения Adi Traar
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783937881256



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bin so cool, und ich liebe dich‘ Ist mir auf Dauer denn doch zu monoton. Im Leben gibt’s ja auch mehr als nur das Eine.“

      „Aber sie singen doch toll, findest du nicht?“

      „ …“ Und schon hab ich wieder einen Notstand.

      Gegen Abend nimmt wieder Medina an unseren Kreuz- und Quergängen durch sämtliche Gesprächsthemen und durch die Viertel der Stadt teil. Dort wo einmal Lenin stand – als Denkmal natürlich – steht jetzt ein Freiheitsstatuenklon auf hoher Säule, die Erkindik-Statue. Anstatt der Fackel hält sie den Tündük, den Rauchabzug einer Jurte, deren Mittelpunkt, in der emporgestreckten Hand. Abermals ergreife ich die Gelegenheit, Jasinas verklärtes Bild vom heilen Amerika ein wenig zu beklecksen. Ich meine, ein bisschen bilaterales Gleichgewicht kann nicht schaden. Sonst kriegt die Welt auch noch Übergewicht, dort wo der Westen ist, und das schlägt sich noch auf die Erdrotation durch. Bald aber werde ich hellhörig und stutze, als Jasina mir kurzentschlossen eröffnet, sie habe soeben ihre Zukunftspläne umgekrempelt und ihren angestrebten Studienplatz von New York nach Europa verlegt, wie hieße es dort doch gleich, woher ich käme? Ach ja, Wien, und außerdem wollte sie schon immer einmal nach Australien. Diesen Eigenwerbefeldzug hat sich Europa jetzt aber wirklich nicht verdient.

      Medinas Eltern sind strenggläubige Moslems, in gewissen Abständen erfolgen Kontrollanrufe übers Handy. Dabei lügt sie, was das Netz erlaubt. Jasina übersetzt mir simultan.

      Jasina und sie wären in der Uni-Bibliothek gewesen (Lüge 1), dort hätten sie jemanden getroffen (Lüge 2): einen Amerikaner (Lüge 3 und 4, weil die zählt doppelt).

      Da ist es schon wieder. Das verflixt hohe Ansehen der Amis. Dabei ist denen keine Ecke und kein Ende zu weit, um nicht zwecks Markierung neuer Reviere Duftmarken in die Lande zu setzen. Aber Weltmächte machten wohl immer schon so rum, sonst würden sie ja nicht so heißen.

      Werde ich nun also schon als Amerikaner ausgegeben, kann ich meine Pro-Europa-Mission gleich bleiben lassen.

      Medina weiter: „Bitte Vater, lass mich! Wir gehen noch ein bisschen spazieren. Es ist sehr interessant, mit ihm zu plaudern.“ Und das ist jetzt wieder wahr.

      Wir treffen männliche Studienkollegen der beiden. Die wirken alle ein wenig verschüchtert, lassen sich von den couragierten Mädchen anquatschen, ist womöglich aber nur so ein Macho-Gehabe. Genau in diese Kerbe schlägt Jasina: „Wenn du als Mädchen einen Jungen kennen lernst, wird er dir seine Telefonnummer geben, damit du ihn anrufen kannst. Er würde es bestimmt nicht tun.“

      Ich bin entrüstet. „Lass das doch die Männer machen!“ Ich kann das Missionieren nicht lassen.

      „Es funktioniert nun einmal nur so. Wir leben hier nicht in Australien.“

      Die Straßen sind übersät mit jungen Leuten; Mädchen in modernem, aufreizendem Outfit und begierige Burschen, sie operieren mehr aus dem Hintergrund, aus jedem finsteren Gassenwinkel gaffen sie den Mädels hinterher. Wirkt alles sehr nett. Keine Punks, keine Gothics, keine Skins – man bewegt sich fernab jeglicher zeitgebundener Jugendbewegungen.

      Irgendwann wird es Medinas Eltern zu blöd und sie schicken den Privat-Chauffeur (!), der uns aufgabelt und nach Hause führt. Sehnsüchtig erwartet man uns dort bereits.

      Mama schleppt das überquellende Familienfotoalbum an, und wir blättern darin. Sofort fällt auf, es wird von Klein-Jasina regelrecht dominiert, und das nicht zu unrecht, sie war ein süßer Fratz; und boykottiert wird das Album vom Vater, von ihm existiert kein einziges Foto darin. Dafür vom Onkel. Er hat in der Sowjet-Armee gedient, ein abgrundtief stolzes Foto zeugt davon, vielleicht hat er dort das Lachen verlernt. Und das weltoffene Schauen.

      Die Nacht – unruhig und schwül. Schußsalven und damit einhergehende, beängstigende Phantasien lassen mich nicht schlafen.

      „Das war sicher ein Feuerwerk“, wird mich Jasina am nächsten Tag beschwichtigen. Dabei klingt das nach ganz etwas anderem.

      Mein Tag ist gekommen. Heute fällt mir der Gedanke an Aufbruch schwerer als gestern, ich bin ein wenig verängstigt, weiß aber, dass sich das legt, sobald ich lange genug im Sattel sitze.

      Dieses Angstgefühl ist mir vertraut. Es widerfährt mir immer wieder auf Reisen. Wie damals, auf Trekkingtour in Südgrönland. Zwanzig Tage war ich mit dem Zelt unterwegs, bin dabei keiner Menschenseele begegnet, dafür der Seele von so vielen anderen Dingen. Und täglich erstarkte ich mehr daran. Kaum hatte ich ein Dach über dem Kopf, das ich mit anderen Menschen teilte, machten sich zwar Gefühle der Geborgenheit in mir breit, sobald ich aber die Hütte verließ, um wiederum in die Wildnis zu ziehen, stellten sich ganz massiv Angst und Zweifel ein, als verließe ich eine gesicherte Zone. Die Geborgenheit, von der ich mich bereitwillig hatte umgarnen lassen, war ja doch nur eine scheinbare gewesen – und die gesicherte Zone eine Quarantäne.

      Abermals wird mit einem Frühstück aufgefahren, dass sich Tisch und Gedärme biegen; unter anderem gibt es Plov, ein zentralasiatisches Reisgericht, eigens für mich fleischlos, Palatschinken, verschiedentlich gefüllt, Weißbrot, verschiedentlich belegt. Obst und Gemüse gibt es ungeschält. – Bedenken werden im Keim erstickt, hoffentlich passiert das auch mit den Krankheitserregern. Von Jasina bekomme ich eine kleine Stoff-Jurte als Talisman geschenkt, ein letztes Mal noch wird für mich gebetet, Mama steckt mir schnell Brot in jede nur zugängliche Taschenöffnung, und los geht’s. Ich könnte schwören, ich habe Tränen gesehen. Die gesamte Familie steht wie für ein Foto gebündelt auf der Straße und winkt mir nach, vielleicht tut sie es immer noch, als ich schon längst um die Ecke gebogen bin und die Hauptstraße entlang fahre, die lebensgefährlichen, offenen Kanalgänge in Augenschein nehmend.

      Wieso fahre ich eigentlich von hier fort? Hat mir etwas gefehlt?

      Erstmals Asien unter den Laufrädern. Aufregend ist das. Wie wenn der Boden anders atmete, die Luft anders trüge, als ob Land und Menschen auf einer anderen Resonanz schwängen, so schwebe ich dahin, in einer fernen Dimension aus Sein. Nie mehr wieder werde ich derartig empfinden und auch später den Moment kaum nachempfinden können, denn alles ist nur für den Augenblick gedacht, ist nur für diesen gültig, und alles ist einmalig einmalig. Und einmalig schwierig, das Bewusstsein hierfür zu halten.

      Andauernd werde ich angestarrt, besonders beim Halten an Kreuzungen treffen mich die Blicke regelrecht körperlich spürbar. Endlich erreiche ich die belebte Ausfallstraße. Besäße jemand welche, wäre kein Mensch glücklich über seine Fischaugen, aber ich hätte jetzt gern solche, denn in Sorge, von hinten aufgegabelt zu werden, muss ich mich unentwegt umdrehen. Aus diesem Missstand schlage ich den Nutzen, den Fängen der korrupten Polizei zu entkommen, die hier besorgniserregend oft am Straßenrand lungert. Nähere ich mich einem Polizisten, schaue ich nach hinten, um den auf mich zurollenden Verkehr zu beobachten, und übersehe dabei, bedauerlicherweise für den Polizisten, den Polizisten. Ein besonders ausgeschlafener dieser Spezies sieht mich schon von Weitem kommen, stürzt auf die Fahrbahn und wedelt mit seinem Leuchtstab. Ich erweitere meine Technik, drehe mich aufmerksam um und fahre schnurstracks rechts, also hinter ihm vorbei, wobei ich schon im Staub der Bankette lande. Darüber ist er so verdutzt, dass er im ersten Moment keine Anstalten macht, mich zu stoppen. Den zögerlich anschwellenden Pfiff hinter mir überhöre ich sicherheitshalber. Unterdessen ziehe ich mir in der Vorstellung so einiges aus dem Rücken und bin richtig erleichtert, als ich die geschätzte Reichweite seiner Kalaschnikow verlasse.

      Mit den Autobestandteilen und Zubehörartikel, die hier am Straßenrand verkauft werden, könnte man längstens nach zehn Kilometern ein komplettes Auto zusammenstellen und damit flugs eine Spazierfahrt machen, am besten gleich hier in der Gegend – wegen der Bestandteile.

      Gestern in Bischkek hatten wir noch über die offenen Abwassergräben gescherzt, wie leicht sie für einen Wodka-Verfallenen zur lebensbedrohlichen Fallgrube werden könnten, heute finde ich das gar nicht mehr lustig. Was sich da manchmal auftut! Diese Rinnen böten sich für den Abtransport von Tierleichen bestens an. – Straße und Straßenrand sind nämlich voll davon.

      So