Ausgerechnet Kirgistan. Adi Traar

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Название Ausgerechnet Kirgistan
Автор произведения Adi Traar
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783937881256



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Kirgistan nicht mehr aufzufallen, als es ohnedies unvermeidbar ist, habe ich mir vor der Reise eigens einen Vollbart wachsen lassen. Die paar Männer in der Moschee sollen die einzigen Vollbärtigen bleiben, denen ich auf meiner gesamten Reise begegne! Soweit zur Lage des Islam in Kirgistan. Noch dazu: In der kirgisischen Verfassung wird an keiner Stelle Bezug auf den Islam genommen.

      Wir fahren weiter. Wobei, fahren ist eindeutig geschmeichelt. Vollauf schockiert denke ich schon auf den ersten Metern, dass es Faris darauf angelegt haben muss, sein klappriges Schrottfahrzeug per Karambolage zu entsorgen – so wie er den engen Kontakt mit anderen, an der Hetze beteiligten Autofahrern sucht, so wie er Fußgänger anvisiert, aber alle wie durch ein Wunder unversehrt lässt. Bald werde ich das als Radfahrer auch zu spüren bekommen, denke ich und ergraue.

      Lange suchen wir nach halbwegs sauberem Benzin für meinen Kocher. Weder die vielen Straßenverkäufer noch Geschäfte führen so etwas wie Reinigungsbenzin. Also muss ich mich mit Autobenzin begnügen, wir fahren zu einer Tankstelle. Der Tankwart wundert sich nicht schlecht, beweist aber Fingerspitzengefühl beim Befüllen meiner kleinen Fläschchen. Was die (Über-) Lebensqualität der nächsten Wochen betrifft, würde mein Kocher wohl eine Schlüsselstellung einnehmen, und so wähle ich lieber eine hohe Oktananzahl. Bei der Gelegenheit lasse ich mein Gastgeberauto auch gleich volltanken. Beiden, Fahrer wie Auto, tut das merklich gut.

      Erst durch anhaltende Starrköpfigkeit wird meine Einladung zum Pizzaessen angenommen. Es ist ein gepflegtes Türkisches Restaurant, und obwohl Hunger und Auswahl an Pizzas groß sind, fuhrwerken Jasina und Faris zusammen an einem Stück Pizza herum, nippen an den Wassergläsern – Wein ging nicht durch – und zieren sich bei allem. Irgendwie werde ich die Sorge nicht los, das Gastrecht verletzt zu haben, indem ich als Gast sie als Gastgeber einlade. Fies irgendwie, sie haben heute so viel für mich getan und gönnen mir die Retourkutsche nicht. Ich versuche die Sache anzusprechen, ich hätte es sein lassen sollen. Sie bleiben bei Ausflüchten, das mache wirklich nichts, sie würden mich sowieso für immer hier behalten, und allein dadurch ändere sich an essentiellen Dingen wie Gastgeberpflicht sowieso einiges.

      Nichtsdestotrotz, die Pizza schmeckt, den köstlichen Salat kann ich nicht lassen. Meine Grundsätze („schäl es, koch es …“ – ach vergiss es) schwinden dahin; hoffentlich nicht Hand in Hand mit meinem Verdauungssystem.

      Viel später als gewollt kommen wir nach Hause und begegnen einer Gruppe trauriger Gestalten, die gerade den Hof verlässt; gäbe es eine Türklinke, hätten wir sie ihnen in die Hand gegeben. Es sind Verwandte, die eigens wegen mir gekommen sind, den ganzen Abend gewartet haben und jetzt enttäuscht abziehen. Wieder so ein anschauliches Beispiel in Sachen Gastfreundschaft und menschlicher Wertschätzung. Oder habe ich jetzt zu hoch gegriffen und sollte es einfach Neugierde nennen? – Oder sind das am Ende gar die bevorstehenden Feierlichkeiten anlässlich meiner Infamiliennahme? Es lohnt sich, wachsam zu bleiben. Überhaupt morgen. Morgen geht’s los.

      Wir sitzen auf der Terrasse des Hauses und frühstücken. Dabei sind wir umgeben von einer Unmenge an Frühstückskomponenten und Wespen. Die Fliegenpatsche des Onkels gehört zur Basis-Heimausstattung, heftige Knaller ohne jegliche Vorwarnung, abgelöst von kurzen Begeisterungsrufen begleiten unser sonst geruhsames Schlemmen. Das ganze Gemetzel hat nicht viel für sich, den Unterschied höchstens, dass die Wespen jetzt tot in der Marmelade landen.

      Die Mama hat über Nacht gebüffelt. „Du … Sohn … Ich … Mutter … Jasina, Faris … Bruder.”

      Aha. Mein Verdacht von gestern erhärtet sich. Infamiliennahme.

      Danach wird für mich gebetet, das rührt mich, noch nie haben fremde Menschen das für mich getan. Der Onkel betet vor, Jasina und ihre Mutter nehmen’s nicht so ernst mit der Ernsthaftigkeit des Wahrhaften; ihre Hände bedecken zwar das Gesicht, ihr Lachen können sie aber kaum verbergen. Ich tue es ihnen gleich und beobachte mal ergriffen, mal vergnügt die Szenerie, die mich allzu sehr an Glaubens(h)ausübungen im verchristeten Europa erinnert, nur dass es in heimatlichen Gefilden noch nie einem Gastgeber eingefallen wäre, für einen Gast zu beten. Dann werden mir – es handelt sich um ein ortsübliches Phänomen, wie ich schon weiß – Warnungen mit auf den Weg gegeben. Die bereits bekannte Palette wird durch Spinnen-, Schlangen- und Böserwolfsaufkommen erweitert. Man sagt mir auch genau, wie viel Geld ich maximal den korrupten Polizisten geben soll, um meinen Reisepass samt innerer Ruhe zurückzugewinnen, beziehungsweise um mein Leben und die Würde des Polizisten aufrechtzuerhalten.

      Eine Frau bringt die Zeitung, das wird gleich zum Anlass für ein ausgiebiges Schwätzchen genommen. Mir drängt sich der Vergleich zu den motorisierten, zeitungswerfenden Austrägern in der westlichen Welt auf. Diejenigen, die in unseren Augen laufend ihre Zeit vergeuden, haben sichtlich keine Zeitnot und folglich ein Problem weniger als wir. Sie gewinnen einen schier unendlichen Raum ohne Korsett aus Zeit. Als die Frau nach langer Zeit wieder geht, frage ich mich, ob sie nicht schon den gesamten Inhalt der Zeitung vorweggenommen und sich damit ihrer Funktion enthoben hat.

      Nachdem ich morgens Katja angerufen hatte und sie uns den Weg genauer beschrieb, finden wir heute Tien-Shan Travel auf Anhieb. Hinter einem verriegelten, eisernen Einfahrtstor ohne Firmenschild (so eines sei zu gefährlich, wie man mir später erklärten wird) verbirgt sich so manches: kläffende Hunde, die leidige Abkommen mit den zahllosen, hier ansässigen Katzen geschlossen haben müssen, ein abenteuerlich genutzter Geländewagen, ein Bus, der als jemandes Schlafgelegenheit herhalten muss, und ein Haus mit einem überraschend netten Büro und einer ebensolchen Katja. Endlich jemand, der mich vor nichts und niemandem warnt. Sie ist tatsächlich die Erste, die versteht, dass ich das alles machen muss und so gesehen nicht zu halten bin.

      Diese Abenteuerlust, die zur Sucht ausarten kann, woher kommt sie nur? Vermutlich auf gemeinsame Anregung von linker und rechter Gehirnhälfte aus einem diffusen Raum irgendwo dazwischen. Manchmal orte ich sie als ein kugeliges Brennen zwischen Bauch und Brust, dem Graubereich zwischen Empfindlichkeit und Stolz. Obendrein muss sie herhalten als Kompensation eines daheim ins Stocken und Einfrieren geratenen Selbst-Managements in Sachen Lebenskrisen und derer Nachwehen. Unterwegs an der frischen Luft gerät der ganze Seelenkrimskrams wieder in Aufruhr, holt mich oft genug ein, verschanzt sich irgendwo weit vor mir, um mich abzupassen, und wirft sich mir mit herausgestreckter Zunge schonungslos vor die Räder. Und das gibt Komplikationen mit Beulen nach innen. Ich fürchte auch, die Abenteuerlust entsteht unweit der Bastard-Geburtenstation der Kriegslust (die Gedenkstätte des Heldenfriedhofs ist auch nicht weit), jener Lust also, der man anno dazumal ungeniert und offenherzig frönte, solange das Morden, entkeimt und desinfiziert von Angst und Schrecken, in den Köpfen der dummen Kriegsfreiwillen stattfand; Krieg – fiktiv und blutleer. Wo also auch immer dieser Erlebnishunger herkommt, noch viel weniger weiß ich, wo er eines Tages hinführt; wobei ein kirgisischer Straßengraben oder eine pakistanische Gefängniszelle sicherlich zu den behebbaren Übeln zählen dürften.

      Ich bekomme mein provisorisches Permit ausgehändigt, das ich für die Durchfahrung der abgelegenen kasachischen Grenzregionen benötige. In Karakol wartet eine Kontaktperson auf mich, die die Behördengänge erledigen und mir den offiziellen Erlaubnisschein übergeben wird.

      Das alles nimmt viel Zeit in Anspruch, und vor allem, der Morgen schlendert allzu gemächlich aus der Obhut der Nacht und wird im Nu vom Mittag überrumpelt. Ich beschließe, erst am nächsten Tag loszufahren. Denn, dass es einfach nur blöd ist, um zwölf Uhr aufzubrechen und dabei Gefahr zu laufen, gleich in der Mittagshitze umzukommen oder später in der Dunkelheit in irgendeinem Straßengraben, weiß ich auch ohne mir zugetragener Warnungen. Jasina freut sich sehr, ich mich im Grunde auch, trotz des verloren gegangenen Tages. Andererseits gewinne ich ein bisschen Zeit, die ich für Gisi verwenden kann.

      Im Innenhof der Pension kontrolliere ich sorgfältig ihre Schrauben und Befestigungen, diverse Bestandteile vertragen eine Feinjustierung. Dann radle ich auf ein paar Metern Probe und – upsala-aditraa – Gisi macht sich selbstständig, wir machen einen kleinen Ausritt der mit Abwurf endet – ich habe tatsächlich vergessen, den Lenker zu fixieren. Gut, dass mir das nicht im halsbrecherischen Straßenverkehr passiert ist – wenngleich; ob Selbstmord durch