Altstadt-Blues 2.0. Waltraut Karls

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Название Altstadt-Blues 2.0
Автор произведения Waltraut Karls
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783961455577



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Klamottenberg, der sich auf dem platzbietenden Rattanschaukelstuhl türmte.

      »Ordnung ist das halbe Leben…«; hörte sie im Geiste ihren korrekten Vater dozieren und ihre lässige Mutter vermitteln:

      »Wer Ordnung hält, isch nur zu faul zum suche!« Sie nicht! Da war es schon und absolut tragbar. Ein heftiges »Danke« an die Erfinder knitterfreien Materials. Wimperntusche in Intense Black, einen Klacks des genialen Consealers auf den rosa aufblühenden Pickel an der Nase und der zartrote Gloss-Lippenstift. Perfekt. Ungeschminkt in Naturpur-Look wie heute Morgen verließ Mona fast nie das Haus. Der Hund lag bequem in seiner Kuscheldecke vergraben, augenscheinlich wunschlos glücklich.

      »Pass schön auf die Wohnung auf. Ich komme bald zurück«, trug sie ihm auf, während sie noch kurz seine Lieblingsstelle am Hals kraulte. »Mach mir keine Schande, bis nachher, Troll!«

      *

      Quer durch die Fußgängerzone wuselte es ameisenhaft. Samstags Normalzustand und heute bei strahlendem Wetter und wegen des Johannisfestes entsprechend mehr. Mona schob sich durch die Massen bis zum fachwerkgeschmückten Weinhaus auf der Ecke zur Heiliggrabgasse, die zum Bischofsplatz führte. In dieser lauschigen Weinstube pflegten wohl einige Rentner ihren Zeitwohnsitz. Zu Anfang ihrer Mainzzeit, beim fünften Anlauf darin einen Platz zu ergattern, waren Micha und sie endlich fündig geworden. Doch statt des Kellners, der ihnen die Speisekarte offerierte, erschien ein rechts und links grüßendes, sehr reifes, gemischtes Dreiergespann und behauptete empört, die Studenten blockierten ihre gewohnheitsrechtlichen, langjährigen Stammplätze, die umgehend zu ihren Gunsten zu räumen wären. Danach hatte es sie beide nie wieder gereizt, einen weiteren Versuch zu starten.

      In der etwas ruhigeren Gasse, vis à vis von Sparkasse und dem edlen Weinladen, vor dem alljährlich gleich platzierten Toilettenwagen, thronte die Toilettenfrau auf ihrem Hocker, traumverloren in einer zerfledderten Vogue blätternd. Neben sich einen antiquarischen Pinkelpott aus Porzellan deponiert, mit kleinen Blümchen darauf und einigen Münzen darin, harrte sie geduldig des Ansturms notdürftiger Kundschaft, der unausweichlich später erfolgen würde. Um die bronzene Bischofsskulptur waren die vielen Stände bereits stark frequentiert von durstigen Gästen. Die aufgebaute Bühne für die spätere Live-Musik lag verlassen, nur ein Konservensong, der angeblich niedlichsten Versuchung, seit es Blondinen gab, der Australierin Kylie Minogue, schallte über den lauschigen Platz mit dem efeuüberwucherten Parkhaus. Geradeaus, durch die Gasse zwischen Paxbank und Bereitschaftspolizei hindurch, eilte Mona schnellen Schrittes zum Ballplatz, wo gerade ein Zauberer im blau beleuchteten Szenario, Eltern, Großeltern und Kindern mit Magischem verzauberte. Der Johannis-Büchermarkt, täglich von zehn bis zweiundzwanzig Uhr geöffnet und von Leseratten jeden Alters umlagert, lief bereits auf Hochtouren. Monas Blick schweifte suchend über die besetzten Tische des Cafés, als Simone ihr zuwinkte, lachend aufstand und stehen blieb, bis sie durch die knappen Abstände zu ihr hinlangte.

      »Hi, Mona!« Küsschen rechts und Küsschen links.

      »Hi! Wartest du schon lange?«

      »Nein, gerade gekommen und noch nichts bestellt. Gut siehst du aus.« Kaum hatten sie Platz genommen, erschien die Bedienung und Simone bestellte: »Zweimal Latte macchiato, bitte.«

      »Gerne! Die Latte, mild oder würzig, typisch italienisch oder sortenrein?«, fragte das Mädel.

      »Wusste nicht, dass es solche Unterschiede gibt, aber ich denke, sortenrein hört sich gut an, oder?«

      Simone blickte fragend zur Freundin, die zustimmend nickte.

      »Okay, aber mit viel Zucker, bitte«, rief Mona der Serviererin noch hinterher, die zum nächsten Tisch weiter gegangen war.

      »Du Zuckerschnute! Wohl immer noch nicht süß genug?« Zuerst die Zigaretten und die Handys auf den Tisch, dann ihr kleines Ritual bei jedem Treffen. Simone gab Mona Feuer und umgekehrt. Simone bevorzugte Menthol-Zigaretten, die Mona immer Kopfschmerzen bescherten, sie selber war leicht süchtig nach den schlanken Caprice, fast genauso süchtig wie nach glibberig, grüner Götterspeise. »Und? Wie ist es dir ergangen?«

      Simone Gebert (Monas beste Freundin)

      Letzte Woche hatten sich die Freundinnen nicht gesehen. Die Freundin bezeichnete sich als zufriedene Inhaberin eines raren Halbtagsjobs, als PR-Frau im Amt für Öffentlichkeitsarbeit der Stadt; recherchierte viel und schrieb hauptsächlich Texte für deren Internetauftritte. Ihr Ehemann Holger hatte eine leitende Position inne, als Polizeibeamter im gehobenen Dienst des Bundeskriminalamts in Wiesbaden, aber was genau er dort machte, wusste Mona nicht. Die jungen Frauen hatten sich vor einem Jahr in der Uniklinik angefreundet, als Leidensgenossinnen eines geteilten Doppelzimmers. Dessen traute Gemeinschaft durften sie auch nach fünf Tagen gemeinsam verlassen, allerdings ohne den überflüssigen Wurmfortsatz, üblicherweise auch als Blinddarm bezeichnet. Diese Ausnahmesituation, wo völlig fremde ihre Privatsphäre dem zufälligen Zimmergenossen manchmal so öffneten wie selten im normalen Leben, erwies sich für sie beide als Glücksfall. Denn sie wurde zum Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Monas allererste, abschreckende Klinikerfahrung im Frühjahr gleichen Jahres wurde dadurch glücklicherweise amortisiert. Der fürchterliche und nervige Aufenthalt neben einer quengeligen Bettnachbarin, der dauerschwitzenden und vollschlanken Frau Speck. Im März hatte sie sich einen schmerzhaften Abszess an der Pobacke erritten, der stationär behandelt und exzidiert werden musste. Dieser war die unerwünschte Folge eines Schnupperkurses für Reitanfänger im Wiesbadener ›Adamsthal‹, welcher zur Vorbereitung für Reiterferien in Andalusien dienen sollte. Micha hatte diese spanische Region zum gemeinsamen Urlaubsziel des Sommers erkoren und letztendlich alleine genossen – drei Monate nach ihrer Trennung. Von dieser Frau Speck wurde Mona bereits am ersten Abend als »Eule« eingestuft und nebenher noch, gebetsmühlenartig, über deren sämtliche Wehwehchen informiert.

      Allmorgendlich um halb fünf weckte sie die Studentin unsanft durch Klopfen aufs Fußteil und ein lautes »Gudemorjen,« nachdem sie nachts die Heizung abgedreht und alle Fenster klimakteriumsbedingt weit aufgerissen hatte. Als Krönung pochte diese »Lerche« tagtäglich nach der Tagesschau auf ihr Ruherecht als Schwerstkranke, aufgrund höllisch brennender Hämorrhoiden oder wuchernder Divertikel. Danach folgte immer das herrische Verlangen nach »AUS!« von Licht und Fernseher, um sofort fürchterlich sägend in einen todesähnlichen Tiefschlaf zu versinken. Vier endlos erscheinende Tage und Nächte inklusive zahlreicher Versionen der »speckigen Krankheitschronik« und stets identischer Telefonate der Nachbarin mit verschiedenen, scheinbar Schwerhörigen schleppten sich dahin – bis zu Monas Entlassung. Die Studentin hatte die nörgelnde Matrone inbrünstig und von Herzen unzählige Male zum Teufel gewünscht, aber der wollte sie wohl auch nicht.

      *

      Der Kaffee mit aufgeschäumter Milchkrone und tatsächlich sechs Päckchen Zucker wurde prompt geliefert.

      »Lecker!« Ihre Freundin erzählte vom viertägigen Besuch ihrer Schwiegermutter Ingrid, mit der sie sich, entgegen jeglicher Volksmundunkerei, gut verstand, obwohl Holger ihr einziger Sohn war. Natürlich erwartete diese immer viel Aufmerksamkeit und Unterhaltung, was für Simone dann doch zu gewissem Stress ausartete, neben ihrem Job und dem Putzmarathon vorher. Und nicht zu vergessen, die immer wiederkehrende, nervige Frage nach einem Enkelkind. Seltsamerweise glänzte Holger in dieser Zeit für die Dauer ihres Besuchs durch Abwesenheit, angeblich stets arbeitstechnisch bedingt. Auf Schwiegermamas Wunsch und ihrer gönnerhaften Einladung waren sie am letzten Mittwoch gepflegt verköstigt worden. Im Edellokal mit pompösem Ambiente und vielen Blumen, Kerzen und Kristalllüstern, welches Ingrid mit Gatte Hans-Hermann vor vielen Jahren entdeckt hatte. Das Essen war überaus schmackhaft, obwohl die salzigen Austern, die sie als ‚hors d’oeuvre’ orderte, ihr einen kurzfristigen Schüttelfrost bescherten, der aber durch den Aperitif, ein 0.1l Gläschen Winzersekt mit Pfirsichlikör im edlen Glas zu sechs Euro, schnell ausgesöhnt wurde. Weshalb sie sich auch ungeniert drei davon zu Gemüte führte.

      »Ein rundherum gelungener Abend, nicht eben preiswert, aber das war er absolut wert«, hatte Ingrid abschließend auf dem Heimweg befriedigt resümiert. Dass ihre Schwiegereltern keinesfalls am Hungertuch nagten mit der Pension eines emeritierten Inhabers einer C-Professur, hatte Simone Mona bereits in der Klinik anvertraut. Ingrid verlegte ihre Abreise