Altstadt-Blues 2.0. Waltraut Karls

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Название Altstadt-Blues 2.0
Автор произведения Waltraut Karls
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783961455577



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über den Boden schleifte. In der Dunkelheit konnte Mona nicht sehen, was er gefunden hatte, weil er mit der Nase darüber gebeugt, schnüffelte. Sie schob ihn zur Seite, so gut es ging, sah etwas aufblinken und erkannte im schwachen Mondlicht schemenhaft die Umrisse eines Fotoapparates. Wer warf denn so ein Teil weg? Vielleicht defekt? Oder gestohlen und hierher entsorgt. Beherzt entwand sie die Kamera Trolls Gebiss und hängte sie mit dem Gurt über ihre Schulter.

      »Du guckst zu viele Krimis, Mona«, sprach sie sich halblaut selber Mut zu und wollte den Hund, der erneut nach oben zog, gerade von der Leine lassen, als es oberhalb hinter den Büschen deutlich raschelte. Atmete da einer? War da jemand?

      *

      Troll stand jetzt völlig regungslos, die Ohren aufgestellt und schaute fragend zu ihr. Eine Gänsehaut kroch Mona die Arme hinauf bis in den Nacken. Sie traute sich kaum zu schnaufen und das flaue Bauchgefühl wurde jetzt so übermächtig, dass keine zehn Pferde sie mehr zu halten vermochten. Bloß weg von hier! Sie zerrte mit Mühe an Trolls Halsband, der jetzt wieder knurrend und heftig in Richtung Zitadelle zog, und schleifte ihn fast ein Stück der Straße. Dann rannten sie im Laufschritt hinab wie von imaginären Furien gehetzt. Die Kamera schleuderte wild über Monas Schulter, bis sie endlich die Plätze erreichten, wo die Menschen feierten. Keiner beachtete sie, alle waren mehr oder weniger wein- oder bierselig. Noch immer außer Atem schloss Mona die Haustür auf und drückte den Schalter der Treppenhausbeleuchtung. Sie beugte sich nach unten, um den Hund von der Leine zu klinken, als ihre Entdeckung sie erstarren ließ. Die weißen Muster an ihrem schwarzen Kleid schillerten rund um die rechte Taillenseite, rot – blutigrot!

      Verdammt, das konnte nur von Trolls Fundstück stammen. Tatsächlich! An der verkratzten Digitalkamera (wie Mona gerade registrierte, war es eine!) klebten noch verschmierte Reste von leicht verkrustetem Blut. Angeekelt und mit leichter Übelkeit in der Magengegend, aufgrund ihrer Aversion gegen den Anblick von Blut, nahm Mona das Band vorsichtig von der Schulter und transportierte die Kamera an zwei Fingern des ausgestreckten Arms pendelnd die restliche Treppe hinauf. Am liebsten würde sie den blutigen Apparat durchs offene Fenster auf die grölenden Heimkehrer werfen, dann könnten die sich damit befassen. Heute war wirklich kein Glückstag. Eigentlich müsste sie jetzt noch bei der Polizei anrufen, ihren Namen nennen und ALLES erklären… Was tun? Sie hatte so gar keinen Nerv mehr dafür, fühlte sich hundemüde und völlig erschlagen.

      ›Verschieben wir’s auf morgen!‹

      Dieses Motto von Scarlett O’Hara in, ›Vom Winde verweht‹, hatte Mona von klein auf fasziniert und genauso – würde sie dieses kleine Problemchen jetzt auch händeln.

      Samstagnacht, drei Uhr dreißig.

      Völlig verschwitzt erwacht, fühlte Mona sich bleischwer wie ein feuchter Zementsack. Schlagartig überfiel sie der Gedanke an die Kamera, die sie auf dem Papierberg an der Eingangstür deponiert hatte, direkt neben den schmutzigen Turnschuhen vom verregneten Spaziergang am Rhein. Sie sollte mit jemandem darüber reden. Vielleicht hätte sie doch besser noch angerufen. Womöglich hatte der Dieb noch hinter den Büschen gehockt, nachdem er einen Mann oder eine Frau beraubt hatte. Bei Simone konnte sie eigentlich zu jeder Uhrzeit durchrufen. Aber die lag entweder sektselig schlummernd neben ihrem Holger im Bett oder sie liebten sich gerade unbefangen und hemmungslos in der ersten Nacht, wo die Schwiegermutter abgereist war und nicht vom Nebenzimmer, die Rhabarberohren ausklappte zum großen Lauschangriff. Wen könnte Mona sonst noch…?

      Micha fiel ihr ein, doch der war in weiter Ferne und sicherlich mit spannenderen Dingen beschäftigt bei seiner aktuellen Weltreise. Eine große Ehre, als Kameramann beim Dreh dabei zu sein am Fuße des Himalaja Massivs im kleinen, angeblich so glücklichen Königreich Bhutan, zwischen Indien und China gelegen. Die ZDF-Crew war das erste ausländische Fernsehteam, dem der Zutritt vom König gestattet wurde, wie er ihr voller Stolz gemailt hatte. Keine Ahnung, wie es dort mit einer Zeitverschiebung aussah, oder ob er noch wach war? Egal, falls er keine Störung wünschte, würde sich die Mailbox melden. Ihn durfte sie jedenfalls immer anbimmeln mit diesem Tribandhandy fürs Telefonieren nach Übersee. Eh ein Geschenk von ihm und natürlich mit seiner ausdrücklichen Erlaubnis.

      »Michael Berens. Hallo?«

      »Micha? Gott sei Dank! Du schläfst noch nicht? Hier ist Mona.«

      »Hallo Prinzessin, (SO nannte er sie immer noch!) wo brennt es denn? Ist etwas mit Troll?«

      Wegen der beträchtlichen Gebühren bei Auslandsgesprächen spulte Mona die Geschichte hastig herunter.

      »Den Notruf – die 110 – kannst du jederzeit anrufen. Mach’s am besten gleich, nicht so lange überlegen, dann hast du es hinter dir. Unangenehme Dinge sollte man nicht auf die lange Bank schieben, vielleicht gibt es eine ganz simple Erklärung dafür«, riet er ihr. Sein Pragmatismus war wirklich manchmal sehr hilfreich, obwohl er sie in ihrer Beziehung oft damit genervt hatte. Sicherlich entsprach es einer Tatsache, dass Mona sich immer zu viele Gedanken machte.

      »Meinst du wirklich? Na gut, ich halte dich auf dem Laufenden. Wie läuft’s denn bei euch? Alles okay?«

      »Alles paletti! Super, traumhaft gigantisch und ein bisschen hinterm Mond hier. Ich werde dir ausführlich berichten, wenn wir zurück sind. Was treibt Troll, benimmt er sich?«

      »Klar, wie immer. Viele Grüße von ihm. Danke für deinen Rat und bis bald. Ciao.«

      »Ciao Bella und viel Glück beim Anrufen.«

      Oh yeah! Derart aufgekratzt und die Superlative überschlugen sich ja fast, dachte sie verwundert, war es wirklich so toll dieses Land? Troll blickte sie an, als wollte er sagen:

      ›Mach nicht so einen Bohai mitten in der Nacht, es ist schließlich Schlafenszeit!‹

      *

      Etwas nervös drückte Mona die Tasten des Telefons.

      »Notruf hier. Wer spricht?«, meldete sich eine sonore Stimme.

      »Hier ist Mona Blume und ich habe heute Abend eine blutige Digitalkamera gefunden, als ich mit dem Hund Gassi war.«

      Sie sprach zwar sehr schnell, aber der Mann hatte alles verstanden.

      »Geben sie mir bitte ihre Anschrift und beschreiben sie den Ort, wo und wann sie das Fundstück entdeckt haben. Moment, ich habe hier eine Monika Blume, Augustinerstraße 29. Sind sie das?«

      »Ja, klar. Entschuldigung, aber alle nennen mich nur Mona.«

      Die Studentin beschrieb detailliert den Platz nahe der Zitadelle, den Part des Hundes und die Uhrzeit. Sogleich folgte die nächste Frage.

      »Wo befindet sich die Kamera momentan?«

      »Ich hab sie mitgenommen.«

      »Wir kümmern uns darum, sie hören von uns.«

      Ihre Bürgerpflicht war getan und den klebrigen Fotoapparat würden sie sicher morgen abholen. Damit dürfte der Fall für sie erledigt sein, dachte Mona blauäugig und kuschelte sich wieder ins noch warme Bett.

      Sonntagmorgen, 26. Juni

      Pustekuchen! Um sechs Uhr klingelte es Sturm. Troll sprang auf, trabte an die Tür und bellte, so laut er konnte.

      »Ruhig, Troll!« Obwohl es Mona sehr recht war, wenn er bei jedem Klingeln heftigst Laut gab, denn die lästigen Zeugen Jehovas hatte er irgendwann auf diese Art nachhaltig vertrieben, scheinbar für immer.

      »Ja«, grummelte sie in die Sprechanlage.

      »Hier ist die Polizei. Wir haben einige dringende Fragen, öffnen sie die Tür und sperren sie den Hund weg.«

      Mona eilte zum Fenster und schaute hinunter. Tatsächlich, vor dem Haus warteten zwei uniformierte Polizisten in grünen Jacken, khakifarbenen Hosen, mit weißgrünen Helmen und Funkgeräten in den Händen. Schnell wickelte sie den geblümten Kimono übers Schlafshirt und betätigte den Türöffner. Troll schob sie vorher ins Bad, wo er weiter ausgelassen kläffte, knurrend und kratzend dabei seine Krallen in der Tür verewigte, als die Beamten mit gezückten Ausweisen die Wohnung betraten.

      »Wo ist