Altstadt-Blues 2.0. Waltraut Karls

Читать онлайн.
Название Altstadt-Blues 2.0
Автор произведения Waltraut Karls
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783961455577



Скачать книгу

Gutenberg täuschend echt in Originaltracht verkleidet. Zum Glück war es sehr heiß draußen, weil die nassen, fast transparenten Shirts beim Aussteigen aus der Bütte gesetzmäßig, hochgerutscht am Körper klebten. Wenn dabei als Nebeneffekt und Augenschmaus, ein Stück nackter Haut, ein brauner Bauch oder gar ein paar spitze Brustwarzen der weiblichen Täuflinge aufblitzten, regnete es verstärkt »Standing Ovations« und anfeuernde Rufe:

      »Zugabe! Zugabe!«

      *

      Eine Weile verfolgten die Freundinnen das Spektakel auf der Bühne, bis Simone Mona anschubste:

      »Ich könnt’ jetzt was essen, wie sieht’s bei dir aus?« Auf dem Domplatz und entlang der Ludwigstraße bot sich alles, was das Herz begehrte. Die beliebten Thüringer, Rinds-, Brat- oder Currywürste, Spießbraten mit Röstzwiebeln, Champignons in Rahm, frittierte Blumenkohlröschen, massige Pizzen, Maiskolben mit Knobibutter, Fischbrötchen mit Echt- oder Ersatzlachs, fettknusprige Reibekuchen mit Apfelmus und, und, und… und natürlich noch klebrige Kalorienbomben wie gebrannte Mandeln, Popcorn&Co. Sie entschieden sich für gegrillten Prager Schinken mit Kraut und ließen sich mit den dick belegten Brötchen auf den verfügbaren Holzbänken nieder.

      »Da kriegt man ja Maulsperre!«

      »Aber tierisch lecker – besonders die knackige Kruste«, murmelte Mona mit vollem Mund, während Simone die Schinkenstücke aus dem Brötchen fingerte und genüsslich in den Mund schob. Das angestrengte Kauen bis zum letzten Krümel verhinderte jegliche Unterhaltung.

      »Jetzt hab ich Durst, und du? Cola?«

      Mona nickte, während sie die letzten Bissen herunterschluckte. Simone besorgte am Nachbarstand zwei eisgekühlte Coca Colas mit Strohhalmen und stellte sie vor ihnen ab.

      Ein langer gieriger Schluck und…

      »Jetzt ‘ne Zigarette. Geht es uns wieder gut heute.«

      Ein Blick in den ovalen Taschenspiegel bestätigte Monas Vermutung, am Mundwinkel klebte Senf und der Lipgloss musste erneuert werden. Ein braun gescheckter Hund, plötzlich am Tisch aufgetaucht, schob schnuppernd seine feucht glänzende Nase neben die fettigen Servietten, was Mona mit schlechtem Gewissen, Troll ins Gedächtnis rief.

      »Ich muss unbedingt mal nach Hause. Troll ist sicher schon am Kneifen.«

      »Okay, ich komme mit, danach können wir ja noch mal los.«

      Es war nicht leicht, sich vorwärts zu bewegen zwischen den vielen Menschen und wie erwartet, stand er schon kläffend an der Tür, als Mona aufsperrte.

      »Scheint dringend, also stürmen wir die Zitadelle.«

      Zu dritt quetschten sie sich durch die Fußgängerzone, umrundeten die klatschende Passantentraube, die sich hingerissen um einen kleinen Jungen und sein wildes, ohrenbetäubendes Bongogetrommel vor einem CD-Laden gescharrt hatte. Die lang andauernde, monotone Penetranz genau dieser Vorführung war Mona bereits ein Begriff durch Ilse, die eigentlich sehr nachsichtig war. Aber genau über jenen Dschungelsound hatte sie sich des Öfteren mächtig echoviert, was Mona schlagartig absolut nachvollziehen konnte.

      *

      »Super idyllisch hier oben. Wie lange existiert diese Holzpyramide mit dem klappernden Windrad denn schon?«

      Simone war länger nicht dort gewesen.

      »Null Ahnung, aber angeblich stand vor über hundert Jahren, hier schon mal eine Windmühle und daran soll das neue Bauwerk erinnern. Der unförmige Silberschlauch, an dem die Kids herumturnen, ist eine Rutschbahn.«

      »Cool! Überhaupt, hier gibt’s wirklich viele Möglichkeiten zum Toben, auch sonst ist einiges bewegt worden von meinem Brötchengeber. Wusste ich gar nicht.«

      »Tja, wenn der von Schwiegermama Ingrid SO heiß herbei gesehnte Enkel endlich da ist, dann könnt ihr euch ja in einer der tollen Villen gegenüber einmieten. Hier oben ist die Welt nämlich noch in Ordnung.«

      »Unbedingt! Ha, ha, wohl einen Clown gefrühstückt?«

      »Nö. Aber gestern hab ich über eine aufschlussreiche, angeblich wissenschaftliche Studie gelesen. Bei dringlichem Nachwuchswunsch soll man jeden Tag Sex praktizieren, weil häufiger Verkehr die Spermien stärkt, nicht wie früher angenommen, sexuelle Enthaltsamkeit.”

      »Von wegen dringlich! Hast du das aus dem »Playboy«? Hat sicher ein Redakteur verfasst, um die Dauerlüsternheit mancher Kandidaten zu legitimieren.”

      »Nein, ich glaube aus der Brigitte.”

      »Okay, dann geb ich das weiter an Holger, wenn er völlig groggy aus dem Büro kommt”, lachte Simone,

      »Oder an Ingrid, damit sie uns bei der nächsten Visite, nicht wieder unsere Intimsphäre vermiest.”

      Zuhause schob Mona einen getrockneten Knabberschuh aus Rinderhaut vor Trolls pelzige Pfoten.

      »Hmh, lecker. Für den braven Hund. Bis nachher, Süßer.«

      Sie tauchten wieder ein in den Trubel Richtung Weindorf am Leichhof, wo Simone einen Ex-Kollegen der netteren Art entdeckte, welcher dort einen Stand betrieb und ihnen zuwinkte.

      »Hallo ihr Hübschen, womit kann ich die Damen denn verwöhnen?« Ein gegenseitiger Blick genügte.

      »Ein Gläschen Sekt wäre nicht zu verachten.« Es wurden zwei/ drei/vier Gläschen daraus, die Stimmung stieg, der Blutdruck auch. Holger, von Simone zwischendrin informiert, war kurze Zeit später in Begleitung einiger Kollegen samt Anhang gut gelaunt zu ihnen vorgedrungen. Anfangs gestaltete es sich sehr lustig mit der zusammengewürfelten Truppe. Es wurde viel gelacht und flotte Sprüche wechselten die Seiten, doch mit stetigem Alkoholkonsum schmusten sich die Pärchen immer mehr auf Tuchfühlung. Mona fühlte sich zunehmend isoliert als einzige Singlefrau und ihrem pfundigen Standnachbarn ausgeliefert, der in Karohose und Lederblouson gequetscht, immer scheinbar beiläufig ihren nackten Arm tätschelte mit schweißiger Hand. Und dem Wirt dazu wieder einen zwei- bis dreideutigen Joke zum Besten gab. Um halb zwei Uhr reichte es ihr.

      »Ich mach mich los, bin ziemlich K.o. Wir telefonieren morgen.« Das Übliche, »Bleib doch noch, ist grade soo gemütlich.«

      »Nö – keinen Bock mehr.« Küsschen rechts und links – von Holger auch, die anderen winkten, »CIAO!«

      Knutschende Pärchen, grölende Teenies, überall scheinbar glückliche Menschen in ausgelassener Stimmung. Monas Laune rutschte schlagartig in den Keller und sie sehnte sich nur nach ihrem Bett. Troll winselte ihr herzerweichend entgegen.

      »Nein, bitte nicht schon wieder, du Nervensäge.« Er kaute auf seiner Leine und guckte flehend. So sehr wie sie Troll mochte, doch gerade wünschte Mona nichts sehnlicher, als dass Micha da wäre und sich um sie beide kümmern würde. Und sie vielleicht tröstend in den Arm nähme… Sie tat sich selber so leid, aber es half nichts. Lustlos hängte sie ihren Rucksack an die Stuhllehne und ergriff den Haustürschlüssel.

      »Na los, komm, du haariges Monster.«

      *

      Entlang der Straße und der kleinen Gärten der Villen war es ruhig, dunkel und seltsam unheimlich heute Nacht. Vielleicht entstammte das mulmige Gefühl in ihrem Bauch, ihrer bleiernen Müdigkeit oder ihrer momentanen Souterrain-Stimmung? Unten tobte noch immer der Bär. Hier oben zeigte sich keine Menschenseele, nicht einmal ein übrig gebliebener Fan vom Meat Loaf-Konzert. Kurz vor Monas Golf sprang Troll unvermittelt und unbändig hoch, zerrte wie besessen an der Leine, fast bis zur Selbststrangulation, und bellte. Was wollte er denn nur?

      SO benahm er sich nie, wenn es noch so heftig drückte. Er zog sie mit all seiner Kraft bis ans Auto und streckte den schwarzen Kopf weit unter die Kühlerhaube. Vermutlich wieder so ein junger Igel, dachte Mona, wie der letzthin im Volkspark unter dem hellgrünen Ginkgo Baum, welcher kurioserweise zur Gattung der Nadelbäume gehört und als Glückssymbol in China gilt, weil er angeblich unbeschadet den Atomkrieg in Hiroshima überlebt hat. Oder doch ‘ne fette Stadtratte, die überall nachts durch die Altstadt huschen, aber eine von den echten Nagern und keine Taube,