Altstadt-Blues 2.0. Waltraut Karls

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Название Altstadt-Blues 2.0
Автор произведения Waltraut Karls
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783961455577



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sog sie begeistert auf. Wie jene vom kleinwüchsigen, verhärmten Italiener im zweiten Stock der gegenüberliegenden Straßenfront.

      Jedes Mal, sobald Ilse es wagte sich mit Freundinnen am Fenster zu zeigen, fühlte sich dieser Kretin scheinbar zu halböffentlichem, wildem Onanieren animiert, die markante Region zusätzlich beleuchtet durch einem verbeulten Spotstrahler. Was stets so lange reibungslos, bzw., eher reibungsvoll bei ihm ablief, bis ein rohes Ei an seinen verwitterten Fensterflügeln zerbarst und mit klebriger Schleimspur zerfloss. Gezielt platziert von Ilses studentischem Nachbar im dritten Stock, untermalt durch lautes Beifall-Geklatsche eines Konzertmitschnitts aus seiner Anlage, welche er zur Untermalung der kostenlosen Peepshow so lange erdröhnen ließ, bis die wohlgenährte, italienische Mama wutschnaubend aus dem Nachbarzimmer der engen Wohnung emportauchte. Sie zerrte ihren ‚Onani’ hastig von der Bildfläche und verschloss Fenster und Gardinen blickdicht.

      Oder die von zwei feministisch angehauchten Studentinnen im gleichen Haus, die Ilses dreizehnjährigen Sohn samt Freund eines Abends mit anstachelnden Sprüchen quer über die Straße in ihre Wohnung lockten, um den Teenies eine Metallreibe vom Flohmarkt in die Hände zu drücken mit den Worten,

      »Macht’s euch selber, Männer«: Umgehend schickten sie dann die verdutzten Jungs samt Reibe zurück. Wohl eine Reaktion auf deren neugierige und pubertäre Blicke in die gut einsehbaren, gardinenlosen Fenster, unter denen sich die Mädels anschließend lachend auf der Matratze kugelten.

      Ebenso diverse Storys über den quirligen, italienischen Familienclan, der sich Jahr um Jahr zahlenmäßig vergrößerte und das enge, nachbarliche Hinterhaus bevölkerte, welches im Zweimeter Abstand zum Haupthaus errichtet war. Im Winter kühlten sie ihre Vorräte in aufgeschnittenen Plastikkanistern auf der Fensterbank und im Sommer kurbelten »la Madre« und »la Nonna« abwechselnd und tagtäglich die Wäsche mittels einer abenteuerlichen, mechanischen Rollenkonstruktion zum übernächsten Hinterhof. Dort hauste mehr als wohnte scheinbar ihre Verwandtschaft, wie man den lebhaften, fast maschinengewehrartigen Unterhaltungssalven entnehmen konnte, die, zumindest die Hälfte des Tages, quer über den Hinterhof schallten. Durch die plastische Schilderung der pittoresken Altstadtarchitektur und ihrer Bewohner in den siebziger Jahren vermittelte Ilse immerzu einen Hauch ihres ganz persönlichen Mainz-Eindrucks an Mona, die jedes Detail begeistert aufsog. Die Studentin verklärte die überlieferten Momentaufnahmen schwärmerisch zu einem Fin de siècle-Flair, welches sie bedauerlicherweise nicht mehr hatte erleben dürfen aufgrund der umfassenden Altstadtsanierung.

      Das anheimelnd nostalgische Bild, welches ihr Ilse irgendwann beschrieben hatte, » …als über viele Jahre aus dem Rundbogenrahmen der Dachluke im unbewohnten Hinterhaus, ein dickwangiger, barock vergoldeter Putto, seinen Blick verträumt in mein Küchenfenster richtete«, konnte sie bereits zu einer zart pastellfarbenen Illustration verarbeiten. Mona mochte Ilse und deren häufig poetische Ausdrucksweise gefiel ihr sehr. Obwohl die ungleichen Freundinnen bei Unterhaltungen regelmäßig befremdliche Blicke und Tuscheln der Nachbarn ernteten. Besonders auffällig vor dem italienischen Eiscafé am Leichhof zwischen den eng gestellten Tischen, wo sie sich öfter zu Latte macchiato oder Gelati multicolore verabredeten. Vermutlich zielte das pikierte Gebaren mancher Mitmenschen darauf, Ilses Redefluss zu stoppen oder auf normalbürgerlichen Level herabzusenken, doch es bewirkte eher das Gegenteil. Je nach Stimmung regte es Ilse zu lyrischen Höhenflügen an, mit promptem Echo im Umkreis, über das sie beide später herzhaft lachen konnten. Ilses vieljährige Tätigkeit als Lektorin eines Frankfurter Verlages, wo sie auch Gedichte redigieren durfte, hatte mit Sicherheit auf sie abgefärbt, wie sie gerne einräumte.

      *

      »Der Wochenmarkt ist schlichtweg ein Traum. Von mir aus könnte der immer am Hopfengarten seine Zelte aufschlagen«, rief sie ihnen leicht keuchend zu, weil sie versucht hatte ihrer Diva zu folgen, die trotz kurzkrummer Dackelbeine sehr flink war. Mit,

      »Hallo, ihr zwei! Schon so früh unterwegs am Samstag?«, blieb Ilse vor ihnen stehen, während die freilaufende Diva den angeleinten Troll schnuppernd umkreiste.

      Inzwischen war es halb zehn geworden. So früh waren sie sich samstags noch nie begegnet. Mona schilderte leicht verstimmt ihren frühmorgendlichen Ärger mit der Politesse und dem Strafzettel, während bleierne Müdigkeit langsam ihre Glieder hochkroch und ihr den viel zu früh abgebrochenen Schönheitsschlaf in Erinnerung rief. Ilse nickte zwar verständnisvoll, aber da sie kein eigenes Auto besaß, kannte sie die katastrophale Parksituation der stark frequentierten Altstadt nur vom Hörensagen. Sie meinte beschwichtigend:

      »Aber Mona, die tun doch auch nur ihre Arbeit. Sonst würde ja überall das Chaos ausbrechen.«

      »Ja, aber klar.« Niemand verstand Mona heute Morgen, darum verabschiedete sie sich schnell. »Ciao, Ciao! Wir sehen uns bestimmt später noch.«

      Mit schweren Beinen und Troll im Schlepptau stapfte sie die Stufen hinunter, vorbei am bunten Marktgetümmel, um die Ecke in die enge Fußgängerzone, wo wieder einmal reger Lieferwagenverkehr sich wagemutig an vollgehängten Kleiderständern, Angebotsschildern und ausladenden Markisen vorbeiquälte. Hupend bemühten sie sich, sich gegenseitig im Schneckentempo, Millimeter für Millimeter, zu überholen, was alle Passanten mehrmals zu lästigem Stop-and-go zwangen.

      Werktag für Werktag, das gleiche lästige Spiel, so unnötig wie ein Kropf! Warum schafften es die Anrainer-Geschäftsleute nicht, ihre Werbeutensilien bis elf Uhr im Laden zu lassen bis die tägliche Ladezone für die Zulieferer beendet war und diese niemanden mehr störten? Verflixt, beim Ausweichen an eine Hauswand war Mona voll in einen stinkigen Hundehaufen getreten. Brr, igitt! Sonst achtete sie immer penibel auf solche Tretminen. Eigentlich war der Samstag Monas Lieblingstag der Woche, aber in letzter Zeit erschienen ihr die Samstage eher wie aneinandergereihte Montage, in denen Murphys Gesetz zu Monas unliebsamen Begleiter wurde. Genau dieses grüßte gerade wieder einmal leise aus der Ferne.

      Sie streifte ihre rechte Sandale am nächsten höher stehenden Pflasterstein ab, der sich bot. Leider waren nicht alle Hunde so reinlich wie Troll, der niemals seine Ausscheidungen auf der Straße absonderte. Den rettenden Hausflur erreicht, die Treppe hoch, rutschte Mona mit ihrem restkot-behafteten Blockabsatz blitzschnell und mit viel Druck, über die borstige, spruchgeschmückte Fußmatte des Hausmeister-Ehepaares der gegenüberliegenden Wohnung. Genauso, wie sie es einmal bei zugehöriger Dame auf der Matte der Mieter vom Erdgeschoss beobachtet hatte. Immerhin war hier zu lesen, ›Tritt rein, bring Glück hinein!‹ Sei’s drum! Endlich zu Hause. Die Schuhe vorsichtig aus und auf die Werbeprospekte gepackt, die für die Papiertonne bereitlagen. Klamotten herunter, schnell noch das Handy auf zwölf Uhr »Wecken« gestellt.

      »Leg dich hin, Troll, guter Hund.« Die elastischen, gelben Ohrenstopfen in die Ohren gedrückt, zog Mona die Bettdecke über den Kopf und mit den Gedanken, falls jetzt noch mal einer stört, den höre ich hoffentlich nicht oder ich erwürge ihn, schlief sie ganz schnell ein. Tief und fest.

      *

      Handyklingeln weckte sie. Vierzehnuhrzehn – verflixt, sie hatte verschlafen. »Jaa?«

      »Hallo Süße.« Ihre beste Freundin Simone versuchte schnell zu eruieren, welches Outfit Mona gewählt hatte für ihr Date um halb drei. Außerdem wollte sie ihr mitteilen, dass das »Buchdruckergautschen« erst um vier stattfand, nicht um drei, wie sie zuvor gesimst hatte. Die zuverlässige Sonne malte safrangelbe Muster durch die blau-metallischen Jalousien auf der weißen Raufasertapete des Schlafzimmers.

      »Das trifft sich gut. Treffen wir uns dann um drei, vielleicht vor dem Café am Ballplatz?«

      »Okay, und was ziehst du an? Etwa das schicke Shirt aus der Boutique Diehl am Leichhof aus der letzten, verkaufsoffenen »Nacht der Sinne«?«

      »Das im Kaufrausch erstandene heiße Teil? Nein, zu offenherzig für heute. Ich denke, das schwarzweiße Kleid und die kurze Jeansjacke nehme ich mit. Aber jetzt muss ich dringend unter die Dusche. Bis gleich.«

      »Ciao, Bella!«

      Troll, ebenfalls staksig erhoben, schnuffte an dem halb vollen Pott, bevor er mit spitzen, gelblichen Zähnen ein paar Happen ins Maul bugsierte. Das heiße Wasser tat Mona gut und langsam wechselte ihr Befinden von so-lala-wach zu hellwach. Noch