Schlacht um Sina. Matthias Falke

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Название Schlacht um Sina
Автор произведения Matthias Falke
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957770295



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auseinander, um eine breitere Gefechtsbasis zu schaffen. Aber wir blieben dicht genug beieinander, um Kommunikation in Echtzeit zu gewährleisten. Bald sahen wir den Trümmerreigen mit bloßen Augen. Die großen, halbwegs unversehrten Monde standen abseits. Wie Schäferhunde eine Herde voller herumtollender Lämmer umkreisten sie in gemessenem Abstand das Chaos aus umeinandertrudelnden Felsbrocken und Gesteinstrümmern. Wir schoben uns bis an den Rand der instabilen Region heran, die immer noch von Gezeitenschocks und höherdimensionalen Entladungen durchtobt wurde. Der Volumendefekt, den die sinesische Annihilationssonde verursacht hatte, war noch immer nicht völlig ausgeglichen. Der Raum selbst konnte nicht gedehnt werden, um die Lücke innerhalb der Leere zu schließen. Hinzu kam, dass durch den Sturz des Jupiter und das Verschwinden seines Schwerefeldes ein weiterer Faktor, der den Raum komprimiert hatte, aus der Region abhanden gekommen war. Der Effekt war eine zusätzliche Dehnung der Raumzeitlinien, die der Überwindung des Defekts zusätzlich entgegenarbeitete. Eine Stauchung des Raumzeitkontinuums wäre nötig gewesen, um einige Milliarden Kubikkilometer schieren Volumens in die Lücke hineinzupressen. Am Ende, überlegte ich, musste man Dunkle Materie, wie sie sich an den ungleich größeren Dehnungsbrüchen der intergalaktischen Korridore bildete, heranschaffen, um das Loch zu kitten. Aber es war jetzt nicht der Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen.

      Fest stand, dass ein extrem instabiles Gebiet vor uns lag, von massiven Partikeln aller Art durchkreuzt und von Verwerfungen der Raumzeit durchtost. Und tief im Inneren, im schwarzen Auge dieses Orkans aus Geschossen und Energie, funkelten zwei Lichtpunkte, dort hockten die beiden sinesischen Überwachungssonden.

      »Glauben Sie, sie sind gefährlich?«, wandte ich mich an General Andresen.

      Jennifer äffte mich lautlos nach. Ihr missfiel es, dass ich mir die Blöße gab, einen Rat einzuholen. Aber auf derlei Spielchen war ich noch nie versessen. Wenn man etwas nicht wusste, sollte man danach fragen. Der Kommandant hatte jedenfalls mehr Erfahrung mit diesen Dingern als wir.

      »Man muss damit rechnen«, hörte ich. »Jedenfalls agieren sie selbständiger, als wir das bisher von ihnen gewohnt sind. Sie verfügen über volle KI-Fähigkeit.«

      Ich tauschte einige Blicke mit meinem Copiloten und den Adjutanten, die auf den rückwärtigen Plätzen der Brücke saßen. Sie alle hatten sich seit Jahren mit den Spähern beschäftigt. In dieser Zeit war keine der Sonden einer menschlichen Einrichtung nahegekommen. Aber sie waren auch nicht mit einem Akt der Aggression konfrontiert worden, wie ihn unser Ausrücken in ihren Augen ohne Zweifel darstellen musste.

      »Knipsen wir sie aus«, entschied Jennifer, und in den Mienen der anderen las ich Zustimmung. Natürlich musste jedem klar sein, was das bedeutete: ein offener Affront, der das sinesische Imperium herausforderte! Im Grunde konnte ich froh sein, in Andresen einen so entschlossenen Kommandanten zur Seite zu haben. Er würde nicht zimperlich reagieren, wenn ich den Feuerbefehl gab.

      »Bringen wir’ hinter uns.«

      Jennifer gab Energie auf die Feldgeneratoren. Das Schiff erzitterte, blieb aber noch an seiner Position. Sie hatte unaufgefordert gehandelt. Das belustigte mich. Hatte sie sich eben noch um meine Autorität gesorgt, trug sie nun selbst dazu bei, sie zu untergraben.

      »Andresen«, rief ich in die Kommunikation. »Sie gehört Ihnen!«

      Die EREBUS war zu weit entfernt, als dass sie mit bloßem Auge sichtbar gewesen wäre, aber wir hatten das Schiff auf einem unserer Schirme. Dort sah ich, wie es die Bugschilde ausfuhr und die Geschütze nachführte. Dann flammte ein unsichtbarer, nur auf den Monitoren künstlich hervorgehobener Feuerstrahl aus den schweren phasengedoppelten Röntgenlasern. Die sinesische Sonde, die ich dem General überlassen hatte, verglühte in einer grünlich irisierenden Partikelwolke. Der Casus belli war geschaffen.

      Jennifer fixierte ungeduldig mein Spiegelbild in der großen Frontscheibe. Sie hatte die Hand am Drücker und wartete auf den Feuerbefehl. Aber obwohl mir bewusst war, dass wir jetzt sehr schnell handeln mussten und dass ein Zögern von Sekundenbruchteilen verhängnisvolle Konsequenzen nach sich ziehen konnte, machte ich ihr ein Zeichen, noch zu warten.

      »Also mein Teil des Jobs«, schnarrte Andresen, dann brach die Leitung zusammen.

      Die zweite Sonde hatte ein Störfeld geschaltet. Ich trat nach vorne, direkt hinter die Lehne von Jennifers gravimetrischem Stuhl, und legte die Hände auf die Nackenpolster.

      »Liebling«, knirschte Jennifer halblaut zwischen den Zähnen, »ich hoffe, wir machen nicht gerade einen Riesenfehler!«

      Gebannt starrte ich zur Bugscheibe hinaus. Der Lichtblitz, in dem die erste Sonde zerschellt war, verrieselte langsam. Er hatte das wirbelnde Chaos im Inneren der Materiewolke erhellt. Hunderte von Körpern, die umeinander und um gemeinsame Schwerezentren kreisten und die für eine Nanosekunde harte Schlagschatten aufeinander warfen. Jetzt fiel das komplexe System wieder in das Halbdunkel der Jupiterregion zurück. Die Sonde hatte unsere Peilung aufgenommen, das konnte ich körperlich spüren. War sie bewaffnet? Konnte sie sich zur Wehr setzen? Hatte sie am Ende einen Annihilationsdetonator an Bord, der die ganze Zone zu Nichts verschlucken konnte?!

      Ich wusste, jede Fiber meines bebenden Körpers wusste, dass ich handeln musste. Dennoch wollte ich abwarten. Ich hatte das Gefühl, dass ich aus der Reaktion dieses feindlichen Automaten Wesentliches ablesen, womöglich sogar lernen können würde.

      »Sie scannt uns«, stellte Jennifer lapidar fest. »Gammaband, Pikometerauflösung.«

      Unwillkürlich wich ich einen halben Schritt zurück, als könne mich das vor den unsichtbaren Kraftfeldern schützen, die sich gerade durch unser gesamtes Schiff tasteten.

      »Sie dringt doch hoffentlich nicht durch!«, rief ich. »Deflektorschilde hochfahren, Außenhaut polarisieren, Abschirmung 120 Prozent!«

      Aber noch ehe ich die Meldungen abwarten konnte, überschlugen sich die Ereignisse. Im Zentrum der wirbelnden Partikelwolke wurde ein hellblauer Blitz sichtbar, das untrügliche Zeichen, dass ein starkes Ionentriebwerk gezündet worden war. Die Sonde kam auf uns zugeschossen. Es war ein zauberhafter Anblick, wie das Geschoss in Sekundenbruchteilen auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigte und sich, wie an unsichtbaren Fäden gezogen, seinen Weg durch das Chaos der herumtrudelnden Trümmer bahnte. Es schien sich in geheimnisvollen magnetischen Gleisen zu bewegen. Nach allen Richtungen ausweichend, tanzte es sich förmlich ins Freie. In Augenblicken hatte es die für uns unbetretbare Zone des ehemaligen Planetensystems durchquert und hinter sich gelassen. Es kam auf uns zugeschossen. Schon konnten wir Einzelheiten seiner Konstruktion mit bloßen Augen ausmachen.

      »Frank!«, schrie Jennifer.

      Ihre Hand zitterte einen Zentimeter über dem Auslöser. Die anderen Mitglieder der Crew hatten ebenfalls aufgeschrien und sich unwillkürlich in ihre Sessel gekrallt, als die Sonde wie ein stählerner Blitz auf uns losging – und wenige hundert Meter vor der Schnauze der ENTHYMESIS wieder zum Stehen kam.

      »Warte«, sagte ich langsam.

      Ich ließ die Automatik das Licht auf der Brücke löschen. Dann trat ich unmittelbar an die Bugscheibe heran. Aus dem Augenwinkel sah ich auf dem Monitor, wie Andresen seinen Geschützturm herumschwenkte. Wollte er mir das Ding vor der Nase wegschießen? Aber so weit würde ich es nicht kommen lassen.

      Die sinesische Warpraumsonde hing keine Schiffslänge vor uns im Raum. Es war ein zwanzig Meter hoher, rauchgrauer Zylinder. Am Heck köchelte der Rückstoß des Ionentriebwerks blauweißen Dunst ins Vakuum. Die uns zugewandte Vorderseite wurde von zwei großen Halbkugeln bestimmt, die rechts und links an der konisch zulaufenden Spitze saßen. Sie beherbergten die Instrumente. Die KI-Einheit, die ich zu gerne für eine Millisekunde durchleuchtet hätte, aber ihre Abschirmung widerstand sämtlichen Anstrengungen unserer Scanner. Das Deepfield, das jede Bewegung und jeden Funkspruch im Sonnensystem registrierte und aufzeichnete. Der Quantenspeicher, der einige Tausend Exobyte fasste und in dem in diesem Augenblick sämtliche Informationen unseres Truppenaufmarsches niedergelegt waren. Jede Schiffskennung, jede Munitionsliste, jede Biographie jedes einzelnen Soldaten, die Positionsdaten jeder Batterie im Erdring, jeder Marsbase und jeder Werft diesseits der Asteroiden. Vielleicht auch eine Sprengladung zur Selbstzerstörung – oder eine Annihilationsgranate,