Schlacht um Sina. Matthias Falke

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Название Schlacht um Sina
Автор произведения Matthias Falke
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957770295



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ein Schlachtschiff, das vor einiger Zeit in den Asteroidenwerften vom Stapel gelaufen war. Diese letzten Schiffe mussten am Ende der Mission in den erdnahen Raum zurückgeschickt werden. Gelesen und gezeichnet: der Kanzler und ich.

      »Das ist mehr, als ich zu hoffen gewagt hätte«, sagte Jennifer, als ich am Abend zu Tode erschöpft neben ihr ins Bett fiel. »Dass ein Teil der Jägerstaffeln hier bleibt, deckt sich mit meinen Absichten. Schließlich müssen wir auch an den Tross denken.«

      Der »Tross«, das war die Erde, das Sonnensystem, unsere Heimat und unser Rückzugsgebiet, unsere Basis, von der wir schon so lange abgeschnitten gewesen waren. Seit sie sich in strategischen Planungen erging, gewöhnte sie sich ein militärgeschichtliches Vokabular an. Nicht nur ihr Vater, der alte Ash, war ein begeisterter Hobby-Historiker gewesen, der seine Pensionszeit zur Abfassung eines anerkannten Standardwerkes über die Punischen Kriege genutzt hatte, auch sie hatte dieses Faible nie verleugnet. Als Jugendliche hatte sie sich kreuz und quer durch die umfangreiche althistorische Bibliothek ihres Vaters gelesen, sie entdeckte ihre Leidenschaft jetzt wieder und verschlang Dutzende von alten Chroniken und Militaria. Ihr Jargon troff von Wörtern wie Nachschublinien und Flankenbildung, Zentrum und Keil, Flügel und Hauptmacht, Versorgung und Durchstoß. Und eben Tross. Sie saß stundenlang über ihrem MasterBoard, auf dem sie kleine Symbole hin und her schob. Eine blaue Spindel war ein Jagdgeschwader. Ein rotes Dreieck war ein Schlachtschiff. Ein langer gelber Balken war die MARQUIS DE LAPLACE. Sie konfrontierte mich mit Details aus der Kriegsgeschichte. Waterloo, Cannae, Issos, Tannenberg gingen ihr wie Alltagsbegriffe von den Lippen. Ihr Codename für das, was sie in bezug auf die Sineser ausheckte, war kein geringerer als »Gaugamela«.

      In den nächsten Tagen forcierten wir unsere Anstrengungen noch. Die Vollmacht in der Tasche, ging es nun darum, das alles auch in die Tat umzusetzen. Jennifer verbrachte jede freie Minute in den unterirdischen Hangars, wo sie den Teil der Flotte auswählte, der uns nach Eschata begleiten sollte. Mit den Technikern sprach sie die Reprogrammierung der Warpgeneratoren durch. Glücklicherweise ließ diese sich zentral bewerkstelligen und von der Automatik auf viele Einheiten überspielen. In improvisierten Seminaren unterwies sie die Piloten im Gebrauch der neuen Technologie. Die wenigsten konnten sich darunter etwas vorstellen. Sie waren an Simulatoren ausgebildet worden und fieberten dem Augenblick entgegen, da sie zum ersten Mal in den Orbit aufsteigen würden. Dennoch waren sie begeistert bei der Sache, und es meldeten sich mehr Freiwillige, als wir in unserem Geschwader unterbringen konnten.

      Derweil kümmerte ich mich um den Rest unserer Armada. Auch auf dem Mars standen Mannschaften und Maschinen, die mir unterstellt werden würden, und der Marschbefehl musste auch an die Asteroidenwerften übermittelt werden, die die großen Schiffe ebenfalls auf erweiterten Warp umrüsten mussten. Dazu bedienten wir uns eines Kommunikationsverfahrens, das die Zivilregierung in den Jahren seit dem Jupiter-Ereignis entwickelt und mittlerweile zur Perfektion gebracht hatte. Ich lernte aus all’ dem, dass das Verhältnis zu den Sinesern und ihren Überwachungssonden doch nicht so blauäugig war, wie es mir während der Verhandlungen geschienen hatte. Immerhin hatte man es fertiggebracht, ein beachtliches Flottenbauprogramm in die Tat umzusetzen, ohne sinesische Gegenmaßnahmen zu provozieren.

      Zur Übermittlung von Nachrichten an die Marsbasen und die anderen extraterrestrischen Stellen bediente man sich alter, längst vergessen oder ausgestorben geglaubter Sprachen und Dialekte. Da man davon ausging, dass der gesamte Funkverkehr von den sinesischen Warpsonden abgehört und in Sina City ausgewertet wurde, musste man sich etwas einfallen lassen, um militärisch und logistisch brisante Mitteilungen zu verschlüsseln. Und da man ebenfalls davon auszugehen hatte, dass die sinesischen Experten jeden mathematischen Schlüssel knacken würden, besann man sich anderer Kommunikationsmöglichkeiten, deren Strukturen gewachsen und daher nicht algorithmisch zu dechiffrieren waren. Das waren die vielen Sprachen und tausende von Dialekten, die es einmal auf der Erde gegeben hatte, ehe das Unierte Englisch diesen Wildwuchs in einem groß angelegten Heckenschnitt beseitigt hatte. Freilich war es nicht damit getan, dass man alte Wörterbücher und Grammatiken aufstöberte, die sich in der Library of Congress oder in irgendeinem Regionalarchiv hätten finden lassen. Man hätte auch sie übermitteln müssen und dem Gegner damit den Schlüssel geliefert. Es mussten Muttersprachler sein, und das zu einer Zeit, in der die Menschheit durch den Jupiter-Durchgang dezimiert und verelendet war und in der die Union seit mehr als zwei Jahrhunderten eine kulturelle Gleichschaltung durchgeführt hatte. Das Verkehrsenglisch hatte die lokalen Sprachen und Literaturen beinahe vollständig verdrängt, und in den Jahren unmittelbar nach der Katastrophe war das Interesse an ausgestorbenen Dialekten naturgemäß noch sehr viel geringer. Man hatte anderes zu tun.

      Es war der geniale Einfall des Kanzlers – oder eines seiner Berater, dessen Namen man nie erfahren würde –, diese halb verschollenen Sprachen nicht nur auszugraben, sondern sie zu aktivieren und sie in den Dienst der gemeinsamen Sache zu stellen. Und das große Wort von der Unierten Menschheit bekam dadurch wieder einen neuen, anderen, inhaltsvolleren Sinn. Ob es ursprünglich Cole Johnson selbst war, der die zündende Idee hatte, mag im Nachhinein als nebensächlich erscheinen; fest steht, dass es seiner Tatkraft zuzuschreiben war, dass das Projekt auch verwirklicht wurde. Mit großem organisatorischen Aufwand und bei strengster Geheimhaltung wurden die Kontinente durchforstet. Und in den anschließenden Monaten füllten sich die Fracht- und Passagierschiffe, die zu den Marsbasen, den Asteroidenwerften und den letzten Außenposten auf den Saturnmonden unterwegs waren, mit seltsamen Reisenden.

      Alte Samen aus den abgelegenen Tundren Skandinaviens flogen zu Verwandtenbesuchen auf den Roten Planeten. Kauzige Professoren, die sich vor Jahrzehnten des Uigurischen, Mongolischen oder Serbokroatischen angenommen hatten, hielten Seminare und Ringvorlesungen quer durch das Sonnensystem. Man stöberte zahnlose Tibeter auf, und die Fährschiffe waren bevölkert von Indiofrauen, die noch des Qechua mächtig waren. Die Steppen- und Gebirgsregionen der Erde wurden nach einsamen Stämmen durchstöbert, deren Vertreter man zu Folkloredarbietungen und Weiterbildungen auf die weit entfernten Stationen schickte. Und allmählich verschwand das Unierte Englisch aus dem offiziellen und weniger offiziellen Funkverkehr. Ein babylonisches Stimmengewirr füllte die Kanäle. Man holte die letzten Navajo und Papua aus ihren Reservaten und ließ sie über Milliarden Kilometer hinweg Belangloses plaudern. Man verstreute Familien und Sippen, die sich ihres eigenen Idioms bedienten, über riesige Räume. Schließlich entdeckte man die Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation. HoloVideos wurden übertragen, auf denen Trachtenumzüge zu sehen waren, wobei die Nuancen der Kostümierung oder die Details der Abläufe nur noch den Bewohnern eines einzigen Dorfes verständlich waren. Die Gebärdensprache der afrikanischen Tschagga kam ebenso zum Einsatz wie das unverständliche und gehaltvolle Gestammel buddhistischer Schamanen. Das Sonnensystem verwandelte sich in einen Basar der Kulturen, bei dem nicht zwei Nachrichten in der gleichen Sprache übermittelt wurden und bei dem der Reichtum der Dialekte, der religiösen Anspielungen, der traditionsgebundenen Rituale und der Geheimwörter jeden Mithörer in die Verzweiflung treiben musste. Details der Triebwerkstechnik oder der Sondenprogrammierung wurden in korsischer oder kretischer Mundart durchgegeben. Oder man bediente sich philosophischer Zitatenschätze und Sprichwortsammlungen konfuzianischer Weistümer, um Marschbefehle und Truppenverlegungen zu transportieren. Alte Frauen aus Feuerland oder von den Sundainseln hockten, Pantoffeln an den Füßen, Wollsocken strickend, in den schweren Kreuzern und auf den wenige Mann starken Vorposten jenseits der Neptunbahn und nuschelten miteinander über Familientratsch und längst verblichene Affairen, in die sie hin und wieder ein Codewort oder eine Produktionsziffer einfließen ließen. Aus den Lautsprechern der offenen Kanäle scholl das heisere Bellen arabischer Untersprachen, die nur noch von wenigen libyschen Nomaden beherrscht wurden. Der Äther war erfüllt vom Singsang hinduistischer Tempelzeremonien oder hebräischer Gebete, in deren Variationen der Eingeweihte eine verklausulierte Information zu entdecken vermochte. Und um das Chaos perfekt zu machen, war der gesamte Funkverkehr auf eine Stunde am Tag beschränkt. Dann quollen die Kanäle über, während in der restlichen Zeit im ganzen Sonnensystem Funkstille herrschte. Das erklärte auch, warum bei unserem Anflug auf die Erde sämtliche Wellenlänge geschwiegen hatten wie nach einem Weltuntergang.

      »Das Programm«, schloss Kauffmann, als er mich davon in Kenntnis setzte, »war ein voller Erfolg. Nicht nur deshalb, weil es uns eine Vielzahl von Verschlüsselungsmöglichkeiten bot, die wir kaum selbst noch überblickten, sondern auch,